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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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außerordentlichen, in den folgenden Etatsperioden wieder zu ersetzenden Zu¬
schuß der Amortisationskasse gedeckt. Der Abgabesatz für die mit dem
1. Januar 1878 in Kraft getretene Erwerbsteuer beträgt 26 Pfg. von 100 Mk.
Erwerbsteuerkapital.

Unter den dem Landtag vorgelegten Gesetzentwürfen ist nur jener, welcher
die Einführung der Justizorganisation zum Gegenstand hat, von weittragen¬
der, tiefeingreifender Bedeutung. Der Berathung und Feststellung desselben
wird wohl der größte Theil der für die Herbstsession aufzuwendenden Zeit zu
widmen fein, obwohl es Baden sehr zu Statten kommt, daß unsere in den
60er Jahren gegebene Justizorganisation im Wesentlichen vollständig die Grund-
züge des jetzt in Geltung tretenden Reichsgesetzes aufweist. Voraussichtlich
wird der Landtag daran festhalten, daß sämmtliche Gerichtssitze, also auch die
der Amtsgerichte durch die Gesetzgebung festgestellt werden. Das empfiehlt
sich schon aus dem Grunde, weil diese Art der Festsetzung dem
späteren fortwährenden Drängen auf Aenderung der Sprengel und Sitze am
nachdrücklichsten vorbeugt. Ein Blick auf die Karte unseres Landes zeigt, wie
leicht sich der Gedanke nahe legen kann, bei Bildung ein und des anderen
Landgerichtsbezirks den Versuch einer Durchbrechung der Partikulargrenze zu
macheu. Der Versuch wird nicht gemacht werden. Vor zwei Jahren noch
wäre er möglich gewesen. Einzelne Städte und Städtchen bemühen sich aufs
Aeußerste um Aufrechterhaltung der bei ihnen domieilirten Gerichtssitze bezie¬
hentlich um Wiederherstellung von vor einigen Jahren aufgehobenen Gerichts¬
bezirken. Bei der Frage der Justizorgauisation lassen sich der Lokalpatriotis¬
mus und die Kirchthumsinteressen noch mit leidlich gutem Anstand hinter
die schönen und an sich unanfechtbaren Gedanken von rasch und leicht zu er¬
langender Justiz u. tgi. in. verstecken. Weit weniger gelingt dies auf dem
Gebiet der Verwaltung. Dem seit bald 15 Jahren bei uns praktisch einge¬
führten Gedanken der Selbstverwaltung entspricht durchaus eine Beschränkung
der staatlich-ministeriellen Verwaltungsthätigkeit. Vor mehreren Jahren hat
das Ministerium Jolly mit Zusammenlegung einiger Amtsbezirke einen leisen
Versuch zu solcher Beschränkung gemacht. Kaum ist das Ministerium zurück¬
getreten, so wird dringend und dringendst um Wiederherstellung von Amtsbe¬
zirken petitivnirt. Es giebt eben Leute, die sich lange nicht genug regiert
fühlen, wenn ihnen der Amtmann nicht stets in Gesichtsweite ist. Und der
Minister, der solchem Bedürfniß des Publikums nicht genugsam Rechnung
trägt, mag er im Uebrigen noch so große Verdienste haben, ist unpopulär.
Diese Unpopularitüt kommt gegebenen Falls ganz energisch zum Ausdruck,
z. B. bei einer Reichstagswahl. Es fällt oft gar schwer, in einem kleinen
Staat nach großen Gesichtspunkten zu regieren.


außerordentlichen, in den folgenden Etatsperioden wieder zu ersetzenden Zu¬
schuß der Amortisationskasse gedeckt. Der Abgabesatz für die mit dem
1. Januar 1878 in Kraft getretene Erwerbsteuer beträgt 26 Pfg. von 100 Mk.
Erwerbsteuerkapital.

Unter den dem Landtag vorgelegten Gesetzentwürfen ist nur jener, welcher
die Einführung der Justizorganisation zum Gegenstand hat, von weittragen¬
der, tiefeingreifender Bedeutung. Der Berathung und Feststellung desselben
wird wohl der größte Theil der für die Herbstsession aufzuwendenden Zeit zu
widmen fein, obwohl es Baden sehr zu Statten kommt, daß unsere in den
60er Jahren gegebene Justizorganisation im Wesentlichen vollständig die Grund-
züge des jetzt in Geltung tretenden Reichsgesetzes aufweist. Voraussichtlich
wird der Landtag daran festhalten, daß sämmtliche Gerichtssitze, also auch die
der Amtsgerichte durch die Gesetzgebung festgestellt werden. Das empfiehlt
sich schon aus dem Grunde, weil diese Art der Festsetzung dem
späteren fortwährenden Drängen auf Aenderung der Sprengel und Sitze am
nachdrücklichsten vorbeugt. Ein Blick auf die Karte unseres Landes zeigt, wie
leicht sich der Gedanke nahe legen kann, bei Bildung ein und des anderen
Landgerichtsbezirks den Versuch einer Durchbrechung der Partikulargrenze zu
macheu. Der Versuch wird nicht gemacht werden. Vor zwei Jahren noch
wäre er möglich gewesen. Einzelne Städte und Städtchen bemühen sich aufs
Aeußerste um Aufrechterhaltung der bei ihnen domieilirten Gerichtssitze bezie¬
hentlich um Wiederherstellung von vor einigen Jahren aufgehobenen Gerichts¬
bezirken. Bei der Frage der Justizorgauisation lassen sich der Lokalpatriotis¬
mus und die Kirchthumsinteressen noch mit leidlich gutem Anstand hinter
die schönen und an sich unanfechtbaren Gedanken von rasch und leicht zu er¬
langender Justiz u. tgi. in. verstecken. Weit weniger gelingt dies auf dem
Gebiet der Verwaltung. Dem seit bald 15 Jahren bei uns praktisch einge¬
führten Gedanken der Selbstverwaltung entspricht durchaus eine Beschränkung
der staatlich-ministeriellen Verwaltungsthätigkeit. Vor mehreren Jahren hat
das Ministerium Jolly mit Zusammenlegung einiger Amtsbezirke einen leisen
Versuch zu solcher Beschränkung gemacht. Kaum ist das Ministerium zurück¬
getreten, so wird dringend und dringendst um Wiederherstellung von Amtsbe¬
zirken petitivnirt. Es giebt eben Leute, die sich lange nicht genug regiert
fühlen, wenn ihnen der Amtmann nicht stets in Gesichtsweite ist. Und der
Minister, der solchem Bedürfniß des Publikums nicht genugsam Rechnung
trägt, mag er im Uebrigen noch so große Verdienste haben, ist unpopulär.
Diese Unpopularitüt kommt gegebenen Falls ganz energisch zum Ausdruck,
z. B. bei einer Reichstagswahl. Es fällt oft gar schwer, in einem kleinen
Staat nach großen Gesichtspunkten zu regieren.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/516>, abgerufen am 13.05.2024.