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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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der dominirenden Linie" durch den Staat, resp, durch das Reich im öffentlichen
Interesse billigen, muß es erwünscht sein, wenn die Verquickung dieses Projekts
mit den Interessen der Börsenspekulanten, wie sie vielfach angestrebt wor¬
den ist, durch die öffentliche Kritik unmöglich gemacht wird. Schade nur,
daß es Herr Engen Richter war, der den Angriff führte! Dieser Herr versteht
es, dnrch cynische Taktlosigkeit und seltene Leichtfertigkeit auch die beste Sache
zu verderben. Sein Versuch, den Handelsminister Ueberhand selbst als mit
der Börse verbündet darzustellen, mißglückte vollständig, weil eben Jedem die
Grundlosigkeit solcher Behauptung bekannt ist. Es hätte vollauf genügt, die¬
jenigen Beamten zu bezeichnen, denen ein Zusammenhang mit Börsenmännern
nachzuweisen ist. Der Minister erwehrte sich ebenso leicht der Beschuldigung,
als besteche er gewisse Preßorgane für seine Eisenbahnpolitik, als suche er die
Privatbahnen absichtlich zu ruiniren, um sie wohlfeil für den Staat zu
kaufen u. f. w. Im Ganzen ging der Sturm glimpflicher vorüber, als er¬
wartet war; die Richterschen Uebertreibungen haben der Regierung den besten
Dienst gethan. Herr Ueberhand wird indeß die positiven Fingerzeige, welche
die Debatte gegeben, wohl nicht unbeachtet lassen.

Bei der dritten Lesung des Etats lebte selbstverständlich auch der Kultur¬
kampf nochmals auf. In der vorigen Session war das Haus bei dieser Ge¬
legenheit von einer sentimentalen Friedensschnsuchtsrede eines Centrnmsmit-
gliedes überrascht worden. Diesmal zog der streitbare Recke Schorlemer mit
seinem ganzen Vorrath an Grobheit und Unverfrorenheit zu Felde. Aber die
großen Worte des westphälischen Freiherrn waren blinder Lärm. Es bedürfte
nur der Konstcitirung des allgemeinen Friedensbedürfnisses durch ein paar
Redner der Majorität, und Herr Windthorst griff sofort mit elegischem Tone
nach allerlei Händen, die ihm gar nicht geboten waren. Dieses fast komische
Empressement des sonst so schlauen Führers der Centrnmspartei, eine Erschei¬
nung, die sich in der gegenwärtigen Session schon mehrmals wiederholt hat,
ist höchst charakteristisch; es beweist am besten, wie unwiderstehlich sich in den
Reihen des Centrums selbst die Erkenntniß von der UnHaltbarkeit der bisherigen
Position des Ultramontanismus aufdrängt. Man kaun unter diesen Umständen
gespannt sein auf die Verhandlung über den vom Centrum eingebrachten An¬
trag betreffs der Marpinger Angelegenheit. Die Antragsteller scheinen selbst
keine Lorbeern davon zu erwarten. Sie haben Wohl nur eiuer dnrch frühere
voreilige Versprechungen selbstgeschaffenen Nothwendigkeit gehorcht.

Auch das Herrenhaus hat sich in der letzten Woche endlich wieder zu
einigen Sitzungen zusammengefunden, um die von seinen Kommissionen vorbe¬
reiteten Angelegenheiten zu erledigen. nennenswert!) sind darunter ein Gesetz
über die Unterbringung verwahrloster Kinder, ein solches über den Holzdieb-


der dominirenden Linie» durch den Staat, resp, durch das Reich im öffentlichen
Interesse billigen, muß es erwünscht sein, wenn die Verquickung dieses Projekts
mit den Interessen der Börsenspekulanten, wie sie vielfach angestrebt wor¬
den ist, durch die öffentliche Kritik unmöglich gemacht wird. Schade nur,
daß es Herr Engen Richter war, der den Angriff führte! Dieser Herr versteht
es, dnrch cynische Taktlosigkeit und seltene Leichtfertigkeit auch die beste Sache
zu verderben. Sein Versuch, den Handelsminister Ueberhand selbst als mit
der Börse verbündet darzustellen, mißglückte vollständig, weil eben Jedem die
Grundlosigkeit solcher Behauptung bekannt ist. Es hätte vollauf genügt, die¬
jenigen Beamten zu bezeichnen, denen ein Zusammenhang mit Börsenmännern
nachzuweisen ist. Der Minister erwehrte sich ebenso leicht der Beschuldigung,
als besteche er gewisse Preßorgane für seine Eisenbahnpolitik, als suche er die
Privatbahnen absichtlich zu ruiniren, um sie wohlfeil für den Staat zu
kaufen u. f. w. Im Ganzen ging der Sturm glimpflicher vorüber, als er¬
wartet war; die Richterschen Uebertreibungen haben der Regierung den besten
Dienst gethan. Herr Ueberhand wird indeß die positiven Fingerzeige, welche
die Debatte gegeben, wohl nicht unbeachtet lassen.

Bei der dritten Lesung des Etats lebte selbstverständlich auch der Kultur¬
kampf nochmals auf. In der vorigen Session war das Haus bei dieser Ge¬
legenheit von einer sentimentalen Friedensschnsuchtsrede eines Centrnmsmit-
gliedes überrascht worden. Diesmal zog der streitbare Recke Schorlemer mit
seinem ganzen Vorrath an Grobheit und Unverfrorenheit zu Felde. Aber die
großen Worte des westphälischen Freiherrn waren blinder Lärm. Es bedürfte
nur der Konstcitirung des allgemeinen Friedensbedürfnisses durch ein paar
Redner der Majorität, und Herr Windthorst griff sofort mit elegischem Tone
nach allerlei Händen, die ihm gar nicht geboten waren. Dieses fast komische
Empressement des sonst so schlauen Führers der Centrnmspartei, eine Erschei¬
nung, die sich in der gegenwärtigen Session schon mehrmals wiederholt hat,
ist höchst charakteristisch; es beweist am besten, wie unwiderstehlich sich in den
Reihen des Centrums selbst die Erkenntniß von der UnHaltbarkeit der bisherigen
Position des Ultramontanismus aufdrängt. Man kaun unter diesen Umständen
gespannt sein auf die Verhandlung über den vom Centrum eingebrachten An¬
trag betreffs der Marpinger Angelegenheit. Die Antragsteller scheinen selbst
keine Lorbeern davon zu erwarten. Sie haben Wohl nur eiuer dnrch frühere
voreilige Versprechungen selbstgeschaffenen Nothwendigkeit gehorcht.

Auch das Herrenhaus hat sich in der letzten Woche endlich wieder zu
einigen Sitzungen zusammengefunden, um die von seinen Kommissionen vorbe¬
reiteten Angelegenheiten zu erledigen. nennenswert!) sind darunter ein Gesetz
über die Unterbringung verwahrloster Kinder, ein solches über den Holzdieb-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/44>, abgerufen am 13.05.2024.