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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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über denselben Gegenstand, eine anonyme deutsche Schrift "Ein Wort über
die Papstwahl, Berlin 1872", "Ueber die Rechte der Regierungen beim Kon¬
klave, München 1872", und Minghetti's "Der Staat und die Kirche." -
Dazu ist neuerdings eine Schrift des italienischen Abgeordneten Bonghi, frü¬
heren Unterrichtsministers, gekommen, welche, wie schon ihr Titel "Pius IX.
und der künftige Papst", zeigt, sich geradezu mit Betrachtungen über die
muthmaßliche Person des Nachfolgers Pio Nouv's beschäftigt. Es ist selbst¬
verständlich, daß dabei nur von Hypothesen und Vermuthungen die Rede sein
kann und daß, wenn Bonghi sieben Kardinäle als die am meisten Aussicht
auf die Tiara besitzenden nennt, er nicht nur außer Stande ist, unter diesen
Einen als den Hauptprätendenten zu bezeichnen, sondern auch nicht einmal
behaupten darf, daß die Wahl mit Sicherheit auf einen der Sieben fallen
wird. Diese Konjekturen also haben einen sehr problematischen Werth und
werden durch die historischen Ausführungen der Schrift noch geschwächt, indem
diese Zeugniß davon ablegen, daß häufig die Wahlresultate der Konklave alle
vorherigen Vermuthungen und Berechnungen getäuscht haben. -- Mit Ueber-
gehung des konjekturalen Theiles wollen wir im Folgenden einen Auszug aus
den von Bonghi zur Stütze seiner Vermuthungen angeführten Thatsachen geben,
welche, ohne auf historische Vollständigkeit Anspruch zu machen*), Vieles ent¬
halten, was Interesse zu erregen und geeignet sein wird, einige weit verbrei¬
tete Irrthümer über den Vorgang der Papstwahl zu beseitigen.

Um gleich die Hauptresultate der Untersuchungen voranzustellen, so erge¬
ben dieselben, daß beim Tode Pio Nouv's die Cardinäle durchaus nicht ver¬
pflichtet seien, sich bei der Neuwahl streug an die Formen der früheren Kon¬
klave zu halten, sondern, sei es durch Verordnung des lebenden Papstes sei
es durch eigenen Beschluß, Aenderungen eintreten lassen dürfen; i? d. Red.)
ferner, daß das Veto und andere Rechte von Regierungen gegenüber dem Kon¬
klave von sehr unbestimmtem Ursprung und schwankendem Gebrauche sind, und
endlich, daß ein (begränztes) Veto höchstens drei Staaten, nämlich Oesterreich,
Frankreich und Spanien, zusteht.

Der Beweis für alle drei Punkte erhellt aus der Geschichte der Papst¬
wahlen. -- Eine vollständige und aktenmäßige Darstellung derselben wird erst
möglich sein, wenn die jetzt noch hermetisch verschlossenen vatikanischen Archive
dereinst geöffnet sein und ihre reichen Schätze an's Licht geliefert haben wer-



**) Diese Ausführungen machen auch nicht allenthalben auf historische Unanfechtbarkeit
und noch weniger auf juristische (und zwar weder auf kirchenrechtliche noch auf völkerrecht¬
liche) Unbestrittenheit Anspruch. Wir geben daher dieses Resumö lediglich als die Meinung
D. Red. eines hervorragenden italienischen Staatsmannes und Gelehrten.

über denselben Gegenstand, eine anonyme deutsche Schrift „Ein Wort über
die Papstwahl, Berlin 1872", „Ueber die Rechte der Regierungen beim Kon¬
klave, München 1872", und Minghetti's „Der Staat und die Kirche." -
Dazu ist neuerdings eine Schrift des italienischen Abgeordneten Bonghi, frü¬
heren Unterrichtsministers, gekommen, welche, wie schon ihr Titel „Pius IX.
und der künftige Papst", zeigt, sich geradezu mit Betrachtungen über die
muthmaßliche Person des Nachfolgers Pio Nouv's beschäftigt. Es ist selbst¬
verständlich, daß dabei nur von Hypothesen und Vermuthungen die Rede sein
kann und daß, wenn Bonghi sieben Kardinäle als die am meisten Aussicht
auf die Tiara besitzenden nennt, er nicht nur außer Stande ist, unter diesen
Einen als den Hauptprätendenten zu bezeichnen, sondern auch nicht einmal
behaupten darf, daß die Wahl mit Sicherheit auf einen der Sieben fallen
wird. Diese Konjekturen also haben einen sehr problematischen Werth und
werden durch die historischen Ausführungen der Schrift noch geschwächt, indem
diese Zeugniß davon ablegen, daß häufig die Wahlresultate der Konklave alle
vorherigen Vermuthungen und Berechnungen getäuscht haben. — Mit Ueber-
gehung des konjekturalen Theiles wollen wir im Folgenden einen Auszug aus
den von Bonghi zur Stütze seiner Vermuthungen angeführten Thatsachen geben,
welche, ohne auf historische Vollständigkeit Anspruch zu machen*), Vieles ent¬
halten, was Interesse zu erregen und geeignet sein wird, einige weit verbrei¬
tete Irrthümer über den Vorgang der Papstwahl zu beseitigen.

Um gleich die Hauptresultate der Untersuchungen voranzustellen, so erge¬
ben dieselben, daß beim Tode Pio Nouv's die Cardinäle durchaus nicht ver¬
pflichtet seien, sich bei der Neuwahl streug an die Formen der früheren Kon¬
klave zu halten, sondern, sei es durch Verordnung des lebenden Papstes sei
es durch eigenen Beschluß, Aenderungen eintreten lassen dürfen; i? d. Red.)
ferner, daß das Veto und andere Rechte von Regierungen gegenüber dem Kon¬
klave von sehr unbestimmtem Ursprung und schwankendem Gebrauche sind, und
endlich, daß ein (begränztes) Veto höchstens drei Staaten, nämlich Oesterreich,
Frankreich und Spanien, zusteht.

Der Beweis für alle drei Punkte erhellt aus der Geschichte der Papst¬
wahlen. — Eine vollständige und aktenmäßige Darstellung derselben wird erst
möglich sein, wenn die jetzt noch hermetisch verschlossenen vatikanischen Archive
dereinst geöffnet sein und ihre reichen Schätze an's Licht geliefert haben wer-



**) Diese Ausführungen machen auch nicht allenthalben auf historische Unanfechtbarkeit
und noch weniger auf juristische (und zwar weder auf kirchenrechtliche noch auf völkerrecht¬
liche) Unbestrittenheit Anspruch. Wir geben daher dieses Resumö lediglich als die Meinung
D. Red. eines hervorragenden italienischen Staatsmannes und Gelehrten.
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[0330] über denselben Gegenstand, eine anonyme deutsche Schrift „Ein Wort über die Papstwahl, Berlin 1872", „Ueber die Rechte der Regierungen beim Kon¬ klave, München 1872", und Minghetti's „Der Staat und die Kirche." - Dazu ist neuerdings eine Schrift des italienischen Abgeordneten Bonghi, frü¬ heren Unterrichtsministers, gekommen, welche, wie schon ihr Titel „Pius IX. und der künftige Papst", zeigt, sich geradezu mit Betrachtungen über die muthmaßliche Person des Nachfolgers Pio Nouv's beschäftigt. Es ist selbst¬ verständlich, daß dabei nur von Hypothesen und Vermuthungen die Rede sein kann und daß, wenn Bonghi sieben Kardinäle als die am meisten Aussicht auf die Tiara besitzenden nennt, er nicht nur außer Stande ist, unter diesen Einen als den Hauptprätendenten zu bezeichnen, sondern auch nicht einmal behaupten darf, daß die Wahl mit Sicherheit auf einen der Sieben fallen wird. Diese Konjekturen also haben einen sehr problematischen Werth und werden durch die historischen Ausführungen der Schrift noch geschwächt, indem diese Zeugniß davon ablegen, daß häufig die Wahlresultate der Konklave alle vorherigen Vermuthungen und Berechnungen getäuscht haben. — Mit Ueber- gehung des konjekturalen Theiles wollen wir im Folgenden einen Auszug aus den von Bonghi zur Stütze seiner Vermuthungen angeführten Thatsachen geben, welche, ohne auf historische Vollständigkeit Anspruch zu machen*), Vieles ent¬ halten, was Interesse zu erregen und geeignet sein wird, einige weit verbrei¬ tete Irrthümer über den Vorgang der Papstwahl zu beseitigen. Um gleich die Hauptresultate der Untersuchungen voranzustellen, so erge¬ ben dieselben, daß beim Tode Pio Nouv's die Cardinäle durchaus nicht ver¬ pflichtet seien, sich bei der Neuwahl streug an die Formen der früheren Kon¬ klave zu halten, sondern, sei es durch Verordnung des lebenden Papstes sei es durch eigenen Beschluß, Aenderungen eintreten lassen dürfen; i? d. Red.) ferner, daß das Veto und andere Rechte von Regierungen gegenüber dem Kon¬ klave von sehr unbestimmtem Ursprung und schwankendem Gebrauche sind, und endlich, daß ein (begränztes) Veto höchstens drei Staaten, nämlich Oesterreich, Frankreich und Spanien, zusteht. Der Beweis für alle drei Punkte erhellt aus der Geschichte der Papst¬ wahlen. — Eine vollständige und aktenmäßige Darstellung derselben wird erst möglich sein, wenn die jetzt noch hermetisch verschlossenen vatikanischen Archive dereinst geöffnet sein und ihre reichen Schätze an's Licht geliefert haben wer- **) Diese Ausführungen machen auch nicht allenthalben auf historische Unanfechtbarkeit und noch weniger auf juristische (und zwar weder auf kirchenrechtliche noch auf völkerrecht¬ liche) Unbestrittenheit Anspruch. Wir geben daher dieses Resumö lediglich als die Meinung D. Red. eines hervorragenden italienischen Staatsmannes und Gelehrten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/330>, abgerufen am 15.05.2024.