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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band.

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auch die Richtigere der oben aus dein Werke Lescure's entnommenen Ansichten.
Einmal erklärt sich durch den Charakter des Racenkampfes die teuflische und
viehische Grausamkeit, mit der die republikanischen Kolonnen, mit Recht eolcmnks
nckrimiW genannt, über Wehrlose, Weiber und Kinder herfielen, andrerseits
zeigt die sehr bald zwischen den adligen und nicht adligen Führern aus-
brechende Uneinigkeit den innern Zwiespalt. Die erstern waren nicht energisch
genug für ihre fanatisch gesinnten Kollegen, und wollten nicht in einem Kriege
länger kommandiren, der allen ihren Begriffen von Soldatenehre und Völker¬
recht Hohn sprach. Das nämlich muß ausgesprochen werden: der Soldat
jener Zeit, Offizier wie Gemeiner war gewöhnt, und suchte eine Ehre darin,
seine Gefangenen gut zu behandeln. Ausgeplündert wurden sie, das war
Kriegsrecht, aber brutale und nnritterliche Behandlung der Gefangenen haben
erst die französischen Revolntivnshcrru in die Kriegsgeschichte eingeführt, und
Napoleon, der herzenskalte Tyrann, dessen Herz des Arztes Hand selbst nicht
schlagen fühlte, verwandelte diese Brutalität in ein System. -- Jene größere
Humanität gegen Kriegsgefangene lag im ganzen Wesen der Kabinetskriege
jener Zeit, welche die Leidenschaften nicht aufs Aeußerste trieben. Man lese,
um diese Behauptung bestätigt zu finden, das erste beste Memoirenwerk, vom
spanischen Erbfolgekrieg, vom nordischen Krieg an, durch den ganzen sieben¬
jährigen Krieg hindurch, und man wird angenehm berührt sein von der
Konrtoisie, mit der der Soldat den gefangenen Kameraden behandelt. Aus¬
nahmen von Pandnren- und Bnschkirengesindel bestätigen nnr die Regel für
die regulären Truppen. Solche Banditen plünderten den sterbenden Major
von Kleist bei Kunersdorf und nahmen dem Tvdtwunden selbst das Hemd.
Ein russischer Husar, der ihn so fand, bekleidete den fremden Feind, so gut er
vermochte und schenkte ihm ein sür seine Stellung damals nicht unbedeutendes
Geldstück, eine Mark werth. Mir ist kein Fall aus dem letzten Kriege bekannt,
wo ein französischer Soldat so an einem Deutschen gehandelt hätte, wohl aber
habe ich Aehnliches von Leuten, die unter meinem Befehl standen, mit an¬
gesehen.

Wenn nun aber das französische Werk, und ganz besonders ein höchst
interessanter Bericht, den ein namenloser Theilnehmer der verunglückten
Landung von Quiberon giebt, in dieser Uneinigkeit den Grund sucht sür das
Scheitern des ganzen Aufstandes, so ist dies wohl nur theilweise richtig. Der
Aufstand mußte scheitern, weil er gegen thatsächlich berechtigte Verhältnisse an¬
kämpfte, sobald er den heimischen Boden verließ. Wohl hatten die Bewohner
der Vendee Recht, wenn sie ihre bewährten Institutionen hochhielten, aber die
übrigen fünfundzwanzig Millionen Franzosen hatten mindestens ebenso Recht,
wenn sie diese Institutionen mit Stumpf lind Stiel ausrotteten, und im Feuer


Grenzboten I. 187S. 10

auch die Richtigere der oben aus dein Werke Lescure's entnommenen Ansichten.
Einmal erklärt sich durch den Charakter des Racenkampfes die teuflische und
viehische Grausamkeit, mit der die republikanischen Kolonnen, mit Recht eolcmnks
nckrimiW genannt, über Wehrlose, Weiber und Kinder herfielen, andrerseits
zeigt die sehr bald zwischen den adligen und nicht adligen Führern aus-
brechende Uneinigkeit den innern Zwiespalt. Die erstern waren nicht energisch
genug für ihre fanatisch gesinnten Kollegen, und wollten nicht in einem Kriege
länger kommandiren, der allen ihren Begriffen von Soldatenehre und Völker¬
recht Hohn sprach. Das nämlich muß ausgesprochen werden: der Soldat
jener Zeit, Offizier wie Gemeiner war gewöhnt, und suchte eine Ehre darin,
seine Gefangenen gut zu behandeln. Ausgeplündert wurden sie, das war
Kriegsrecht, aber brutale und nnritterliche Behandlung der Gefangenen haben
erst die französischen Revolntivnshcrru in die Kriegsgeschichte eingeführt, und
Napoleon, der herzenskalte Tyrann, dessen Herz des Arztes Hand selbst nicht
schlagen fühlte, verwandelte diese Brutalität in ein System. — Jene größere
Humanität gegen Kriegsgefangene lag im ganzen Wesen der Kabinetskriege
jener Zeit, welche die Leidenschaften nicht aufs Aeußerste trieben. Man lese,
um diese Behauptung bestätigt zu finden, das erste beste Memoirenwerk, vom
spanischen Erbfolgekrieg, vom nordischen Krieg an, durch den ganzen sieben¬
jährigen Krieg hindurch, und man wird angenehm berührt sein von der
Konrtoisie, mit der der Soldat den gefangenen Kameraden behandelt. Aus¬
nahmen von Pandnren- und Bnschkirengesindel bestätigen nnr die Regel für
die regulären Truppen. Solche Banditen plünderten den sterbenden Major
von Kleist bei Kunersdorf und nahmen dem Tvdtwunden selbst das Hemd.
Ein russischer Husar, der ihn so fand, bekleidete den fremden Feind, so gut er
vermochte und schenkte ihm ein sür seine Stellung damals nicht unbedeutendes
Geldstück, eine Mark werth. Mir ist kein Fall aus dem letzten Kriege bekannt,
wo ein französischer Soldat so an einem Deutschen gehandelt hätte, wohl aber
habe ich Aehnliches von Leuten, die unter meinem Befehl standen, mit an¬
gesehen.

Wenn nun aber das französische Werk, und ganz besonders ein höchst
interessanter Bericht, den ein namenloser Theilnehmer der verunglückten
Landung von Quiberon giebt, in dieser Uneinigkeit den Grund sucht sür das
Scheitern des ganzen Aufstandes, so ist dies wohl nur theilweise richtig. Der
Aufstand mußte scheitern, weil er gegen thatsächlich berechtigte Verhältnisse an¬
kämpfte, sobald er den heimischen Boden verließ. Wohl hatten die Bewohner
der Vendee Recht, wenn sie ihre bewährten Institutionen hochhielten, aber die
übrigen fünfundzwanzig Millionen Franzosen hatten mindestens ebenso Recht,
wenn sie diese Institutionen mit Stumpf lind Stiel ausrotteten, und im Feuer


Grenzboten I. 187S. 10
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157649/81>, abgerufen am 15.05.2024.