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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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mit einer entsprechenden Zahl von Ressortchefs zu setzen. Allein eine solche
Maßregel, so dachte man in Stuttgart, mochte wohl für ein Großherzogthum,
wie Baden oder Hessen, angehen, für ein Königreich von 1^ Millionen Seelen
wäre dieß dagegen ein Niedersteigen von einer höheren Rangstufe gewesen
Thatsächlich hatten wir allerdings schon seit mehreren Jahren nur noch einen
Minister im bisherigen Sinn, insofern Herr von Mittnacht nicht nur die beiden
Departements der Justiz und der auswärtigen Angelegenheiten und daneben
den so außerordentlich einflußreichen Ressort der Verkehrsanstalten in seiner
Person vereinigte, sondern auch unter den Ministern allein den persönlichen
Verkehr zwischen Stuttgart und Berlin vermittelte. Er allein hatte in Berlin
festen Fuß -- die ständigen Vertreter der Regierung daselbst kommen weder
als Fachmänner noch als Politiker irgendwie in Betracht -- und die anderen
Minister konnten sich daher nur durch seine Vermittlung über die Situation
in Berlin orientiren. Dieser thatsächliche Zustand sollte nun aber auch formell
durch ein neues Verfassungsgesetz -- das Gesetz über die Bildung des Staats¬
ministeriums -- sanktionirt werden, ohne daß für die oberflächliche Betrachtung
an dem seitherigen Zustand etwas erhebliches geändert wurde, insofern die
bisherigen Minister auch fernerhin im Besitz ihres Titels, Rangs und Gehalts
verbleiben, und nur Herr v. Mittnacht durch die neugeschaffene Stellung eines
Präsidenten des Staats Ministeriums um eine Stufe erhöht wurde. Neben
der so erhöhten Machtstellung, welche die ihm ausschließlich übertragene
"Leitung der Geschäfte des Staatsministeriums" -- ein sehr dehnbarer Begriff
-- involoirte, gewährte ein weiterer Artikel dem Ministerpräsidenten noch das
Mittel, während seiner Abwesenheit in Berlin durch das Institut der beigegebenen
ständigen Räthe die Kollegen zu überwachen und sich gegen etwaige Intriguen,
soweit möglich, den Rücken zu decken. Während so an die Stelle des vielköpfigen
Ministeriums thatsächlich ein einziger Staatsminister, wie in Baden gesetzt
wurde, wußte Herr v. Mittnacht mit köstlichem Humor auch noch unsere auf
die Vielzahl der Ministerien stolzen Partikularisten zu befriedigen, indem er
durch Verfassungsgesetz eine alte Kontroverse dahin entscheiden ließ, daß die
Zahl der Departements nur durch ein Gesetz fernerhin solle geändert (vermin¬
dert) werden können! Herr v. Mittnacht that aber auch noch einen Schritt
weiter: er unternahm es, den württembergischen Geheimrath aus der Welt zu
schaffen. Hier sollte er aber zum ersten mal auf einen Widerstand stoßen, der
einen höchst interessanten Einblick in die schwäbischen Verhältnisse gewährte,
zugleich aber dem Ministerpräsidenten Gelegenheit gab, eine neue Probe seiner
staatsmcinuischen Gewandtheit abzulegen. Bisher war der Geheimerath, ein
altes mit der Verfassung des ehemaligen Herzogthums Württemberg im engsten
Zusammenhang stehendes Institut, die höchste, unmittelbar unter dem König


mit einer entsprechenden Zahl von Ressortchefs zu setzen. Allein eine solche
Maßregel, so dachte man in Stuttgart, mochte wohl für ein Großherzogthum,
wie Baden oder Hessen, angehen, für ein Königreich von 1^ Millionen Seelen
wäre dieß dagegen ein Niedersteigen von einer höheren Rangstufe gewesen
Thatsächlich hatten wir allerdings schon seit mehreren Jahren nur noch einen
Minister im bisherigen Sinn, insofern Herr von Mittnacht nicht nur die beiden
Departements der Justiz und der auswärtigen Angelegenheiten und daneben
den so außerordentlich einflußreichen Ressort der Verkehrsanstalten in seiner
Person vereinigte, sondern auch unter den Ministern allein den persönlichen
Verkehr zwischen Stuttgart und Berlin vermittelte. Er allein hatte in Berlin
festen Fuß — die ständigen Vertreter der Regierung daselbst kommen weder
als Fachmänner noch als Politiker irgendwie in Betracht — und die anderen
Minister konnten sich daher nur durch seine Vermittlung über die Situation
in Berlin orientiren. Dieser thatsächliche Zustand sollte nun aber auch formell
durch ein neues Verfassungsgesetz — das Gesetz über die Bildung des Staats¬
ministeriums — sanktionirt werden, ohne daß für die oberflächliche Betrachtung
an dem seitherigen Zustand etwas erhebliches geändert wurde, insofern die
bisherigen Minister auch fernerhin im Besitz ihres Titels, Rangs und Gehalts
verbleiben, und nur Herr v. Mittnacht durch die neugeschaffene Stellung eines
Präsidenten des Staats Ministeriums um eine Stufe erhöht wurde. Neben
der so erhöhten Machtstellung, welche die ihm ausschließlich übertragene
„Leitung der Geschäfte des Staatsministeriums" — ein sehr dehnbarer Begriff
— involoirte, gewährte ein weiterer Artikel dem Ministerpräsidenten noch das
Mittel, während seiner Abwesenheit in Berlin durch das Institut der beigegebenen
ständigen Räthe die Kollegen zu überwachen und sich gegen etwaige Intriguen,
soweit möglich, den Rücken zu decken. Während so an die Stelle des vielköpfigen
Ministeriums thatsächlich ein einziger Staatsminister, wie in Baden gesetzt
wurde, wußte Herr v. Mittnacht mit köstlichem Humor auch noch unsere auf
die Vielzahl der Ministerien stolzen Partikularisten zu befriedigen, indem er
durch Verfassungsgesetz eine alte Kontroverse dahin entscheiden ließ, daß die
Zahl der Departements nur durch ein Gesetz fernerhin solle geändert (vermin¬
dert) werden können! Herr v. Mittnacht that aber auch noch einen Schritt
weiter: er unternahm es, den württembergischen Geheimrath aus der Welt zu
schaffen. Hier sollte er aber zum ersten mal auf einen Widerstand stoßen, der
einen höchst interessanten Einblick in die schwäbischen Verhältnisse gewährte,
zugleich aber dem Ministerpräsidenten Gelegenheit gab, eine neue Probe seiner
staatsmcinuischen Gewandtheit abzulegen. Bisher war der Geheimerath, ein
altes mit der Verfassung des ehemaligen Herzogthums Württemberg im engsten
Zusammenhang stehendes Institut, die höchste, unmittelbar unter dem König


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[0039] mit einer entsprechenden Zahl von Ressortchefs zu setzen. Allein eine solche Maßregel, so dachte man in Stuttgart, mochte wohl für ein Großherzogthum, wie Baden oder Hessen, angehen, für ein Königreich von 1^ Millionen Seelen wäre dieß dagegen ein Niedersteigen von einer höheren Rangstufe gewesen Thatsächlich hatten wir allerdings schon seit mehreren Jahren nur noch einen Minister im bisherigen Sinn, insofern Herr von Mittnacht nicht nur die beiden Departements der Justiz und der auswärtigen Angelegenheiten und daneben den so außerordentlich einflußreichen Ressort der Verkehrsanstalten in seiner Person vereinigte, sondern auch unter den Ministern allein den persönlichen Verkehr zwischen Stuttgart und Berlin vermittelte. Er allein hatte in Berlin festen Fuß — die ständigen Vertreter der Regierung daselbst kommen weder als Fachmänner noch als Politiker irgendwie in Betracht — und die anderen Minister konnten sich daher nur durch seine Vermittlung über die Situation in Berlin orientiren. Dieser thatsächliche Zustand sollte nun aber auch formell durch ein neues Verfassungsgesetz — das Gesetz über die Bildung des Staats¬ ministeriums — sanktionirt werden, ohne daß für die oberflächliche Betrachtung an dem seitherigen Zustand etwas erhebliches geändert wurde, insofern die bisherigen Minister auch fernerhin im Besitz ihres Titels, Rangs und Gehalts verbleiben, und nur Herr v. Mittnacht durch die neugeschaffene Stellung eines Präsidenten des Staats Ministeriums um eine Stufe erhöht wurde. Neben der so erhöhten Machtstellung, welche die ihm ausschließlich übertragene „Leitung der Geschäfte des Staatsministeriums" — ein sehr dehnbarer Begriff — involoirte, gewährte ein weiterer Artikel dem Ministerpräsidenten noch das Mittel, während seiner Abwesenheit in Berlin durch das Institut der beigegebenen ständigen Räthe die Kollegen zu überwachen und sich gegen etwaige Intriguen, soweit möglich, den Rücken zu decken. Während so an die Stelle des vielköpfigen Ministeriums thatsächlich ein einziger Staatsminister, wie in Baden gesetzt wurde, wußte Herr v. Mittnacht mit köstlichem Humor auch noch unsere auf die Vielzahl der Ministerien stolzen Partikularisten zu befriedigen, indem er durch Verfassungsgesetz eine alte Kontroverse dahin entscheiden ließ, daß die Zahl der Departements nur durch ein Gesetz fernerhin solle geändert (vermin¬ dert) werden können! Herr v. Mittnacht that aber auch noch einen Schritt weiter: er unternahm es, den württembergischen Geheimrath aus der Welt zu schaffen. Hier sollte er aber zum ersten mal auf einen Widerstand stoßen, der einen höchst interessanten Einblick in die schwäbischen Verhältnisse gewährte, zugleich aber dem Ministerpräsidenten Gelegenheit gab, eine neue Probe seiner staatsmcinuischen Gewandtheit abzulegen. Bisher war der Geheimerath, ein altes mit der Verfassung des ehemaligen Herzogthums Württemberg im engsten Zusammenhang stehendes Institut, die höchste, unmittelbar unter dem König

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/39>, abgerufen am 15.05.2024.