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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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einer neuen Zeit, mit einem freieren Blick für die Bedürfnisse derselben, fehlt
es ihm nicht an scharfer Beobachtungsgabe. Seine Bemerkungen über die
politischen Richtungen und Bestrebungen unter den Rheinländern geben Zeugniß
dafür. "Deutschkatholiken, Lichtfreunde, Ultramontane, Altlutheraner, Juden¬
reformatoren, Sozialisten, Kommunisten, Radikale, Liberale tauchen überall
auf und stoßen sich gegen einander. Wohin werden wir noch gelangen?" Die
Denkwürdigkeiten bringen uns gerade in dieser Zeit mit einer Menge bedeuten¬
der Persönlichkeiten aus den verschiedensten Kreisen in nahe Berührung.

Bereits im vorgerückten Alter, d. h. über die Sechzig hinaus, zum Vice-
Gouverneur von Mainz ernannt, gelangte von Hllser in eine Stellung, die in
den Wirren der Jahre 1848 und 1849 von hoher Bedeutung wurde und einen
Mann von kluger Besonnenheit, sowie von eiserner Energie verlangte. Nichts
rächt sich in solchen Zeiten mehr, als auch nur die kleinste Schwäche, die so
häufig mit Humanität verwechselt, in ihren Folgen fast immer eben so ver¬
derblich ist, wie der rohe Fanatismus von Blut und Eisen. Von solchen
Schwächeanfällen können wir den damaligen Vice-Gouvdrneur von Mainz
nicht ganz freisprechen. Erwägt man allerdings, daß fast alle Regierungen
damals den Kopf verloren hatten und ihre Organe vielfach im Stiche ließen,
so hat man alle Veranlassung, solche Erscheinungen milder zu beurtheilen.

Am 31. März 1848 feierte von Hüser sein KOjähriges Dienstjubiläum.
Eine solche für einen Soldaten immerhin seltene Feier hat sicher etwas Er¬
hebendes. Wir fürchten jedoch, daß der an diesem Tage vom Jubilar aufge¬
brachte Toast auf seinen Kriegsherrn in die Freude des Festes einen Mißklang
hineingeworfen hat, dessen Schallwellen auch heute noch an unser Ohr schlagen.
Allerdings erhalten wir hierdurch Zeugniß von der Stimmung, wie sie sogar
in Offizierskreisen herrschte. Wir können jedoch nicht umhin zu bemerken, daß
der echte Soldat dergleichen Stimmungen, deren Konsequenzen für jede Armee
Gefahr sind, niemals aufkommen lassen darf.

Gegen Ende 1849 nahm von Hllser seinen Abschied, siedelte nach Berlin
über und verlebte die, letzten sieben Jahre seines Lebens, wenn auch ohne
amtliche Thätigkeit, doch im engen Verkehr mit der Außenwelt, so daß auch die
Aufzeichnungen aus dieser Zeit nicht ohne Interesse sind.

Haben wir der Spur des einleitenden Vorworts zu dem vorbesprochenen
Werke auch nicht immer folgen können, sondern sind mehrfach von derselben
abgewichen, so sprechen wir nichtsdestoweniger dem Professor Dr. Maurenbrecher
unseren Dank dafür aus, daß er die Veröffentlichung der Denkwürdigkeiten
W. v. H. in Anregung gebracht hat.




einer neuen Zeit, mit einem freieren Blick für die Bedürfnisse derselben, fehlt
es ihm nicht an scharfer Beobachtungsgabe. Seine Bemerkungen über die
politischen Richtungen und Bestrebungen unter den Rheinländern geben Zeugniß
dafür. „Deutschkatholiken, Lichtfreunde, Ultramontane, Altlutheraner, Juden¬
reformatoren, Sozialisten, Kommunisten, Radikale, Liberale tauchen überall
auf und stoßen sich gegen einander. Wohin werden wir noch gelangen?" Die
Denkwürdigkeiten bringen uns gerade in dieser Zeit mit einer Menge bedeuten¬
der Persönlichkeiten aus den verschiedensten Kreisen in nahe Berührung.

Bereits im vorgerückten Alter, d. h. über die Sechzig hinaus, zum Vice-
Gouverneur von Mainz ernannt, gelangte von Hllser in eine Stellung, die in
den Wirren der Jahre 1848 und 1849 von hoher Bedeutung wurde und einen
Mann von kluger Besonnenheit, sowie von eiserner Energie verlangte. Nichts
rächt sich in solchen Zeiten mehr, als auch nur die kleinste Schwäche, die so
häufig mit Humanität verwechselt, in ihren Folgen fast immer eben so ver¬
derblich ist, wie der rohe Fanatismus von Blut und Eisen. Von solchen
Schwächeanfällen können wir den damaligen Vice-Gouvdrneur von Mainz
nicht ganz freisprechen. Erwägt man allerdings, daß fast alle Regierungen
damals den Kopf verloren hatten und ihre Organe vielfach im Stiche ließen,
so hat man alle Veranlassung, solche Erscheinungen milder zu beurtheilen.

Am 31. März 1848 feierte von Hüser sein KOjähriges Dienstjubiläum.
Eine solche für einen Soldaten immerhin seltene Feier hat sicher etwas Er¬
hebendes. Wir fürchten jedoch, daß der an diesem Tage vom Jubilar aufge¬
brachte Toast auf seinen Kriegsherrn in die Freude des Festes einen Mißklang
hineingeworfen hat, dessen Schallwellen auch heute noch an unser Ohr schlagen.
Allerdings erhalten wir hierdurch Zeugniß von der Stimmung, wie sie sogar
in Offizierskreisen herrschte. Wir können jedoch nicht umhin zu bemerken, daß
der echte Soldat dergleichen Stimmungen, deren Konsequenzen für jede Armee
Gefahr sind, niemals aufkommen lassen darf.

Gegen Ende 1849 nahm von Hllser seinen Abschied, siedelte nach Berlin
über und verlebte die, letzten sieben Jahre seines Lebens, wenn auch ohne
amtliche Thätigkeit, doch im engen Verkehr mit der Außenwelt, so daß auch die
Aufzeichnungen aus dieser Zeit nicht ohne Interesse sind.

Haben wir der Spur des einleitenden Vorworts zu dem vorbesprochenen
Werke auch nicht immer folgen können, sondern sind mehrfach von derselben
abgewichen, so sprechen wir nichtsdestoweniger dem Professor Dr. Maurenbrecher
unseren Dank dafür aus, daß er die Veröffentlichung der Denkwürdigkeiten
W. v. H. in Anregung gebracht hat.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/47>, abgerufen am 14.05.2024.