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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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i. e. S. und die deutsche Partei, kann nur den ganz Unerfahrenen irre führen.
Näher betrachtet, besteht in der That zwischen dem in der "deutschen Partei"
sitzenden Ministerialrath und dem Regieruugsdirektor in der Regierungspartei
kein anderer Unterschied, als daß der letztere seine Stellung zur Regierung offen
beim rechten Namen nennt.

Natürlich kann unter solchen Umständen das Ministerium bei keinem
seiner Akte die Verantwortung dem angeblichen Willen der Volksvertretung
zuschieben, da diese ja nichts anderes ist, als der Spiegelreflex der Regierung
selbst. Dieser Zustand muß vor Allem seine Wirkungen gegenüber dem Reich
äußern. Hier läßt sich nun nicht verkennen, daß die Macht der Zeit in
Württemberg bereits Großes geleistet hat. Partikularistische Exzesse, wie in
Sachsen, sind bei uns kaum mehr möglich, weniger wegen des Einflusses der
Ständekammer, wie wir so eben gesehen haben, als weil der dermalige Leiter
der württembergischen Politik mit staatsmännischem Blick längst erkannt hat,
daß mit Nörgeleien dem Reich gegenüber keine Erfolge zu erzielen sind. Dazu
kommen dann noch andere politische Faktoren. Ein reichsfeindlicher partiknla-
ristischer Hofadel wie in Sachsen existirt in Württemberg nicht, im Gegentheil
hat die ehemalige freie Neichsritterschaft ebenso wie ein großer Theil des
Standesherrlichen Adels -- wir erinnern nur an die verschiedenen Hohenlohe-
schen Linien -- die Wiederaufrichtung des Reichs mit einer lebendigen Freude
begrüßt, welche in Württemberg bis in die neueste Zeit nicht ohne Mißtrauen
beobachtet wurde. Dazu kommt die politische Jsolirung unseres zwischen Bayern
und Baden eingekeilten Landes. Das intime, sogen, engere Bündniß, welches
in allen wichtigen Fragen der Reichspolitik zwischen Preußen und Bayern be¬
steht, und seinen Einfluß anch auf die Stellung der bayrischen Reichstagsab¬
geordneten in den maßgebenden Fraktionen des Reichstags äußert, ist längst
kein Geheimniß mehr; Bayern hat erkannt, daß ihm das Zusammengehen mit
Preußen, namentlich bei Interessenfragen ungleich mehr zu bieten im Stande
ist, als eine Allianz mit Sachsen und Württemberg im Bundesrath. Baden
aber, das mit seinen gesunden inneren Verhältnissen Württemberg längst als
Muster dienen sollte, geht in der Reichspolitik einen so festen und sichern Gang,
daß das Gewicht Württembergs nicht im Staude ist, eine Abweichung in der
politischen Gravitation jenes Staats herbei zu führen. So steht Württemberg
unter den Mittelstaaten ziemlich allein -- und sein Einfluß in Berlin ist sehr
gering, wenn es auch nicht der mehrdeutigen Aufmerksamkeit begegnet, mit
welcher die sächsische Regierung nicht ohne Grund dort ausgezeichnet wird.

Die Allmacht des wttrttembergischen Ministeriums nach Innen steht hier¬
nach gerade im umgekehrten Verhältniß zu seinem Einflüsse nach Außen. Daraus
erklärt sich die Maxime der gegenwärtigen Regierung, im Wesentlichen der


i. e. S. und die deutsche Partei, kann nur den ganz Unerfahrenen irre führen.
Näher betrachtet, besteht in der That zwischen dem in der „deutschen Partei"
sitzenden Ministerialrath und dem Regieruugsdirektor in der Regierungspartei
kein anderer Unterschied, als daß der letztere seine Stellung zur Regierung offen
beim rechten Namen nennt.

Natürlich kann unter solchen Umständen das Ministerium bei keinem
seiner Akte die Verantwortung dem angeblichen Willen der Volksvertretung
zuschieben, da diese ja nichts anderes ist, als der Spiegelreflex der Regierung
selbst. Dieser Zustand muß vor Allem seine Wirkungen gegenüber dem Reich
äußern. Hier läßt sich nun nicht verkennen, daß die Macht der Zeit in
Württemberg bereits Großes geleistet hat. Partikularistische Exzesse, wie in
Sachsen, sind bei uns kaum mehr möglich, weniger wegen des Einflusses der
Ständekammer, wie wir so eben gesehen haben, als weil der dermalige Leiter
der württembergischen Politik mit staatsmännischem Blick längst erkannt hat,
daß mit Nörgeleien dem Reich gegenüber keine Erfolge zu erzielen sind. Dazu
kommen dann noch andere politische Faktoren. Ein reichsfeindlicher partiknla-
ristischer Hofadel wie in Sachsen existirt in Württemberg nicht, im Gegentheil
hat die ehemalige freie Neichsritterschaft ebenso wie ein großer Theil des
Standesherrlichen Adels — wir erinnern nur an die verschiedenen Hohenlohe-
schen Linien — die Wiederaufrichtung des Reichs mit einer lebendigen Freude
begrüßt, welche in Württemberg bis in die neueste Zeit nicht ohne Mißtrauen
beobachtet wurde. Dazu kommt die politische Jsolirung unseres zwischen Bayern
und Baden eingekeilten Landes. Das intime, sogen, engere Bündniß, welches
in allen wichtigen Fragen der Reichspolitik zwischen Preußen und Bayern be¬
steht, und seinen Einfluß anch auf die Stellung der bayrischen Reichstagsab¬
geordneten in den maßgebenden Fraktionen des Reichstags äußert, ist längst
kein Geheimniß mehr; Bayern hat erkannt, daß ihm das Zusammengehen mit
Preußen, namentlich bei Interessenfragen ungleich mehr zu bieten im Stande
ist, als eine Allianz mit Sachsen und Württemberg im Bundesrath. Baden
aber, das mit seinen gesunden inneren Verhältnissen Württemberg längst als
Muster dienen sollte, geht in der Reichspolitik einen so festen und sichern Gang,
daß das Gewicht Württembergs nicht im Staude ist, eine Abweichung in der
politischen Gravitation jenes Staats herbei zu führen. So steht Württemberg
unter den Mittelstaaten ziemlich allein — und sein Einfluß in Berlin ist sehr
gering, wenn es auch nicht der mehrdeutigen Aufmerksamkeit begegnet, mit
welcher die sächsische Regierung nicht ohne Grund dort ausgezeichnet wird.

Die Allmacht des wttrttembergischen Ministeriums nach Innen steht hier¬
nach gerade im umgekehrten Verhältniß zu seinem Einflüsse nach Außen. Daraus
erklärt sich die Maxime der gegenwärtigen Regierung, im Wesentlichen der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/37>, abgerufen am 15.05.2024.