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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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15. Jahre an auf Schilf, das sie selbst am Eurotas brechen mußten. Sommer
und Winter gingen sie barfuß, und spärlich bekleidet. Selbst das knappe
Wollenhemd, den Chiton, mußten sie im 12. Jahre ablegen und sich mit dem
kurzen Mantel, dem Tribon, begnügen. Die Kost wurde absichtlich so kärglich
gereicht, daß der Knabe gezwungen war, Lebensmittel zu stehlen. Wurde er
aber ertappt, so setzte es Peitschenhiebe. Er sollte nicht nur Hunger und
Durst ertragen lernen, sondern auch listig und gewandt werden. Geißelproben
übten im Ertragen von Schmerzen. Der gymnastische Kursus, den diese
Kadetten durchmachten, hatte nicht, wie in andern hellenischen Gauen, allseitige
Ausbildung in Kraft und Anmuth zum Ziel, sondern lediglich militärische
Tüchtigkeit. Vom Tanze betrieb man lediglich die kriegerischen Arten, vor
Allem die kretische Pyrrhiche, eine Nachahmung jeder Art des Angriffs mit
Bogen und Wurfspieß, Stoß und Schlag und jeder Vertheidigungsweise durch
Seitensprung, Zurückweichen, niederducken und Emporspringen. Auch in der
Rüstung und in Schaaren wurde die Pyrrhiche getanzt.. Daneben übte man
die Chorreigen mit ihrem Gleichschritte, ihren feierlichen Wendungen, Kvntre-
märschen und Abschwenkuugen, in denen man die Grundzüge der spartanischen
Elementartaktik erkannt hat und deren sichere fehlerlose Ausführung von
Seiten der lakedümonischen Löcher vor und während der Schlacht noch zur
Zeit des Xenophon Gegenstand bewundernden Neides für die Exerziermeister
anderer Stämme war/') -- Die Musik wurde nur so weit gelehrt als ihre
Chorlieder, die Prosodien und Paare, den Knltusreigen oder die Pyrrhiche
zu begleiten hatten. Dazu erklangen die begeisternden Marschlieder des Tyrtäos
aus den messenischen Kriegen, die Embaterien, welche gleich den Parodvi, den
Einzugsliedern der tragischen Chöre in Athen, anapästische Rhythmen hatten,
die unwillkürlich zu lebendigem Gleichschritt einladen. -- Von Instrumenten
wurde die Flöte zur Begleitung des Waffentanzes und der taktischen Evolutionen
beibehalten, und den Aufmarsch zur Schlacht begleiteten die Töne der alten
siebenseitigen Kithara Terpanders. Die Musik war übrigeus das einzige
Element, welches die geistige Seite der Erziehung vertrat. Lesen und Schreiben
gehörte niemals zum System derselben, wenn es auch uicht verboten war, sich
diese Kenntnis zu verschaffen. Wie Sparta, dem Rathe des Orakels zufolge,
keinen geschriebenen Gesetzen gehorchte, so sollte auch die Jugend, was ihr zu



Einleitung zu Köchly und Rüstow! "Griech. Kriegsschriftsteller. II. Die Taktiker.
Leipzig 1855. -- "Es ist daher die schon von andern Forschern geltend gemachte Analogie
zwischen dem dorischen Choros und dem dorischen Lochos weder zufällig noch oberflächlich:
hat sie sich doch theilweise noch in dem tragischen Chöre der Athener erhalten, der durch
Zerfällung des ursprünglich dorischen Dithhrambenchores von 50 Personen hervorging und
schon durch diese Zahl an die Pentekostis, die Unterabtheilung des spartanischen Lochos, mahnte."

15. Jahre an auf Schilf, das sie selbst am Eurotas brechen mußten. Sommer
und Winter gingen sie barfuß, und spärlich bekleidet. Selbst das knappe
Wollenhemd, den Chiton, mußten sie im 12. Jahre ablegen und sich mit dem
kurzen Mantel, dem Tribon, begnügen. Die Kost wurde absichtlich so kärglich
gereicht, daß der Knabe gezwungen war, Lebensmittel zu stehlen. Wurde er
aber ertappt, so setzte es Peitschenhiebe. Er sollte nicht nur Hunger und
Durst ertragen lernen, sondern auch listig und gewandt werden. Geißelproben
übten im Ertragen von Schmerzen. Der gymnastische Kursus, den diese
Kadetten durchmachten, hatte nicht, wie in andern hellenischen Gauen, allseitige
Ausbildung in Kraft und Anmuth zum Ziel, sondern lediglich militärische
Tüchtigkeit. Vom Tanze betrieb man lediglich die kriegerischen Arten, vor
Allem die kretische Pyrrhiche, eine Nachahmung jeder Art des Angriffs mit
Bogen und Wurfspieß, Stoß und Schlag und jeder Vertheidigungsweise durch
Seitensprung, Zurückweichen, niederducken und Emporspringen. Auch in der
Rüstung und in Schaaren wurde die Pyrrhiche getanzt.. Daneben übte man
die Chorreigen mit ihrem Gleichschritte, ihren feierlichen Wendungen, Kvntre-
märschen und Abschwenkuugen, in denen man die Grundzüge der spartanischen
Elementartaktik erkannt hat und deren sichere fehlerlose Ausführung von
Seiten der lakedümonischen Löcher vor und während der Schlacht noch zur
Zeit des Xenophon Gegenstand bewundernden Neides für die Exerziermeister
anderer Stämme war/') — Die Musik wurde nur so weit gelehrt als ihre
Chorlieder, die Prosodien und Paare, den Knltusreigen oder die Pyrrhiche
zu begleiten hatten. Dazu erklangen die begeisternden Marschlieder des Tyrtäos
aus den messenischen Kriegen, die Embaterien, welche gleich den Parodvi, den
Einzugsliedern der tragischen Chöre in Athen, anapästische Rhythmen hatten,
die unwillkürlich zu lebendigem Gleichschritt einladen. — Von Instrumenten
wurde die Flöte zur Begleitung des Waffentanzes und der taktischen Evolutionen
beibehalten, und den Aufmarsch zur Schlacht begleiteten die Töne der alten
siebenseitigen Kithara Terpanders. Die Musik war übrigeus das einzige
Element, welches die geistige Seite der Erziehung vertrat. Lesen und Schreiben
gehörte niemals zum System derselben, wenn es auch uicht verboten war, sich
diese Kenntnis zu verschaffen. Wie Sparta, dem Rathe des Orakels zufolge,
keinen geschriebenen Gesetzen gehorchte, so sollte auch die Jugend, was ihr zu



Einleitung zu Köchly und Rüstow! „Griech. Kriegsschriftsteller. II. Die Taktiker.
Leipzig 1855. — „Es ist daher die schon von andern Forschern geltend gemachte Analogie
zwischen dem dorischen Choros und dem dorischen Lochos weder zufällig noch oberflächlich:
hat sie sich doch theilweise noch in dem tragischen Chöre der Athener erhalten, der durch
Zerfällung des ursprünglich dorischen Dithhrambenchores von 50 Personen hervorging und
schon durch diese Zahl an die Pentekostis, die Unterabtheilung des spartanischen Lochos, mahnte."
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/54>, abgerufen am 04.06.2024.