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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Gleichgerüstet und gleichgekleidet im Purpurgewande, sammelten sich die
Spartiaten zum Heereszuge; kleinere Abtheilungen von Gemeindegenossen ver¬
einigten sich aufs Innigste vor dem Kampfe durch Schwur und Erosopfcr,
und mit Kränzen geschmückt, im Taktschritt, unter Flvtenklcmg stürmten sie vor¬
wärts, und hellschallend nmjubelte sie des Tyrtäos Päan: "Ans, Sparta's
gerüstete Jünglinge, auf in die dräuende Woge des Kampfes!" -- Während
alle anderen griechischen Städte sich fest ummauert wiesen und von der Alt¬
burg, der Akropolis, als starker Citadelle schützend überragt wurden, lagen die
Städte Lakedämon's offen da; denn als ihr einziger, aber sicherster Schutz
galten die Söhne des Vaterlandes selbst. "Besser eine Mauer von Menschen
als von Steinen", so lautete das Wort Lykurgs, ein Wort, in dem sich der
Gegensatz zweier fremdester Pole, der des spartanischen und des karthagischen
Wesens, mit wunderbarer Energie zusammenfaßt. -- Diese Kriegsverfassung
ist (freilich nur innerhalb des Herrschcrvolkes) das absolute Milizsystem in
feiner vollen Reinheit. Und so gelangt man bei Betrachtung desselben zu dem
wunderbaren Resultat, daß die beiden entlegensten Bildungen: Kastenwesen
und Bürgermiliz, auf dem Boden Lakoniens verschwistert wurden, verschwistert
durch die Wechselwirkung zwischen der in Folge der dorischen Einwanderung
mit Nothwendigkeit gegebenen Stammesgrnppirung und der frei wirkenden
Macht des griechischen Geistes.

Wie groß aber waren die Opfer, welche für die Erhaltung dieser merk¬
würdigen Staats- und Heeres-Erscheinung zu bringen waren! -- Verzicht auf
jeden Genuß und Besitz, auf freie Bildung und Selbstbestimmung war die
Grundlage, auf der sich die sogenannte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit
der Spartiaten erhob. "Sie verwandelten sich in einen Ritterorden, zu dem
nur lange und asketische Uebungen den Eintritt gewährten und in dem nichts
als Dressur und Disziplin, Pflichtgefühl und Tapferkeit galten." Es liegt
eine erhabene Resignation in der strengen Durchführung dieser Prinzipien,
durch welche es der spartanische Adel ja auch thatsächlich erreichte, eine von
Hanse aus gewaltsame Stellung gegen den normalen Gang der Entwickelung
gewaltsam zu behaupten. -- Jedoch verbunden mit der eigenen Kasteiung ist
auch ein perfider und grausamer Terrorismus gegen die Unterthanen, eine
Hochs! unsittliche Mischung von offener Vergewaltigung und heimlicher Ver-
fehmung. Der Maugel, ja das Verbot jeder individuellen Entwickelung brachte
Staat und Heer frühzeitig in einen Zustand unfruchtbarer Erstarrung. Und
dies wurde verhängnisvoll sür ganz Hellas. Denn da der spartanische Edel¬
mann für sein freudloses Dasein keinen anderen Trost hatte, als den Stolz
auf die Macht seines Staates; da er ferner nichts anderes verstand und ver¬
stehen wollte als den Krieg, so war Machtausbreituug durch Waffengewalt


Gleichgerüstet und gleichgekleidet im Purpurgewande, sammelten sich die
Spartiaten zum Heereszuge; kleinere Abtheilungen von Gemeindegenossen ver¬
einigten sich aufs Innigste vor dem Kampfe durch Schwur und Erosopfcr,
und mit Kränzen geschmückt, im Taktschritt, unter Flvtenklcmg stürmten sie vor¬
wärts, und hellschallend nmjubelte sie des Tyrtäos Päan: „Ans, Sparta's
gerüstete Jünglinge, auf in die dräuende Woge des Kampfes!" — Während
alle anderen griechischen Städte sich fest ummauert wiesen und von der Alt¬
burg, der Akropolis, als starker Citadelle schützend überragt wurden, lagen die
Städte Lakedämon's offen da; denn als ihr einziger, aber sicherster Schutz
galten die Söhne des Vaterlandes selbst. „Besser eine Mauer von Menschen
als von Steinen", so lautete das Wort Lykurgs, ein Wort, in dem sich der
Gegensatz zweier fremdester Pole, der des spartanischen und des karthagischen
Wesens, mit wunderbarer Energie zusammenfaßt. — Diese Kriegsverfassung
ist (freilich nur innerhalb des Herrschcrvolkes) das absolute Milizsystem in
feiner vollen Reinheit. Und so gelangt man bei Betrachtung desselben zu dem
wunderbaren Resultat, daß die beiden entlegensten Bildungen: Kastenwesen
und Bürgermiliz, auf dem Boden Lakoniens verschwistert wurden, verschwistert
durch die Wechselwirkung zwischen der in Folge der dorischen Einwanderung
mit Nothwendigkeit gegebenen Stammesgrnppirung und der frei wirkenden
Macht des griechischen Geistes.

Wie groß aber waren die Opfer, welche für die Erhaltung dieser merk¬
würdigen Staats- und Heeres-Erscheinung zu bringen waren! — Verzicht auf
jeden Genuß und Besitz, auf freie Bildung und Selbstbestimmung war die
Grundlage, auf der sich die sogenannte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit
der Spartiaten erhob. „Sie verwandelten sich in einen Ritterorden, zu dem
nur lange und asketische Uebungen den Eintritt gewährten und in dem nichts
als Dressur und Disziplin, Pflichtgefühl und Tapferkeit galten." Es liegt
eine erhabene Resignation in der strengen Durchführung dieser Prinzipien,
durch welche es der spartanische Adel ja auch thatsächlich erreichte, eine von
Hanse aus gewaltsame Stellung gegen den normalen Gang der Entwickelung
gewaltsam zu behaupten. — Jedoch verbunden mit der eigenen Kasteiung ist
auch ein perfider und grausamer Terrorismus gegen die Unterthanen, eine
Hochs! unsittliche Mischung von offener Vergewaltigung und heimlicher Ver-
fehmung. Der Maugel, ja das Verbot jeder individuellen Entwickelung brachte
Staat und Heer frühzeitig in einen Zustand unfruchtbarer Erstarrung. Und
dies wurde verhängnisvoll sür ganz Hellas. Denn da der spartanische Edel¬
mann für sein freudloses Dasein keinen anderen Trost hatte, als den Stolz
auf die Macht seines Staates; da er ferner nichts anderes verstand und ver¬
stehen wollte als den Krieg, so war Machtausbreituug durch Waffengewalt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/64>, abgerufen am 14.05.2024.