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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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Deutsche Reich etwa von der Mitte des nennten bis zur Anfang des zwölften
Jahrhunderts. An Reichthum und sorgfältiger Ausführung der äußeren Ver-
fassungsformen hat es hier gewiß nicht gefehlt, die konsequente Durchdringung
der ganzen Staatsverfassung mit dem einen Prinzip des Lehenwesens erscheint
sogar heute noch als ein bewunderungswürdiges Kunstwerk -- aber welchen
Anblick bietet daneben die innere Reichsverwaltung! Man kann denselben kam"
Antreffender schildern, als indem man die einzige Thatsache anführt, daß
ein Ort wie Tribur zwei und ein halbes Jahrhundert lang das
Centrum, sofern man damals von einem solchen reden kann, der deutschen
Reichsverwaltung sein konnte, ohne daß irgendwie der befestigte Frohnhof
sich zu einer Stadt erweiterte. Und auch die spätere Reichsverwaltung, wenn
sie auch in einzelnen Beziehungen einen Fortschritt zur Geld- und Kapital¬
wirthschaft gemacht hat, ist doch im Ganzen und Großen in den Banden der
Agrarwirthschaft stecken geblieben.

Anders verhält sich dies dagegen mit der wirthschaftlichen Entwicklung
der Städte. Während außen auf dem platten Lande der Grundherr auf
ererbten Boden mit leibeignen Arbeitern eine isolirte Natnralwirthschaft betrieb,
hatte in den Städten das Zusammenwohnen auf einem engen Raum rasch
ein Gefühl der Zusammengehörigkeit ausgebildet; jeder Einzelne war gezwungen,
diesem Prinzip der Gemeinsamkeit etwas von seinen Rechten zum Opfer zu
bringen; er tauschte dafür die Anerkennung und den Schutz der ihm noch
verbleibenden dnrch die Gesannntheit der übrigen Mitbewohner ein. Auf
diese gewöhnt er sich zurückzugehen bei Rechtsstreitigkeiten, die früher hänfig
nur die rohe Gewalt zum Austrag gebracht hatte. Die gemeinsame Arbeit,
die nur nicht mehr ausschließlich für den herrschaftlichen Hof, sondern für die
Bedürfnisse eines großen, weit über die Stadtgrenze hinausreichenden Kreises
thätig ist, macht bequemere Verkehrs- und Zahlungsmittel nothwendig. Ordnung
und Sicherheit sind durch den Zusammenstrom vou Fremden, wie durch das
Zusammenwohnen der Bürger selbst leichter gefährdet und erheischen eine
Reihe von Einrichtungen, die dein Landbewohner als lästiger Zwang erscheinen.
Kurz, wohin wir blicken, überall sehen wir, wie der Gegensatz gegen das
platte Land eine Menge neuer Einrichtungen ins Leben ruft. Der steigende
Verkehr, die wachsende Blüthe der Städte haben dann rasch eine Vervoll¬
kommnung dieser Verwaltung herbeigeführt, während die übrigen wirthschaft¬
lichen Kreise noch lange an der alten Natnralwirthschaft festhielten. Erst seit
dem fünfzehnten Jahrhundert beginnt der Einfluß der Stadtverwaltung auf
die Verwaltung des Reichs und der fürstlichem Territorien sich fühlbar zu
machen. Und heutzutage können wir mit gutem Rechte sagen, daß die Stadt-
repnbliken des Mittelalters auch sür die moderne innere Staatsverwaltung


Deutsche Reich etwa von der Mitte des nennten bis zur Anfang des zwölften
Jahrhunderts. An Reichthum und sorgfältiger Ausführung der äußeren Ver-
fassungsformen hat es hier gewiß nicht gefehlt, die konsequente Durchdringung
der ganzen Staatsverfassung mit dem einen Prinzip des Lehenwesens erscheint
sogar heute noch als ein bewunderungswürdiges Kunstwerk — aber welchen
Anblick bietet daneben die innere Reichsverwaltung! Man kann denselben kam»
Antreffender schildern, als indem man die einzige Thatsache anführt, daß
ein Ort wie Tribur zwei und ein halbes Jahrhundert lang das
Centrum, sofern man damals von einem solchen reden kann, der deutschen
Reichsverwaltung sein konnte, ohne daß irgendwie der befestigte Frohnhof
sich zu einer Stadt erweiterte. Und auch die spätere Reichsverwaltung, wenn
sie auch in einzelnen Beziehungen einen Fortschritt zur Geld- und Kapital¬
wirthschaft gemacht hat, ist doch im Ganzen und Großen in den Banden der
Agrarwirthschaft stecken geblieben.

Anders verhält sich dies dagegen mit der wirthschaftlichen Entwicklung
der Städte. Während außen auf dem platten Lande der Grundherr auf
ererbten Boden mit leibeignen Arbeitern eine isolirte Natnralwirthschaft betrieb,
hatte in den Städten das Zusammenwohnen auf einem engen Raum rasch
ein Gefühl der Zusammengehörigkeit ausgebildet; jeder Einzelne war gezwungen,
diesem Prinzip der Gemeinsamkeit etwas von seinen Rechten zum Opfer zu
bringen; er tauschte dafür die Anerkennung und den Schutz der ihm noch
verbleibenden dnrch die Gesannntheit der übrigen Mitbewohner ein. Auf
diese gewöhnt er sich zurückzugehen bei Rechtsstreitigkeiten, die früher hänfig
nur die rohe Gewalt zum Austrag gebracht hatte. Die gemeinsame Arbeit,
die nur nicht mehr ausschließlich für den herrschaftlichen Hof, sondern für die
Bedürfnisse eines großen, weit über die Stadtgrenze hinausreichenden Kreises
thätig ist, macht bequemere Verkehrs- und Zahlungsmittel nothwendig. Ordnung
und Sicherheit sind durch den Zusammenstrom vou Fremden, wie durch das
Zusammenwohnen der Bürger selbst leichter gefährdet und erheischen eine
Reihe von Einrichtungen, die dein Landbewohner als lästiger Zwang erscheinen.
Kurz, wohin wir blicken, überall sehen wir, wie der Gegensatz gegen das
platte Land eine Menge neuer Einrichtungen ins Leben ruft. Der steigende
Verkehr, die wachsende Blüthe der Städte haben dann rasch eine Vervoll¬
kommnung dieser Verwaltung herbeigeführt, während die übrigen wirthschaft¬
lichen Kreise noch lange an der alten Natnralwirthschaft festhielten. Erst seit
dem fünfzehnten Jahrhundert beginnt der Einfluß der Stadtverwaltung auf
die Verwaltung des Reichs und der fürstlichem Territorien sich fühlbar zu
machen. Und heutzutage können wir mit gutem Rechte sagen, daß die Stadt-
repnbliken des Mittelalters auch sür die moderne innere Staatsverwaltung


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[0066] Deutsche Reich etwa von der Mitte des nennten bis zur Anfang des zwölften Jahrhunderts. An Reichthum und sorgfältiger Ausführung der äußeren Ver- fassungsformen hat es hier gewiß nicht gefehlt, die konsequente Durchdringung der ganzen Staatsverfassung mit dem einen Prinzip des Lehenwesens erscheint sogar heute noch als ein bewunderungswürdiges Kunstwerk — aber welchen Anblick bietet daneben die innere Reichsverwaltung! Man kann denselben kam» Antreffender schildern, als indem man die einzige Thatsache anführt, daß ein Ort wie Tribur zwei und ein halbes Jahrhundert lang das Centrum, sofern man damals von einem solchen reden kann, der deutschen Reichsverwaltung sein konnte, ohne daß irgendwie der befestigte Frohnhof sich zu einer Stadt erweiterte. Und auch die spätere Reichsverwaltung, wenn sie auch in einzelnen Beziehungen einen Fortschritt zur Geld- und Kapital¬ wirthschaft gemacht hat, ist doch im Ganzen und Großen in den Banden der Agrarwirthschaft stecken geblieben. Anders verhält sich dies dagegen mit der wirthschaftlichen Entwicklung der Städte. Während außen auf dem platten Lande der Grundherr auf ererbten Boden mit leibeignen Arbeitern eine isolirte Natnralwirthschaft betrieb, hatte in den Städten das Zusammenwohnen auf einem engen Raum rasch ein Gefühl der Zusammengehörigkeit ausgebildet; jeder Einzelne war gezwungen, diesem Prinzip der Gemeinsamkeit etwas von seinen Rechten zum Opfer zu bringen; er tauschte dafür die Anerkennung und den Schutz der ihm noch verbleibenden dnrch die Gesannntheit der übrigen Mitbewohner ein. Auf diese gewöhnt er sich zurückzugehen bei Rechtsstreitigkeiten, die früher hänfig nur die rohe Gewalt zum Austrag gebracht hatte. Die gemeinsame Arbeit, die nur nicht mehr ausschließlich für den herrschaftlichen Hof, sondern für die Bedürfnisse eines großen, weit über die Stadtgrenze hinausreichenden Kreises thätig ist, macht bequemere Verkehrs- und Zahlungsmittel nothwendig. Ordnung und Sicherheit sind durch den Zusammenstrom vou Fremden, wie durch das Zusammenwohnen der Bürger selbst leichter gefährdet und erheischen eine Reihe von Einrichtungen, die dein Landbewohner als lästiger Zwang erscheinen. Kurz, wohin wir blicken, überall sehen wir, wie der Gegensatz gegen das platte Land eine Menge neuer Einrichtungen ins Leben ruft. Der steigende Verkehr, die wachsende Blüthe der Städte haben dann rasch eine Vervoll¬ kommnung dieser Verwaltung herbeigeführt, während die übrigen wirthschaft¬ lichen Kreise noch lange an der alten Natnralwirthschaft festhielten. Erst seit dem fünfzehnten Jahrhundert beginnt der Einfluß der Stadtverwaltung auf die Verwaltung des Reichs und der fürstlichem Territorien sich fühlbar zu machen. Und heutzutage können wir mit gutem Rechte sagen, daß die Stadt- repnbliken des Mittelalters auch sür die moderne innere Staatsverwaltung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/66>, abgerufen am 14.05.2024.