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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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sagen, bald setzt er, wenn derselbe Ausdruck im Texte zweimal vorkommt, die
Anmerkung, die W. dann selbstverständlich an der ersten Stelle giebt, an die zweite;
in anderen Fällen begnügt er sich damit, die W.'sche Anmerkung zu verstüm¬
meln, oder aber, er macht kurzen Prozeß und giebt überhaupt nichts zur Er¬
klärung, und dies gewöhnlich gerade da, wo es am allernothwendigsten wäre.
Naheliegenden und zutreffenden Parallelstellen im Kommentar seines Vor¬
gängers geht er geflissentlich aus dem Wege und ersetzt sie durch unpassende.
Zu den Worten des Bauern z. B. I, 1: "Wollt er ihm das Bad gesegnet
haben" verweist W. auf die Worte Baumgartens im "Tell": "Und mit der
Axt hab' ich ihm's Bad gesegnet" -- N. führt statt dessen als Parallelstelle
an aus "Wallensteins Lager": "Prost Mahlzeit! Da fällt das Ganze gleich."
Zu I, 5 "Es soll ein Tag ausgesetzt werden" vergleicht W. eine Stelle aus
einer Voß'schen Idylle: "Denn Johannis hat meine Treuer ausgesetzt zur Hoch¬
zeitsfeier". N. dagegen ans "Dichtung und Wahrheit": "Das Einzige halte
ich mir aus." Zu den Worten Metzler's V. 1: "Das fühlen sie und werden
schwierig" zitirt W. Egmont II, 2: "Das Volk wird höchst schwierig werden",
dagegen N. aus der "Jungfrau von Orleans": "Er war ein stolz verdrießlich
schwerer Narr" u. s. w. Man sieht: um nicht abschreiben zu müssen, nimmt
Naumann lieber seine Zuflucht zu Parallelstellen, die wie die Faust auf's
Auge passen. Ein Prinzip, wonach die eine Anmerkung dasteht und die an¬
dere nicht, ist nirgends zu entdecken. Das einzige erkennbare Prinzip ist das,
mit der anderen Ausgabe womöglich nicht zu kollidiren.

Was der Herausgeber von eigenen Anmerkungen beibringt, ist meistens
entweder überflüssig (wie wenn er I, 1 "Glatze" durch "kahler Kopf", "wir
müssen fort" dnrch "wir müssen fortgehen" erklärt, oder wenn er Hallelujah,
Castor und Pollux, Vettel, Cupido und ähnliches erläutert) oder zieht nicht
zur Sache gehöriges herbei (dies ist namentlich in Worterklärungen der Fall,
in denen unter a, b, c alle möglichen Bedeutungen, die das betreffende Wort
an dieser Stelle gar nicht hat, aufgezählt werden, so bei Fratz, Bengel, Kund¬
schaft, Terminen, loh :e.) oder endlich es ist geradezu falsch. I, 2 zu dem
Klostermauer Se. Veit verweist Naumann auf das Ende des ersten Aktes,
wo Weisungen sagt: "Ich will Bamberg nicht sehen, und wenn Sankt Veit
in Person meiner begehrte." An der zweiten Stelle aber bedeutet Se. Veit
gar nicht den Heiligen, sondern den Teufel (Vgl. im Claudius'schen Rheinwein¬
lied: "Da mag Sankt Veit, der Ritter, Wein sich holen! Wir holen ihn da
nicht!") In der Wustmcmn'schen Ausgabe vermißt man hier eine erklärende
Bemerkung. Ganz verkehrt ist I, 3 das Wort Berlichingens erklärt: "Wo viel
Licht ist, ist starker Schatten." II, 1 erkennt Naumann in der verkürzten
Form Weisung eine Anspielung auf den Schmetterling dieses Namens -- als


sagen, bald setzt er, wenn derselbe Ausdruck im Texte zweimal vorkommt, die
Anmerkung, die W. dann selbstverständlich an der ersten Stelle giebt, an die zweite;
in anderen Fällen begnügt er sich damit, die W.'sche Anmerkung zu verstüm¬
meln, oder aber, er macht kurzen Prozeß und giebt überhaupt nichts zur Er¬
klärung, und dies gewöhnlich gerade da, wo es am allernothwendigsten wäre.
Naheliegenden und zutreffenden Parallelstellen im Kommentar seines Vor¬
gängers geht er geflissentlich aus dem Wege und ersetzt sie durch unpassende.
Zu den Worten des Bauern z. B. I, 1: „Wollt er ihm das Bad gesegnet
haben" verweist W. auf die Worte Baumgartens im „Tell": „Und mit der
Axt hab' ich ihm's Bad gesegnet" — N. führt statt dessen als Parallelstelle
an aus „Wallensteins Lager": „Prost Mahlzeit! Da fällt das Ganze gleich."
Zu I, 5 „Es soll ein Tag ausgesetzt werden" vergleicht W. eine Stelle aus
einer Voß'schen Idylle: „Denn Johannis hat meine Treuer ausgesetzt zur Hoch¬
zeitsfeier". N. dagegen ans „Dichtung und Wahrheit": „Das Einzige halte
ich mir aus." Zu den Worten Metzler's V. 1: „Das fühlen sie und werden
schwierig" zitirt W. Egmont II, 2: „Das Volk wird höchst schwierig werden",
dagegen N. aus der „Jungfrau von Orleans": „Er war ein stolz verdrießlich
schwerer Narr" u. s. w. Man sieht: um nicht abschreiben zu müssen, nimmt
Naumann lieber seine Zuflucht zu Parallelstellen, die wie die Faust auf's
Auge passen. Ein Prinzip, wonach die eine Anmerkung dasteht und die an¬
dere nicht, ist nirgends zu entdecken. Das einzige erkennbare Prinzip ist das,
mit der anderen Ausgabe womöglich nicht zu kollidiren.

Was der Herausgeber von eigenen Anmerkungen beibringt, ist meistens
entweder überflüssig (wie wenn er I, 1 „Glatze" durch „kahler Kopf", „wir
müssen fort" dnrch „wir müssen fortgehen" erklärt, oder wenn er Hallelujah,
Castor und Pollux, Vettel, Cupido und ähnliches erläutert) oder zieht nicht
zur Sache gehöriges herbei (dies ist namentlich in Worterklärungen der Fall,
in denen unter a, b, c alle möglichen Bedeutungen, die das betreffende Wort
an dieser Stelle gar nicht hat, aufgezählt werden, so bei Fratz, Bengel, Kund¬
schaft, Terminen, loh :e.) oder endlich es ist geradezu falsch. I, 2 zu dem
Klostermauer Se. Veit verweist Naumann auf das Ende des ersten Aktes,
wo Weisungen sagt: „Ich will Bamberg nicht sehen, und wenn Sankt Veit
in Person meiner begehrte." An der zweiten Stelle aber bedeutet Se. Veit
gar nicht den Heiligen, sondern den Teufel (Vgl. im Claudius'schen Rheinwein¬
lied: „Da mag Sankt Veit, der Ritter, Wein sich holen! Wir holen ihn da
nicht!") In der Wustmcmn'schen Ausgabe vermißt man hier eine erklärende
Bemerkung. Ganz verkehrt ist I, 3 das Wort Berlichingens erklärt: „Wo viel
Licht ist, ist starker Schatten." II, 1 erkennt Naumann in der verkürzten
Form Weisung eine Anspielung auf den Schmetterling dieses Namens — als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/403>, abgerufen am 15.05.2024.