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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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verderbliche Hader zwischen beiden Päpsten, die sich gegenseitig verfluchten,
wurde zwischen ihren Nachfolgern fortgesetzt, da beide sich mit einem Kardinals¬
kollegium umgeben hatten. -- Bei der Wahl Gregors XII. (1406) wird zum
ersten Male der Abstimmung durch Wahlzettel Erwähnung gethan, während
die früheren Verordnungen über den Votirungsmodus schweigen.

Das Aergerniß der sich befehdenden Doppelpäpste trieb zu einer Lösung,
durch welche zum ersten und einzigen Male die Wahl des Kirchenoberhauptes
aus den Händen des Kardiualkollegiums genommen wurde. Das Konzil zu
Konstanz erklärte sich als über dem Papste stehend, setzte drei Päpste ab und
ernannte mittels einer Kommission, die aus den anwesenden Kardinälen und
dreißig Theologen bestand, einen neuen in Martin V.

Im Konklave von 1458 erscheint ein Wahlverfahren, welches außer dem
Skrutinium eine andere Art von Votirung kennt und zugleich den Beweis lie¬
fert, daß entgegen der Verordnung Gregor's XI. eine Zweidrittel-Majorität
erfordert wurde. Beim Skrutininm des dritten Tages hatte der Kardinal Phi¬
lipp von Bologna fünf Stimmen, der Kardinal Aeneas Piccolomini von
Siena ebensoviel, keiner der anderen Kardinäle mehr als drei. Am folgenden
Tage erhielt Piccolomini nenn Stimmen. Auf die Ankündigung folgte ein
langes Stillschweigen; denn die Zahl der votirenden Kardinäle war achtzehn.
Endlich erhob sich Roderich Borgia und sagte: "Ich trete dem Kardinal von
Siena bei." Eine neue lange Pause folgte. Zwei Kardinäle, welche Picco¬
lomini entgegen waren, erhoben sich, um den Saal zu verlassen. Sie kehrten
zurück, als sie sahen, daß Niemand folgte. Der Kardinal Jakob von S.
Anastasia rief: "Auch ich trete dem Kardinal von Siena bei." Piccolomini
hatte somit elf von achtzehn Stimmen, und es fehlte ihm nur eine einzige.
Prospero Colonna machte Anstalt aufzustehen. Er wurde am Kleide zurück¬
gehalten; dennoch erhob er er sich und rief mit lauter Stimme: "Auch ich
trete dem Kardinal von Siena bei und mache ihn zum Papst!" -- worauf
Alle sich erhoben und vor dem Erwählten das Knie beugten.

Von 1455 bis 1846, also vier Jahrhunderte lang, sind die Nachfolger
Petri in Rom gewählt worden. Die einzige Ausnahme war die Wahl
Pius VII., welche 1800 in Venedig stattfand. Auch vor 1455 sind die mei¬
sten Konklave in Rom abgehalten worden, ohne daß dies, wie die angeführ¬
ten Bestimmungen zeigen, Vorschrift gewesen wäre. Während vor 1455 ir¬
gend eine Kirche oder ein Kloster für das Konklave in Rom gewählt wurde,
diente von 1455 bis 1823 dazu der Vatikan, von da ab bis zum letzten Kon¬
klave 1846 der Quirinalpalast. Der letztere ist jetzt Residenz des italienischen
Königs, so daß das bevorstehende Konklave, wenn es nicht außerhalb Roms
verlegt wird, wieder im Vatikan wird stattfinden müssen. Siebennndachtzig


verderbliche Hader zwischen beiden Päpsten, die sich gegenseitig verfluchten,
wurde zwischen ihren Nachfolgern fortgesetzt, da beide sich mit einem Kardinals¬
kollegium umgeben hatten. — Bei der Wahl Gregors XII. (1406) wird zum
ersten Male der Abstimmung durch Wahlzettel Erwähnung gethan, während
die früheren Verordnungen über den Votirungsmodus schweigen.

Das Aergerniß der sich befehdenden Doppelpäpste trieb zu einer Lösung,
durch welche zum ersten und einzigen Male die Wahl des Kirchenoberhauptes
aus den Händen des Kardiualkollegiums genommen wurde. Das Konzil zu
Konstanz erklärte sich als über dem Papste stehend, setzte drei Päpste ab und
ernannte mittels einer Kommission, die aus den anwesenden Kardinälen und
dreißig Theologen bestand, einen neuen in Martin V.

Im Konklave von 1458 erscheint ein Wahlverfahren, welches außer dem
Skrutinium eine andere Art von Votirung kennt und zugleich den Beweis lie¬
fert, daß entgegen der Verordnung Gregor's XI. eine Zweidrittel-Majorität
erfordert wurde. Beim Skrutininm des dritten Tages hatte der Kardinal Phi¬
lipp von Bologna fünf Stimmen, der Kardinal Aeneas Piccolomini von
Siena ebensoviel, keiner der anderen Kardinäle mehr als drei. Am folgenden
Tage erhielt Piccolomini nenn Stimmen. Auf die Ankündigung folgte ein
langes Stillschweigen; denn die Zahl der votirenden Kardinäle war achtzehn.
Endlich erhob sich Roderich Borgia und sagte: „Ich trete dem Kardinal von
Siena bei." Eine neue lange Pause folgte. Zwei Kardinäle, welche Picco¬
lomini entgegen waren, erhoben sich, um den Saal zu verlassen. Sie kehrten
zurück, als sie sahen, daß Niemand folgte. Der Kardinal Jakob von S.
Anastasia rief: „Auch ich trete dem Kardinal von Siena bei." Piccolomini
hatte somit elf von achtzehn Stimmen, und es fehlte ihm nur eine einzige.
Prospero Colonna machte Anstalt aufzustehen. Er wurde am Kleide zurück¬
gehalten; dennoch erhob er er sich und rief mit lauter Stimme: „Auch ich
trete dem Kardinal von Siena bei und mache ihn zum Papst!" — worauf
Alle sich erhoben und vor dem Erwählten das Knie beugten.

Von 1455 bis 1846, also vier Jahrhunderte lang, sind die Nachfolger
Petri in Rom gewählt worden. Die einzige Ausnahme war die Wahl
Pius VII., welche 1800 in Venedig stattfand. Auch vor 1455 sind die mei¬
sten Konklave in Rom abgehalten worden, ohne daß dies, wie die angeführ¬
ten Bestimmungen zeigen, Vorschrift gewesen wäre. Während vor 1455 ir¬
gend eine Kirche oder ein Kloster für das Konklave in Rom gewählt wurde,
diente von 1455 bis 1823 dazu der Vatikan, von da ab bis zum letzten Kon¬
klave 1846 der Quirinalpalast. Der letztere ist jetzt Residenz des italienischen
Königs, so daß das bevorstehende Konklave, wenn es nicht außerhalb Roms
verlegt wird, wieder im Vatikan wird stattfinden müssen. Siebennndachtzig


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[0343] verderbliche Hader zwischen beiden Päpsten, die sich gegenseitig verfluchten, wurde zwischen ihren Nachfolgern fortgesetzt, da beide sich mit einem Kardinals¬ kollegium umgeben hatten. — Bei der Wahl Gregors XII. (1406) wird zum ersten Male der Abstimmung durch Wahlzettel Erwähnung gethan, während die früheren Verordnungen über den Votirungsmodus schweigen. Das Aergerniß der sich befehdenden Doppelpäpste trieb zu einer Lösung, durch welche zum ersten und einzigen Male die Wahl des Kirchenoberhauptes aus den Händen des Kardiualkollegiums genommen wurde. Das Konzil zu Konstanz erklärte sich als über dem Papste stehend, setzte drei Päpste ab und ernannte mittels einer Kommission, die aus den anwesenden Kardinälen und dreißig Theologen bestand, einen neuen in Martin V. Im Konklave von 1458 erscheint ein Wahlverfahren, welches außer dem Skrutinium eine andere Art von Votirung kennt und zugleich den Beweis lie¬ fert, daß entgegen der Verordnung Gregor's XI. eine Zweidrittel-Majorität erfordert wurde. Beim Skrutininm des dritten Tages hatte der Kardinal Phi¬ lipp von Bologna fünf Stimmen, der Kardinal Aeneas Piccolomini von Siena ebensoviel, keiner der anderen Kardinäle mehr als drei. Am folgenden Tage erhielt Piccolomini nenn Stimmen. Auf die Ankündigung folgte ein langes Stillschweigen; denn die Zahl der votirenden Kardinäle war achtzehn. Endlich erhob sich Roderich Borgia und sagte: „Ich trete dem Kardinal von Siena bei." Eine neue lange Pause folgte. Zwei Kardinäle, welche Picco¬ lomini entgegen waren, erhoben sich, um den Saal zu verlassen. Sie kehrten zurück, als sie sahen, daß Niemand folgte. Der Kardinal Jakob von S. Anastasia rief: „Auch ich trete dem Kardinal von Siena bei." Piccolomini hatte somit elf von achtzehn Stimmen, und es fehlte ihm nur eine einzige. Prospero Colonna machte Anstalt aufzustehen. Er wurde am Kleide zurück¬ gehalten; dennoch erhob er er sich und rief mit lauter Stimme: „Auch ich trete dem Kardinal von Siena bei und mache ihn zum Papst!" — worauf Alle sich erhoben und vor dem Erwählten das Knie beugten. Von 1455 bis 1846, also vier Jahrhunderte lang, sind die Nachfolger Petri in Rom gewählt worden. Die einzige Ausnahme war die Wahl Pius VII., welche 1800 in Venedig stattfand. Auch vor 1455 sind die mei¬ sten Konklave in Rom abgehalten worden, ohne daß dies, wie die angeführ¬ ten Bestimmungen zeigen, Vorschrift gewesen wäre. Während vor 1455 ir¬ gend eine Kirche oder ein Kloster für das Konklave in Rom gewählt wurde, diente von 1455 bis 1823 dazu der Vatikan, von da ab bis zum letzten Kon¬ klave 1846 der Quirinalpalast. Der letztere ist jetzt Residenz des italienischen Königs, so daß das bevorstehende Konklave, wenn es nicht außerhalb Roms verlegt wird, wieder im Vatikan wird stattfinden müssen. Siebennndachtzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/343>, abgerufen am 15.05.2024.