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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Wir haben es hier mit einer Einrichtung zu thun, die lebhaft an die von
gewisser Seite geforderte Wiedereinführung der Arbeitsbücher erinnert. Wie
man heutzutage über die Zügellosigkeit der arbeitenden Klassen, über die Un¬
lust zur Arbeit, über den häusigen Bruch des Arbeitsvertrages klagt und von
einer Revision der Gewerbeordnung Abhülfe gegen alle diese Uebelstände er¬
wartet, so versuchte man auch vor nunmehr fast 150 Jahren auf ähnlichem
Wege eine Regeneration des durch und durch korrumpirten Gesellenstcmdes
herbeizuführen und durch von oben herab in Szene gesetzte Maßnahmen jenen
zimftlerischen Strickes, jenen Gesellenanfständen, an denen das verflossene
Jahrhundert so reich ist, ein Paroli zu biegen. Ich lasse dahingestellt, ob
die in unsern Tagen geplante Wiedereinführung der Zeugnisse und Arbeits¬
bücher, sowie die kriminelle Bestrafung des Kontraktbruches unserer krank da¬
niederliegen Industrie irgendwie Genesung schaffen wird*); die Mißstände im
Gewerbeleben der Zunftzeit vermochten weder Reichszunftordnung, noch landes¬
herrliche Spezialerlasse abzustellen. Selbst die am Schlüsse des Reichsdekrets
vom 16. Aug. 1731 ausgesprochene Drohung bei Nichtbeachtung des Gesetzes
"alle Zünfte insgesammt und überhaupt völlig aufzuheben und
abzuschaffen" erwies sich als wirkungslos. Die Reichszunftordnung stieß
eben überall auf heftigen Widerstand. Auf der einen Seite opponirte der ge¬
summte Handwerkerstand sehr energisch dagegen, weil das Gesetz ihm alle
statutarischen Rechte raubte, auf der andern Seite ließen es die Fürsten und
insbesondere die reichsfreien Städte an dem rechten Eifer zur Durchführung
des Reichsbeschlusses fehlen, ja mehrere publizirten denselben nicht einmal, und
nur Brandenburg machte eine rühmliche Ausnahme, indem die Behörden ihn
dort streng zur Ausführung brachten. So wurde auch das Lehrlingswesen der
Zunftzeit, durch dieses sorgsam ausgearbeitete Gesetz, das zum ersten Male
dem zünftigen Gewerbewesen eine einheitliche, sür ganz Deutschland gültige Ord¬
nung gab, wenig berührt; es blieb, was es gewesen war: eine Schranke auf
dem dornenvollen Wege der Zulassung zum Meisterrecht.


Hans Warnow.



D. Red. *) Darum handelt es sich bei der Frage nicht.
Grenzboten 1. 1878.44

Wir haben es hier mit einer Einrichtung zu thun, die lebhaft an die von
gewisser Seite geforderte Wiedereinführung der Arbeitsbücher erinnert. Wie
man heutzutage über die Zügellosigkeit der arbeitenden Klassen, über die Un¬
lust zur Arbeit, über den häusigen Bruch des Arbeitsvertrages klagt und von
einer Revision der Gewerbeordnung Abhülfe gegen alle diese Uebelstände er¬
wartet, so versuchte man auch vor nunmehr fast 150 Jahren auf ähnlichem
Wege eine Regeneration des durch und durch korrumpirten Gesellenstcmdes
herbeizuführen und durch von oben herab in Szene gesetzte Maßnahmen jenen
zimftlerischen Strickes, jenen Gesellenanfständen, an denen das verflossene
Jahrhundert so reich ist, ein Paroli zu biegen. Ich lasse dahingestellt, ob
die in unsern Tagen geplante Wiedereinführung der Zeugnisse und Arbeits¬
bücher, sowie die kriminelle Bestrafung des Kontraktbruches unserer krank da¬
niederliegen Industrie irgendwie Genesung schaffen wird*); die Mißstände im
Gewerbeleben der Zunftzeit vermochten weder Reichszunftordnung, noch landes¬
herrliche Spezialerlasse abzustellen. Selbst die am Schlüsse des Reichsdekrets
vom 16. Aug. 1731 ausgesprochene Drohung bei Nichtbeachtung des Gesetzes
„alle Zünfte insgesammt und überhaupt völlig aufzuheben und
abzuschaffen" erwies sich als wirkungslos. Die Reichszunftordnung stieß
eben überall auf heftigen Widerstand. Auf der einen Seite opponirte der ge¬
summte Handwerkerstand sehr energisch dagegen, weil das Gesetz ihm alle
statutarischen Rechte raubte, auf der andern Seite ließen es die Fürsten und
insbesondere die reichsfreien Städte an dem rechten Eifer zur Durchführung
des Reichsbeschlusses fehlen, ja mehrere publizirten denselben nicht einmal, und
nur Brandenburg machte eine rühmliche Ausnahme, indem die Behörden ihn
dort streng zur Ausführung brachten. So wurde auch das Lehrlingswesen der
Zunftzeit, durch dieses sorgsam ausgearbeitete Gesetz, das zum ersten Male
dem zünftigen Gewerbewesen eine einheitliche, sür ganz Deutschland gültige Ord¬
nung gab, wenig berührt; es blieb, was es gewesen war: eine Schranke auf
dem dornenvollen Wege der Zulassung zum Meisterrecht.


Hans Warnow.



D. Red. *) Darum handelt es sich bei der Frage nicht.
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[0353] Wir haben es hier mit einer Einrichtung zu thun, die lebhaft an die von gewisser Seite geforderte Wiedereinführung der Arbeitsbücher erinnert. Wie man heutzutage über die Zügellosigkeit der arbeitenden Klassen, über die Un¬ lust zur Arbeit, über den häusigen Bruch des Arbeitsvertrages klagt und von einer Revision der Gewerbeordnung Abhülfe gegen alle diese Uebelstände er¬ wartet, so versuchte man auch vor nunmehr fast 150 Jahren auf ähnlichem Wege eine Regeneration des durch und durch korrumpirten Gesellenstcmdes herbeizuführen und durch von oben herab in Szene gesetzte Maßnahmen jenen zimftlerischen Strickes, jenen Gesellenanfständen, an denen das verflossene Jahrhundert so reich ist, ein Paroli zu biegen. Ich lasse dahingestellt, ob die in unsern Tagen geplante Wiedereinführung der Zeugnisse und Arbeits¬ bücher, sowie die kriminelle Bestrafung des Kontraktbruches unserer krank da¬ niederliegen Industrie irgendwie Genesung schaffen wird*); die Mißstände im Gewerbeleben der Zunftzeit vermochten weder Reichszunftordnung, noch landes¬ herrliche Spezialerlasse abzustellen. Selbst die am Schlüsse des Reichsdekrets vom 16. Aug. 1731 ausgesprochene Drohung bei Nichtbeachtung des Gesetzes „alle Zünfte insgesammt und überhaupt völlig aufzuheben und abzuschaffen" erwies sich als wirkungslos. Die Reichszunftordnung stieß eben überall auf heftigen Widerstand. Auf der einen Seite opponirte der ge¬ summte Handwerkerstand sehr energisch dagegen, weil das Gesetz ihm alle statutarischen Rechte raubte, auf der andern Seite ließen es die Fürsten und insbesondere die reichsfreien Städte an dem rechten Eifer zur Durchführung des Reichsbeschlusses fehlen, ja mehrere publizirten denselben nicht einmal, und nur Brandenburg machte eine rühmliche Ausnahme, indem die Behörden ihn dort streng zur Ausführung brachten. So wurde auch das Lehrlingswesen der Zunftzeit, durch dieses sorgsam ausgearbeitete Gesetz, das zum ersten Male dem zünftigen Gewerbewesen eine einheitliche, sür ganz Deutschland gültige Ord¬ nung gab, wenig berührt; es blieb, was es gewesen war: eine Schranke auf dem dornenvollen Wege der Zulassung zum Meisterrecht. Hans Warnow. D. Red. *) Darum handelt es sich bei der Frage nicht. Grenzboten 1. 1878.44

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/353>, abgerufen am 15.05.2024.