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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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genannten Jahre 319,233 Emigranten, darunter befanden sich 30,578 Eng¬
länder, 82,302 Jrländer und 17K,98ki Deutsche. Wahrscheinlich ist es doch
wohl mehr als bloßer Zufall, wenn das Jahr 1854 so viele Deutsche ihr
Vaterland verlassen ließ. In beiden Jahren, 1854 und 1877, wüthete zwar
ein blutiger orientalischer Krieg, aber 1854 gab es noch kein geeinigtes und
starkes Deutschland, das seine Söhne im In- und Auslande sicherstellen und
im Rathe der Nationen seine Stimme in entscheidender Weise abgeben konnte.

In der jüngsten Zeit regt sich übrigens wiederum ein starker Nativismus
in den Vereinigten Staaten, und zwar vorzugsweise gegen das eingewanderte
deutsche Element. . Dieser Nativismus offenbart sich namentlich in einer heftigen
Agitation gegen den Unterricht in der deutschen Sprache in den öffentlichen
Schulen der Union. Es giebt indessen auch rühmliche Ausnahmen uuter den
Amerikanern. Zu diesen gehört, wie wir aus dem "Wächter am Erie", einem
deutsch-amerikanischen Blatte sehen, auch der als Tourist und Dichter wohlbe¬
kannte Bayard Taylor. Herr Taylor ließ sich kürzlich in der beregten
Angelegenheit einem Berichterstatter des genannten Blattes gegenüber u. A.
also vernehmen: "Die Einführung fremder Sprachen in den Studienplan der
öffentlichen Schulen der Vereinigten Staaten empfiehlt sich aus verschiedenen
Gründen. Jeder gebildete Mensch sollte anßer seiner Muttersprache noch eine
fremde Sprache lernen, um durch den Vergleich beider Sprachen die erstere
gründlich kennen zu lernen. Erst wenn man einen Vergleich als Maßstab
besitzt, kann man den Bau und das Wesen der eigenen Sprache richtig erkennen,
was ohne jenen nie geschehen wird. In der jetzigen Zeit und in einem Lande,
wie die nordamerikanische Union, in der alle Nationen der zivilisirten Welt
vertreten sind, ist es beinahe eine Nothwendigkeit, wenigstens eine Sprache
neben der Muttersprache zu kennen, ganz abgesehen davon, daß Sprachkeuntnisse
für die durch die leichten Kommunikationsmittel häufig gewordenen Reisen in's
Ausland vom größten Werthe sind. Wenn die Gegner des Unterrichts fremder
Sprachen den Einwurf machen, derselbe beeinträchtige das Stadium anderer,
nothwendigerer Unterrichtsgegenstände, so befinden sie sich in einem argen Irr¬
thum; im Gegentheil der erwähnte Unterricht befördert andere Lehrgegenstände,
wie die Erfahrung lehrt, bedeutend, indem der durch das Sprachstudium ge¬
schärfte Geist der Kinder auch die anderen Disziplinen leichter erfassen und in
sich aufnehmen kann. Ans diesen Gründen ist, meiner Ansicht nach, der Unter¬
richt in fremden Sprachen, namentlich in der deutschen Sprache, anzuempfehlen
und sollte derselbe in den öffentlichen Schulen Amerikas wenigstens in so weit
eingeführt werden, als solchen Schülern, die es wünschen, Gelegenheit geboten
wird, sich die Kenntniß fremder Sprachen anzueignen."

Bei dieser Gelegenheit mag bemerkt werden, daß Bayard Taylor selbst


genannten Jahre 319,233 Emigranten, darunter befanden sich 30,578 Eng¬
länder, 82,302 Jrländer und 17K,98ki Deutsche. Wahrscheinlich ist es doch
wohl mehr als bloßer Zufall, wenn das Jahr 1854 so viele Deutsche ihr
Vaterland verlassen ließ. In beiden Jahren, 1854 und 1877, wüthete zwar
ein blutiger orientalischer Krieg, aber 1854 gab es noch kein geeinigtes und
starkes Deutschland, das seine Söhne im In- und Auslande sicherstellen und
im Rathe der Nationen seine Stimme in entscheidender Weise abgeben konnte.

In der jüngsten Zeit regt sich übrigens wiederum ein starker Nativismus
in den Vereinigten Staaten, und zwar vorzugsweise gegen das eingewanderte
deutsche Element. . Dieser Nativismus offenbart sich namentlich in einer heftigen
Agitation gegen den Unterricht in der deutschen Sprache in den öffentlichen
Schulen der Union. Es giebt indessen auch rühmliche Ausnahmen uuter den
Amerikanern. Zu diesen gehört, wie wir aus dem „Wächter am Erie", einem
deutsch-amerikanischen Blatte sehen, auch der als Tourist und Dichter wohlbe¬
kannte Bayard Taylor. Herr Taylor ließ sich kürzlich in der beregten
Angelegenheit einem Berichterstatter des genannten Blattes gegenüber u. A.
also vernehmen: „Die Einführung fremder Sprachen in den Studienplan der
öffentlichen Schulen der Vereinigten Staaten empfiehlt sich aus verschiedenen
Gründen. Jeder gebildete Mensch sollte anßer seiner Muttersprache noch eine
fremde Sprache lernen, um durch den Vergleich beider Sprachen die erstere
gründlich kennen zu lernen. Erst wenn man einen Vergleich als Maßstab
besitzt, kann man den Bau und das Wesen der eigenen Sprache richtig erkennen,
was ohne jenen nie geschehen wird. In der jetzigen Zeit und in einem Lande,
wie die nordamerikanische Union, in der alle Nationen der zivilisirten Welt
vertreten sind, ist es beinahe eine Nothwendigkeit, wenigstens eine Sprache
neben der Muttersprache zu kennen, ganz abgesehen davon, daß Sprachkeuntnisse
für die durch die leichten Kommunikationsmittel häufig gewordenen Reisen in's
Ausland vom größten Werthe sind. Wenn die Gegner des Unterrichts fremder
Sprachen den Einwurf machen, derselbe beeinträchtige das Stadium anderer,
nothwendigerer Unterrichtsgegenstände, so befinden sie sich in einem argen Irr¬
thum; im Gegentheil der erwähnte Unterricht befördert andere Lehrgegenstände,
wie die Erfahrung lehrt, bedeutend, indem der durch das Sprachstudium ge¬
schärfte Geist der Kinder auch die anderen Disziplinen leichter erfassen und in
sich aufnehmen kann. Ans diesen Gründen ist, meiner Ansicht nach, der Unter¬
richt in fremden Sprachen, namentlich in der deutschen Sprache, anzuempfehlen
und sollte derselbe in den öffentlichen Schulen Amerikas wenigstens in so weit
eingeführt werden, als solchen Schülern, die es wünschen, Gelegenheit geboten
wird, sich die Kenntniß fremder Sprachen anzueignen."

Bei dieser Gelegenheit mag bemerkt werden, daß Bayard Taylor selbst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/322>, abgerufen am 15.05.2024.