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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Lamettrie griff Haller in einem Libell an, der sich an den Präsidenten
Maupertuis um Satisfaktion wendete. Inzwischen, 11. Nov. 1751, starb
Lamettrie (42 I.), an einer Indigestion, was den Frommen zu sehr tücki¬
schen Angriffen Veranlassung bot. Am glimpflichsten äußerte sich der gottes-
fürchtige Kästner: "Ein gutes Herz, verwirrte Phantasie, das heißt auf deutsch:
ein Narr war Lamettrie." Der König gab ihm eine ehrende Grabschrift.

Durch Lamettrie hatte Voltaire manche bittre Stachelreden des Königs
erfahren: in einem Jahr hoffe er die Zitrone ausgequetscht zu haben, dann
werde er die Schale wegwerfen. Voltaire seinerseits beklagte sich wiederholt,
daß Friedrich nicht aufhöre, ihn seine schmutzige Wäsche waschen zu lassen.
Mit Maupertus, dem Präsidenten der Akademie, stand er lange auf ge¬
spanntem Fuße und schürte unter seinen Gegnern.'

"Voltaire", schreibt der König 29. Dez.1751 an seine Schwester Wilhel¬
mine, "s'sse sonänit oonuns ur>, iusoQg.ut lui; it el, Kul tÄirt as krixormoriss,
HUS, S0Q ssxrit <mi ins ssäuit snsors, ,j'g,nrais ses odliAS (1s Is insttrs
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VoilZ, soiuins ^'s suis 1s soxuists as russ x^ssions."

An demselben Tage gab Voltaire sein "Lisols as I^ouis XIV.^ heraus,
sein Meisterstück auf dem Gebiet der Geschichte; die klare lichtvolle Darstellung,
dies geistvolle aus dem Vollen geschöpfte Urtheil, die künstlerische Ueberwälti-
gung des überreichen Materials hätten die unbefangenen Deutschen überführen
sollen, daß sie in diesem Fach vor den Franzosen noch die Segel zu streichen
hätten. Man konnte es Friedrich nicht verargen, daß er solche Bücher lieber
las als Bünau oder Mascou. Voltaire schrieb in gutem Glauben, das klas¬
sische Zeitalter nicht blos seines Landes sondern der modernen Geschichte zu
schildern, aber er ließ die Kehrseite ebenso stark hervortreten und beschönigte
Nichts. Er hatte seinen historischen Blick in England geschult.

Das Buch hatte eine merkwürdige Einwirkung auf Lessings Leben.
Voltaire's Sekretär hatte ihm die Aushängebogen mitgetheilt, er hatte vergessen,
sie wiederzugeben, und Voltaire klagte ihn der Vernntreung an. Der Verdruß
hat doch etwas zu Lessings Abneigung gegen den Franzosen beigetragen.

Lessing hatte vorläufig das Rezensiren satt; er entfernte sich aus dem ge¬
räuschvollen Berlin nach Wittenberg, um dort in der Stille zu studiren. Vor¬
her (7. Dez. 1751) schoß er wie der fliehende Parther noch einen Pfeil auf
Klopstock ab, der eben seine Sehnsuchts-Ode an die Geliebte hatte drucken


Lamettrie griff Haller in einem Libell an, der sich an den Präsidenten
Maupertuis um Satisfaktion wendete. Inzwischen, 11. Nov. 1751, starb
Lamettrie (42 I.), an einer Indigestion, was den Frommen zu sehr tücki¬
schen Angriffen Veranlassung bot. Am glimpflichsten äußerte sich der gottes-
fürchtige Kästner: „Ein gutes Herz, verwirrte Phantasie, das heißt auf deutsch:
ein Narr war Lamettrie." Der König gab ihm eine ehrende Grabschrift.

Durch Lamettrie hatte Voltaire manche bittre Stachelreden des Königs
erfahren: in einem Jahr hoffe er die Zitrone ausgequetscht zu haben, dann
werde er die Schale wegwerfen. Voltaire seinerseits beklagte sich wiederholt,
daß Friedrich nicht aufhöre, ihn seine schmutzige Wäsche waschen zu lassen.
Mit Maupertus, dem Präsidenten der Akademie, stand er lange auf ge¬
spanntem Fuße und schürte unter seinen Gegnern.'

„Voltaire", schreibt der König 29. Dez.1751 an seine Schwester Wilhel¬
mine, „s'sse sonänit oonuns ur>, iusoQg.ut lui; it el, Kul tÄirt as krixormoriss,
HUS, S0Q ssxrit <mi ins ssäuit snsors, ,j'g,nrais ses odliAS (1s Is insttrs
äsdors." In dem Brief findet sich noch eine sehr bezeichnende Stelle. ,/'a>1 su
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VoilZ, soiuins ^'s suis 1s soxuists as russ x^ssions."

An demselben Tage gab Voltaire sein „Lisols as I^ouis XIV.^ heraus,
sein Meisterstück auf dem Gebiet der Geschichte; die klare lichtvolle Darstellung,
dies geistvolle aus dem Vollen geschöpfte Urtheil, die künstlerische Ueberwälti-
gung des überreichen Materials hätten die unbefangenen Deutschen überführen
sollen, daß sie in diesem Fach vor den Franzosen noch die Segel zu streichen
hätten. Man konnte es Friedrich nicht verargen, daß er solche Bücher lieber
las als Bünau oder Mascou. Voltaire schrieb in gutem Glauben, das klas¬
sische Zeitalter nicht blos seines Landes sondern der modernen Geschichte zu
schildern, aber er ließ die Kehrseite ebenso stark hervortreten und beschönigte
Nichts. Er hatte seinen historischen Blick in England geschult.

Das Buch hatte eine merkwürdige Einwirkung auf Lessings Leben.
Voltaire's Sekretär hatte ihm die Aushängebogen mitgetheilt, er hatte vergessen,
sie wiederzugeben, und Voltaire klagte ihn der Vernntreung an. Der Verdruß
hat doch etwas zu Lessings Abneigung gegen den Franzosen beigetragen.

Lessing hatte vorläufig das Rezensiren satt; er entfernte sich aus dem ge¬
räuschvollen Berlin nach Wittenberg, um dort in der Stille zu studiren. Vor¬
her (7. Dez. 1751) schoß er wie der fliehende Parther noch einen Pfeil auf
Klopstock ab, der eben seine Sehnsuchts-Ode an die Geliebte hatte drucken


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/460>, abgerufen am 13.05.2024.