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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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sondern auch im Falle der Vollstrecknngshaft, seiner Zustimmung bedürfe
Hier aber sollte dem Reichstage die Befugniß beigelegt werden, sogar eine
beim Beginne der Session bereits im Gange befindliche Vollstreckungshaft zu
unterbrechen. Von allen nichtsozialistischen Rednern wurde unumwunden an¬
erkannt, daß eine so weit gehende Prärogative mit einem geordneten Straf¬
vollzuge schlechterdings unvereinbar sei. Den Antragstellern war es selbstver¬
ständlich nur um eine neue Demonstration mit dem üblichen Beiwerk von
Ordnungsrufen u. f. w. zu thun, und diesen Zweck haben sie natürlich auch
erreicht.

Von dem Abg. Kapp lag ein sorgfältig ausgearbeiteter Gesetzentwurf, be¬
treffs einer einheitlichen Regelung der gesetzlichen Vorschriften für die Beför¬
derung von Auswanderern nach überseeischen Ländern vor. Die Unverträg¬
lichkeit der in den verschiedenen Bundesstaaten heutzutage bestehenden mannig¬
faltigen einander oft geradezu widersprechenden Bestimmungen mit dem sonst
auf dem Gebiete des Gewerberechts im Reiche herrschenden Unifikationsbestreben
schien auch von Seiten der Regierung zugegeben zu werden. Dagegen wurde
der Tendenz des Kapp'schen Gesetzentwurfs, die polizeilichen Chikanen, von
welchen das Gewerbe der Auswandererbeförderung noch vielfach belästigt ist, zu
beseitigen, von derselben Seite entschiedener Widerstand entgegengesetzt. Und
doch liegt auf der Hand, daß grade jene Chikanen ein Winkelagententhum er¬
zeugen, welches in einigen Gegenden Deutschlands in bedenklichem Grade sein
Wesen treibt. Der Gesetzentwurf ist einer besonderen Komission überwiesen
worden. Mögen die Arbeiten derselben für jetzt auch nicht zu einem unmit¬
telbar praktischen Resultate führen, so ist doch die Frage einmal angeregt und
es sind für ihre künftige Regelung werthvolle Grundlagen gewonnen.

Die hoffentlich nur kurze Nachsession des Landtags gilt hauptsächlich der
endgültigen Verständigung über das Ausführungsgesetz zum Gerichtsverfassungs¬
gesetze. Das Herrenhaus ist in verschiedenen wesentlichen Punkten von den
Beschlüssen des Abgeordnetenhauses abgewichen. So sollen die Grundsätze für
die Bestimmungen über das Dienstalter der Richter nicht, wie das Abgeord¬
netenhaus will, durch Gesetz, sondern dnrch königliche Verordnung festgestellt
werden. Betreffs der Bestimmung der Sitze und Bezirke der Amtsgerichte
wollte das Abgeordnetenhaus, daß die Sitze durch Gesetz bestimmt werden, die
erste Feststellung derselben jedoch auf Grund einer gesetzlichen Ermächtigung
durch den Justizminister solle erfolgen können; die Bezirke der Amtsgerichte
dagegen sollen durch den Justizminister gebildet und vom ersten Oktober 1881
ab nur dnrch Gesetz verändert werden können. Das Herrenhaus seinerseits
will die Bestimmung der Sitze und Bezirke der Amtsgerichte königlicher Ver¬
ordnung überlassen, jedoch so, daß sie nach dem 1. Oktober 1882 nur durch


sondern auch im Falle der Vollstrecknngshaft, seiner Zustimmung bedürfe
Hier aber sollte dem Reichstage die Befugniß beigelegt werden, sogar eine
beim Beginne der Session bereits im Gange befindliche Vollstreckungshaft zu
unterbrechen. Von allen nichtsozialistischen Rednern wurde unumwunden an¬
erkannt, daß eine so weit gehende Prärogative mit einem geordneten Straf¬
vollzuge schlechterdings unvereinbar sei. Den Antragstellern war es selbstver¬
ständlich nur um eine neue Demonstration mit dem üblichen Beiwerk von
Ordnungsrufen u. f. w. zu thun, und diesen Zweck haben sie natürlich auch
erreicht.

Von dem Abg. Kapp lag ein sorgfältig ausgearbeiteter Gesetzentwurf, be¬
treffs einer einheitlichen Regelung der gesetzlichen Vorschriften für die Beför¬
derung von Auswanderern nach überseeischen Ländern vor. Die Unverträg¬
lichkeit der in den verschiedenen Bundesstaaten heutzutage bestehenden mannig¬
faltigen einander oft geradezu widersprechenden Bestimmungen mit dem sonst
auf dem Gebiete des Gewerberechts im Reiche herrschenden Unifikationsbestreben
schien auch von Seiten der Regierung zugegeben zu werden. Dagegen wurde
der Tendenz des Kapp'schen Gesetzentwurfs, die polizeilichen Chikanen, von
welchen das Gewerbe der Auswandererbeförderung noch vielfach belästigt ist, zu
beseitigen, von derselben Seite entschiedener Widerstand entgegengesetzt. Und
doch liegt auf der Hand, daß grade jene Chikanen ein Winkelagententhum er¬
zeugen, welches in einigen Gegenden Deutschlands in bedenklichem Grade sein
Wesen treibt. Der Gesetzentwurf ist einer besonderen Komission überwiesen
worden. Mögen die Arbeiten derselben für jetzt auch nicht zu einem unmit¬
telbar praktischen Resultate führen, so ist doch die Frage einmal angeregt und
es sind für ihre künftige Regelung werthvolle Grundlagen gewonnen.

Die hoffentlich nur kurze Nachsession des Landtags gilt hauptsächlich der
endgültigen Verständigung über das Ausführungsgesetz zum Gerichtsverfassungs¬
gesetze. Das Herrenhaus ist in verschiedenen wesentlichen Punkten von den
Beschlüssen des Abgeordnetenhauses abgewichen. So sollen die Grundsätze für
die Bestimmungen über das Dienstalter der Richter nicht, wie das Abgeord¬
netenhaus will, durch Gesetz, sondern dnrch königliche Verordnung festgestellt
werden. Betreffs der Bestimmung der Sitze und Bezirke der Amtsgerichte
wollte das Abgeordnetenhaus, daß die Sitze durch Gesetz bestimmt werden, die
erste Feststellung derselben jedoch auf Grund einer gesetzlichen Ermächtigung
durch den Justizminister solle erfolgen können; die Bezirke der Amtsgerichte
dagegen sollen durch den Justizminister gebildet und vom ersten Oktober 1881
ab nur dnrch Gesetz verändert werden können. Das Herrenhaus seinerseits
will die Bestimmung der Sitze und Bezirke der Amtsgerichte königlicher Ver¬
ordnung überlassen, jedoch so, daß sie nach dem 1. Oktober 1882 nur durch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/527>, abgerufen am 14.05.2024.