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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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jenem Ungeheuer der Viktor Hugo und Donizetti gemacht. Die älteren italie¬
nischen Historiker wie Priuli, Machiavell und vor allem Guicciardini haben
Lukrezia stets mehr als Courtisane behandelt, etwa so wie Lenau in seinem
Savonarola, freilich nicht ganz mit so starken Farben.*) Diese Urtheile be¬
halten, wenn auch manches übertrieben sein mag, doch ihren Werth, so lange
nicht das Gegentheil wirklich bewiesen wird und das neu dazugebrachte Mate¬
rial eher für als gegen sie spricht. Und das ist hier der Fall. Wenn für
manche Dinge bisher auch die Belege fehlten, so beweist das in erster Linie
nur, daß die Quellen noch nicht genügend erschlossen waren, aber noch lange
nicht Lukrezias Unschuld, abgesehen davon, daß es Dinge giebt, welche nur sehr
schwer oder überhaupt nicht wie ein Rechenexempel zu beweisen sind.

Was das neue Quellenmaterial anbetrifft, welches Gregorovius zu Ge¬
bote gestanden hat, so ist dasselbe -- ich spreche hier nicht von Lnkrezias ferrare-
sischen Zeit -- nicht nur bei weitem nicht genügend, sondern zu einem sicheren
Urtheile ganz und gar ungenügend. Was helfen uns die vielen Ehepakten
und gerichtlichen Verträge, welche die Familie Borgia betreffen, die Gregoro¬
vius dem sonst interessanten Protokollbuche des Borgia'schen Fcunilieunotars
Beneimbene entnommen? Was jene Anzahl von Briefen von und an Lukrezia,
an Cesare und Papst Alexander, die meist von höchst gleichgiltigem Inhalte
sind, niemals aber ein Licht auf die Beschuldigungen und vor allem nichl auf
die Seelenstimmung Lukrezias werfen, und daher weder als Entlastungs- noch
als Belastungszeugnisse dienen können?

Für alle wichtigen Momente in Lukrezias erster römischer Lebensepoche
fehlen die Dokumente, und wir stehen nach wie vor im Dunkeln. Die be¬
deutsamsten und interessantesten Aktenstücke, die Gregorovius benutzt hat, sind
Berichte ferraresischer und venezianischer Gesandten, aber natürlich, je nachdem
sie unterrichtet waren und sein konnten oder wollten, von sehr verschiedenem
Werthe. Vor wenigen Monaten ist nun durch A. Ademollo in Rom ein
Aktenstück publizirt worden,**) welches sich so wunderbar in die Kette der bis¬
herigen Verdachtsgründe einschmiegt und aus dem sich so glatte Konsequenzen
ergeben, daß ein blutschänderisches Verhältniß Lukrezias zu ihrem Vater, dem




So reizend, daß für sie entbrannte
Das Bruderpaar in Liebesgluth,
Daß sie der Papst sein Liebchen ncmntej
Und schnob' genoß sein eignes Blut."
*)
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Vari, ^mio III, vol. II. t>8v. I. RomA 1377. Der Text Ademvllo's namentlich im zweiten
Artikel ist von geringerem Werthe und zeigt einen gewissen Mangel an Kvmpvsitionstalent.

jenem Ungeheuer der Viktor Hugo und Donizetti gemacht. Die älteren italie¬
nischen Historiker wie Priuli, Machiavell und vor allem Guicciardini haben
Lukrezia stets mehr als Courtisane behandelt, etwa so wie Lenau in seinem
Savonarola, freilich nicht ganz mit so starken Farben.*) Diese Urtheile be¬
halten, wenn auch manches übertrieben sein mag, doch ihren Werth, so lange
nicht das Gegentheil wirklich bewiesen wird und das neu dazugebrachte Mate¬
rial eher für als gegen sie spricht. Und das ist hier der Fall. Wenn für
manche Dinge bisher auch die Belege fehlten, so beweist das in erster Linie
nur, daß die Quellen noch nicht genügend erschlossen waren, aber noch lange
nicht Lukrezias Unschuld, abgesehen davon, daß es Dinge giebt, welche nur sehr
schwer oder überhaupt nicht wie ein Rechenexempel zu beweisen sind.

Was das neue Quellenmaterial anbetrifft, welches Gregorovius zu Ge¬
bote gestanden hat, so ist dasselbe — ich spreche hier nicht von Lnkrezias ferrare-
sischen Zeit — nicht nur bei weitem nicht genügend, sondern zu einem sicheren
Urtheile ganz und gar ungenügend. Was helfen uns die vielen Ehepakten
und gerichtlichen Verträge, welche die Familie Borgia betreffen, die Gregoro¬
vius dem sonst interessanten Protokollbuche des Borgia'schen Fcunilieunotars
Beneimbene entnommen? Was jene Anzahl von Briefen von und an Lukrezia,
an Cesare und Papst Alexander, die meist von höchst gleichgiltigem Inhalte
sind, niemals aber ein Licht auf die Beschuldigungen und vor allem nichl auf
die Seelenstimmung Lukrezias werfen, und daher weder als Entlastungs- noch
als Belastungszeugnisse dienen können?

Für alle wichtigen Momente in Lukrezias erster römischer Lebensepoche
fehlen die Dokumente, und wir stehen nach wie vor im Dunkeln. Die be¬
deutsamsten und interessantesten Aktenstücke, die Gregorovius benutzt hat, sind
Berichte ferraresischer und venezianischer Gesandten, aber natürlich, je nachdem
sie unterrichtet waren und sein konnten oder wollten, von sehr verschiedenem
Werthe. Vor wenigen Monaten ist nun durch A. Ademollo in Rom ein
Aktenstück publizirt worden,**) welches sich so wunderbar in die Kette der bis¬
herigen Verdachtsgründe einschmiegt und aus dem sich so glatte Konsequenzen
ergeben, daß ein blutschänderisches Verhältniß Lukrezias zu ihrem Vater, dem




So reizend, daß für sie entbrannte
Das Bruderpaar in Liebesgluth,
Daß sie der Papst sein Liebchen ncmntej
Und schnob' genoß sein eignes Blut."
*)
5") I^uKrWik Lorxis, s l-i. vsiit-'i, von A. Ademollo. ^rvuivio storioo, artistioo aroliso-
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Artikel ist von geringerem Werthe und zeigt einen gewissen Mangel an Kvmpvsitionstalent.
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[0490] jenem Ungeheuer der Viktor Hugo und Donizetti gemacht. Die älteren italie¬ nischen Historiker wie Priuli, Machiavell und vor allem Guicciardini haben Lukrezia stets mehr als Courtisane behandelt, etwa so wie Lenau in seinem Savonarola, freilich nicht ganz mit so starken Farben.*) Diese Urtheile be¬ halten, wenn auch manches übertrieben sein mag, doch ihren Werth, so lange nicht das Gegentheil wirklich bewiesen wird und das neu dazugebrachte Mate¬ rial eher für als gegen sie spricht. Und das ist hier der Fall. Wenn für manche Dinge bisher auch die Belege fehlten, so beweist das in erster Linie nur, daß die Quellen noch nicht genügend erschlossen waren, aber noch lange nicht Lukrezias Unschuld, abgesehen davon, daß es Dinge giebt, welche nur sehr schwer oder überhaupt nicht wie ein Rechenexempel zu beweisen sind. Was das neue Quellenmaterial anbetrifft, welches Gregorovius zu Ge¬ bote gestanden hat, so ist dasselbe — ich spreche hier nicht von Lnkrezias ferrare- sischen Zeit — nicht nur bei weitem nicht genügend, sondern zu einem sicheren Urtheile ganz und gar ungenügend. Was helfen uns die vielen Ehepakten und gerichtlichen Verträge, welche die Familie Borgia betreffen, die Gregoro¬ vius dem sonst interessanten Protokollbuche des Borgia'schen Fcunilieunotars Beneimbene entnommen? Was jene Anzahl von Briefen von und an Lukrezia, an Cesare und Papst Alexander, die meist von höchst gleichgiltigem Inhalte sind, niemals aber ein Licht auf die Beschuldigungen und vor allem nichl auf die Seelenstimmung Lukrezias werfen, und daher weder als Entlastungs- noch als Belastungszeugnisse dienen können? Für alle wichtigen Momente in Lukrezias erster römischer Lebensepoche fehlen die Dokumente, und wir stehen nach wie vor im Dunkeln. Die be¬ deutsamsten und interessantesten Aktenstücke, die Gregorovius benutzt hat, sind Berichte ferraresischer und venezianischer Gesandten, aber natürlich, je nachdem sie unterrichtet waren und sein konnten oder wollten, von sehr verschiedenem Werthe. Vor wenigen Monaten ist nun durch A. Ademollo in Rom ein Aktenstück publizirt worden,**) welches sich so wunderbar in die Kette der bis¬ herigen Verdachtsgründe einschmiegt und aus dem sich so glatte Konsequenzen ergeben, daß ein blutschänderisches Verhältniß Lukrezias zu ihrem Vater, dem So reizend, daß für sie entbrannte Das Bruderpaar in Liebesgluth, Daß sie der Papst sein Liebchen ncmntej Und schnob' genoß sein eignes Blut." *) 5") I^uKrWik Lorxis, s l-i. vsiit-'i, von A. Ademollo. ^rvuivio storioo, artistioo aroliso- Ic>K'iva e l«>.ttsrg.rio äeUü. eittÄ s xrovwoia, ni Roing,; könn^to v üiretto not?rotsWvi'v I'^ti» Vari, ^mio III, vol. II. t>8v. I. RomA 1377. Der Text Ademvllo's namentlich im zweiten Artikel ist von geringerem Werthe und zeigt einen gewissen Mangel an Kvmpvsitionstalent.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/490>, abgerufen am 15.05.2024.