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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Mademoiselle, Ihnen zugedacht hat. Sie sollen den Poeten mit den zärtlichsten
Empfindungen von himmlischer Unschuld und Liebe beseelen; Sie sollen seine
Seele mit großen Gedanken erfüllen, jedes Glück zu verachten, das nur
irdisch ist. Das ist das himmlische Vorrecht der Tugend, daß sie die Herzen
der Jünglinge durch süße Blicke zu erhabenen Unternehmungen geschickter macht.
Dadurch bekommen Sie an dem Werk der Erlösung Antheil. Die Nach¬
welt wird den Messias nie lesen, ohne mit dem zweiten Gedanken aus Sie zu
fallen. Ganze Nationen, die göttliche Gedanken und Empfindungen
darin lernen werden, welche sie mit dem Mittler vereinigen und zu
dem versöhnten Gott erheben, werden Ihnen dann nicht das Gedicht
allein, sondern die Seligkeit mit danken,- welche sie durch das Gedicht ge¬
sunden haben. Welche Last von Glückseligkeit ist daran gelegen, daß der Poet
das große Vorhaben vollende! Wie ostbar ist sein Leben Welten, die noch
nicht geboren sind! Wenn das Werk der Erlösung durch den Poeten nicht zu
Ende gebracht würde, so würde es bei mir einen Kummer verursachen, als
wenn etwa Satan seine finstere Entschließung gelungen wäre, den Messias zu
tödten und die Erlösung des Menschengeschlechts zu hintertreiben."

So schrieb nicht ein unbärtiger Knabe, sondern ein Mann von 50 Jahren.
Uns kommt der Brief lächerlich vor: für jene Zeit war er die Ankündigung
einer neuen Kulturperiode.

Der Liebende dachte über den Erfolg jenes Gefühlsausbruchs kühler als
sein Vertrauter.

"Klopstock", schreibt Bodmer, "ist ein sonderbarer Liebhaber: er hat
nicht das Herz gehabt, meinen Brief an seine Geliebte derselben zuzustellen.
Er schreibt Oden an sie, die ein Seraph einem Seraph schreiben dürfte: her¬
nach hat er das Herz nicht, sie ihr zu übergeben." -- "Würde dieser göttliche
Poet nicht durch seine göttliche Geliebte daheim behalten, so wollte ich ihn in
mein Haus nehmen, daß er seinen Messias bei mir in der stillsten Ruhe
vollendete."

Auch nach anderen Seiten suchte Klopstock anzuknüpfen. Durch Giseke,
der nach Hamburg abging, 29. Sept., schickte er an Hagedorn seine Oden:
"sag' ihm, daß ich ihn liebe wie du." Er hoffte von ihm eine Empfehlung
an den Hof von Se. James; dasselbe hoffte er von Haller. Von beiden Seiten
war die Aufnahme kühl, namentlich Hagedorn wußte mit der neuen Dich-
tungsart nichts anzufangen.

"Uns", schreibt Haller in den Gött.-Gek.-Anz., ist diese neue Art von -
deutschen Versen gar nicht anstößig, obgleich Andre sein mögen, denen die
vielen Daktylen hüpfend und die Spondeen holpricht vorkommen. Wir lassen
uns dadurch gar nicht hindern, eine ungemein nachdrückliche poetische und er-


Mademoiselle, Ihnen zugedacht hat. Sie sollen den Poeten mit den zärtlichsten
Empfindungen von himmlischer Unschuld und Liebe beseelen; Sie sollen seine
Seele mit großen Gedanken erfüllen, jedes Glück zu verachten, das nur
irdisch ist. Das ist das himmlische Vorrecht der Tugend, daß sie die Herzen
der Jünglinge durch süße Blicke zu erhabenen Unternehmungen geschickter macht.
Dadurch bekommen Sie an dem Werk der Erlösung Antheil. Die Nach¬
welt wird den Messias nie lesen, ohne mit dem zweiten Gedanken aus Sie zu
fallen. Ganze Nationen, die göttliche Gedanken und Empfindungen
darin lernen werden, welche sie mit dem Mittler vereinigen und zu
dem versöhnten Gott erheben, werden Ihnen dann nicht das Gedicht
allein, sondern die Seligkeit mit danken,- welche sie durch das Gedicht ge¬
sunden haben. Welche Last von Glückseligkeit ist daran gelegen, daß der Poet
das große Vorhaben vollende! Wie ostbar ist sein Leben Welten, die noch
nicht geboren sind! Wenn das Werk der Erlösung durch den Poeten nicht zu
Ende gebracht würde, so würde es bei mir einen Kummer verursachen, als
wenn etwa Satan seine finstere Entschließung gelungen wäre, den Messias zu
tödten und die Erlösung des Menschengeschlechts zu hintertreiben."

So schrieb nicht ein unbärtiger Knabe, sondern ein Mann von 50 Jahren.
Uns kommt der Brief lächerlich vor: für jene Zeit war er die Ankündigung
einer neuen Kulturperiode.

Der Liebende dachte über den Erfolg jenes Gefühlsausbruchs kühler als
sein Vertrauter.

„Klopstock", schreibt Bodmer, „ist ein sonderbarer Liebhaber: er hat
nicht das Herz gehabt, meinen Brief an seine Geliebte derselben zuzustellen.
Er schreibt Oden an sie, die ein Seraph einem Seraph schreiben dürfte: her¬
nach hat er das Herz nicht, sie ihr zu übergeben." — „Würde dieser göttliche
Poet nicht durch seine göttliche Geliebte daheim behalten, so wollte ich ihn in
mein Haus nehmen, daß er seinen Messias bei mir in der stillsten Ruhe
vollendete."

Auch nach anderen Seiten suchte Klopstock anzuknüpfen. Durch Giseke,
der nach Hamburg abging, 29. Sept., schickte er an Hagedorn seine Oden:
„sag' ihm, daß ich ihn liebe wie du." Er hoffte von ihm eine Empfehlung
an den Hof von Se. James; dasselbe hoffte er von Haller. Von beiden Seiten
war die Aufnahme kühl, namentlich Hagedorn wußte mit der neuen Dich-
tungsart nichts anzufangen.

„Uns", schreibt Haller in den Gött.-Gek.-Anz., ist diese neue Art von -
deutschen Versen gar nicht anstößig, obgleich Andre sein mögen, denen die
vielen Daktylen hüpfend und die Spondeen holpricht vorkommen. Wir lassen
uns dadurch gar nicht hindern, eine ungemein nachdrückliche poetische und er-


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[0386] Mademoiselle, Ihnen zugedacht hat. Sie sollen den Poeten mit den zärtlichsten Empfindungen von himmlischer Unschuld und Liebe beseelen; Sie sollen seine Seele mit großen Gedanken erfüllen, jedes Glück zu verachten, das nur irdisch ist. Das ist das himmlische Vorrecht der Tugend, daß sie die Herzen der Jünglinge durch süße Blicke zu erhabenen Unternehmungen geschickter macht. Dadurch bekommen Sie an dem Werk der Erlösung Antheil. Die Nach¬ welt wird den Messias nie lesen, ohne mit dem zweiten Gedanken aus Sie zu fallen. Ganze Nationen, die göttliche Gedanken und Empfindungen darin lernen werden, welche sie mit dem Mittler vereinigen und zu dem versöhnten Gott erheben, werden Ihnen dann nicht das Gedicht allein, sondern die Seligkeit mit danken,- welche sie durch das Gedicht ge¬ sunden haben. Welche Last von Glückseligkeit ist daran gelegen, daß der Poet das große Vorhaben vollende! Wie ostbar ist sein Leben Welten, die noch nicht geboren sind! Wenn das Werk der Erlösung durch den Poeten nicht zu Ende gebracht würde, so würde es bei mir einen Kummer verursachen, als wenn etwa Satan seine finstere Entschließung gelungen wäre, den Messias zu tödten und die Erlösung des Menschengeschlechts zu hintertreiben." So schrieb nicht ein unbärtiger Knabe, sondern ein Mann von 50 Jahren. Uns kommt der Brief lächerlich vor: für jene Zeit war er die Ankündigung einer neuen Kulturperiode. Der Liebende dachte über den Erfolg jenes Gefühlsausbruchs kühler als sein Vertrauter. „Klopstock", schreibt Bodmer, „ist ein sonderbarer Liebhaber: er hat nicht das Herz gehabt, meinen Brief an seine Geliebte derselben zuzustellen. Er schreibt Oden an sie, die ein Seraph einem Seraph schreiben dürfte: her¬ nach hat er das Herz nicht, sie ihr zu übergeben." — „Würde dieser göttliche Poet nicht durch seine göttliche Geliebte daheim behalten, so wollte ich ihn in mein Haus nehmen, daß er seinen Messias bei mir in der stillsten Ruhe vollendete." Auch nach anderen Seiten suchte Klopstock anzuknüpfen. Durch Giseke, der nach Hamburg abging, 29. Sept., schickte er an Hagedorn seine Oden: „sag' ihm, daß ich ihn liebe wie du." Er hoffte von ihm eine Empfehlung an den Hof von Se. James; dasselbe hoffte er von Haller. Von beiden Seiten war die Aufnahme kühl, namentlich Hagedorn wußte mit der neuen Dich- tungsart nichts anzufangen. „Uns", schreibt Haller in den Gött.-Gek.-Anz., ist diese neue Art von - deutschen Versen gar nicht anstößig, obgleich Andre sein mögen, denen die vielen Daktylen hüpfend und die Spondeen holpricht vorkommen. Wir lassen uns dadurch gar nicht hindern, eine ungemein nachdrückliche poetische und er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/386>, abgerufen am 13.05.2024.