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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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mit den Worten Hektors nieder: "Ein Wahrzeichen nur gilt -- das Vaterland
zu retten!"

Da die Thebaner der letzten Aufforderung, die boiotischen Städte frei zu
geben, nicht entsprachen, so ertheilten die spartanischen Ephoren dem Könige
Kleombrotos Befehl, mit einem Korps, das, den Friedensbestimmungen zuwider,
noch in Phokis stand, gegen Theben zu marschiren. Kleombrotos verfügte
über die zwei ersten Löcher von 4 Moren; die zweiten Löcher derselben Moren
wurden ihm nachgesandt, so daß seine lakedaimonische Streitmacht auf etwa
4000 Mann stieg. Hierzu kamen noch 8000 Bundesgenossen zu Fuß und
1000 Reiter.

Statt wie erwartet von Nordwest rückte Kleombrotos nach Wegnahme
des Hafens bei Kreusis von Südwesten her in die boiotische Landschaft ein
und zog den Abhang des Kithäron entlang in die offene, etwa Va Stunde
breite Thalebene von Leuktra. Auf dem leise ansteigenden nördlichen Rande
dieser Ebene befand sich das Lager der Thebaner. Ihm gegenüber am Süd-
rande schlug Kleombrotos das seine auf und umgab es mit einem Graben.

Die Thebaner dürften kaum mehr als 6000 Maun gezählt haben: 4500
Hopliten, 1500 Leichtbewaffnete und 500 Reiter. Sie waren nur halb so stark
wie die Gegner, und es ist begreiflich, daß die Stimmen der Boiotarchen, so
hießen die thebanischen Strategen, getheilt waren, ob man die Schlacht an¬
nehmen solle oder nicht. Durch Stichentscheid im Kriegsrath wurde jedoch
beschlossen, Stand zu halten, und Epamcinvndas mit dem Oberbefehl betraut.

Die neuen Elemente der Taktik, welche Xenophon während der Anabasis
entwickelt, hatten bisher noch zu keinem neuen System der Schlachtentaktik
geführt. Die höhere Beweglichkeit der Truppen hatte wohl hie und da ein
besseres Ausnützen der Umstünde begünstigt; aber prinzipielle Aenderungen in
der Grnndanordnung der Massen waren nicht eingetreten. Bei Leuktra that
Epcnueinondas diesen Schritt. Er theilte das Heer in einen Offensiv- und
einen Defensiv-Flügel, von denen der letztere sich nur beobachtend verhalten
und gewissermaßen als Reserve dienen sollte; während der Offensivflügel, quan¬
titativ und qualitativ starker als jener, den Feind zuerst und mit möglichst
gesteigerter Stoßkraft an dessen stärkster Stelle anpacken sollte. -- Die stärkste
Stelle der bisherigen griechischen Heere war aber immer der rechte Flügel;
denn mit diesem suchte man ja hergebrachtermaßen den linken Flügel des
Gegners zu umfassen. Aus diesem Grunde mußte der Offensivflügel des Epa-
meinoudcis sein eigener linker fein; um ihm aber die nöthige Stoßkraft zu
verleihen, gab er ihm die von Xenophon erfundene Kolonnenform des Orsivs
lochos.


Grenzboten I. 1878. W

mit den Worten Hektors nieder: „Ein Wahrzeichen nur gilt — das Vaterland
zu retten!"

Da die Thebaner der letzten Aufforderung, die boiotischen Städte frei zu
geben, nicht entsprachen, so ertheilten die spartanischen Ephoren dem Könige
Kleombrotos Befehl, mit einem Korps, das, den Friedensbestimmungen zuwider,
noch in Phokis stand, gegen Theben zu marschiren. Kleombrotos verfügte
über die zwei ersten Löcher von 4 Moren; die zweiten Löcher derselben Moren
wurden ihm nachgesandt, so daß seine lakedaimonische Streitmacht auf etwa
4000 Mann stieg. Hierzu kamen noch 8000 Bundesgenossen zu Fuß und
1000 Reiter.

Statt wie erwartet von Nordwest rückte Kleombrotos nach Wegnahme
des Hafens bei Kreusis von Südwesten her in die boiotische Landschaft ein
und zog den Abhang des Kithäron entlang in die offene, etwa Va Stunde
breite Thalebene von Leuktra. Auf dem leise ansteigenden nördlichen Rande
dieser Ebene befand sich das Lager der Thebaner. Ihm gegenüber am Süd-
rande schlug Kleombrotos das seine auf und umgab es mit einem Graben.

Die Thebaner dürften kaum mehr als 6000 Maun gezählt haben: 4500
Hopliten, 1500 Leichtbewaffnete und 500 Reiter. Sie waren nur halb so stark
wie die Gegner, und es ist begreiflich, daß die Stimmen der Boiotarchen, so
hießen die thebanischen Strategen, getheilt waren, ob man die Schlacht an¬
nehmen solle oder nicht. Durch Stichentscheid im Kriegsrath wurde jedoch
beschlossen, Stand zu halten, und Epamcinvndas mit dem Oberbefehl betraut.

Die neuen Elemente der Taktik, welche Xenophon während der Anabasis
entwickelt, hatten bisher noch zu keinem neuen System der Schlachtentaktik
geführt. Die höhere Beweglichkeit der Truppen hatte wohl hie und da ein
besseres Ausnützen der Umstünde begünstigt; aber prinzipielle Aenderungen in
der Grnndanordnung der Massen waren nicht eingetreten. Bei Leuktra that
Epcnueinondas diesen Schritt. Er theilte das Heer in einen Offensiv- und
einen Defensiv-Flügel, von denen der letztere sich nur beobachtend verhalten
und gewissermaßen als Reserve dienen sollte; während der Offensivflügel, quan¬
titativ und qualitativ starker als jener, den Feind zuerst und mit möglichst
gesteigerter Stoßkraft an dessen stärkster Stelle anpacken sollte. — Die stärkste
Stelle der bisherigen griechischen Heere war aber immer der rechte Flügel;
denn mit diesem suchte man ja hergebrachtermaßen den linken Flügel des
Gegners zu umfassen. Aus diesem Grunde mußte der Offensivflügel des Epa-
meinoudcis sein eigener linker fein; um ihm aber die nöthige Stoßkraft zu
verleihen, gab er ihm die von Xenophon erfundene Kolonnenform des Orsivs
lochos.


Grenzboten I. 1878. W
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[0305] mit den Worten Hektors nieder: „Ein Wahrzeichen nur gilt — das Vaterland zu retten!" Da die Thebaner der letzten Aufforderung, die boiotischen Städte frei zu geben, nicht entsprachen, so ertheilten die spartanischen Ephoren dem Könige Kleombrotos Befehl, mit einem Korps, das, den Friedensbestimmungen zuwider, noch in Phokis stand, gegen Theben zu marschiren. Kleombrotos verfügte über die zwei ersten Löcher von 4 Moren; die zweiten Löcher derselben Moren wurden ihm nachgesandt, so daß seine lakedaimonische Streitmacht auf etwa 4000 Mann stieg. Hierzu kamen noch 8000 Bundesgenossen zu Fuß und 1000 Reiter. Statt wie erwartet von Nordwest rückte Kleombrotos nach Wegnahme des Hafens bei Kreusis von Südwesten her in die boiotische Landschaft ein und zog den Abhang des Kithäron entlang in die offene, etwa Va Stunde breite Thalebene von Leuktra. Auf dem leise ansteigenden nördlichen Rande dieser Ebene befand sich das Lager der Thebaner. Ihm gegenüber am Süd- rande schlug Kleombrotos das seine auf und umgab es mit einem Graben. Die Thebaner dürften kaum mehr als 6000 Maun gezählt haben: 4500 Hopliten, 1500 Leichtbewaffnete und 500 Reiter. Sie waren nur halb so stark wie die Gegner, und es ist begreiflich, daß die Stimmen der Boiotarchen, so hießen die thebanischen Strategen, getheilt waren, ob man die Schlacht an¬ nehmen solle oder nicht. Durch Stichentscheid im Kriegsrath wurde jedoch beschlossen, Stand zu halten, und Epamcinvndas mit dem Oberbefehl betraut. Die neuen Elemente der Taktik, welche Xenophon während der Anabasis entwickelt, hatten bisher noch zu keinem neuen System der Schlachtentaktik geführt. Die höhere Beweglichkeit der Truppen hatte wohl hie und da ein besseres Ausnützen der Umstünde begünstigt; aber prinzipielle Aenderungen in der Grnndanordnung der Massen waren nicht eingetreten. Bei Leuktra that Epcnueinondas diesen Schritt. Er theilte das Heer in einen Offensiv- und einen Defensiv-Flügel, von denen der letztere sich nur beobachtend verhalten und gewissermaßen als Reserve dienen sollte; während der Offensivflügel, quan¬ titativ und qualitativ starker als jener, den Feind zuerst und mit möglichst gesteigerter Stoßkraft an dessen stärkster Stelle anpacken sollte. — Die stärkste Stelle der bisherigen griechischen Heere war aber immer der rechte Flügel; denn mit diesem suchte man ja hergebrachtermaßen den linken Flügel des Gegners zu umfassen. Aus diesem Grunde mußte der Offensivflügel des Epa- meinoudcis sein eigener linker fein; um ihm aber die nöthige Stoßkraft zu verleihen, gab er ihm die von Xenophon erfundene Kolonnenform des Orsivs lochos. Grenzboten I. 1878. W

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/305>, abgerufen am 04.06.2024.