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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band.

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Gestürzt in der Mütter Erde Schooß,
Doch es ersteht in heiterem Schimmer
Das Grün der Saat, es belaubt sich der Varin,
Er wächst, und frnchtschwer hangen die Zweige.
Davon niihrt dann unser Geschlecht sich
Und das Vieh und das Wild: glückliche Städte
Sehen wir blühn von munterer Jugend,
Und im Wald erklingen die Lanbgewölbe
Rings von der jungen Vogel Gesängen. --
Also geht, was uns zu vergehn scheint,
Nun und nimmer in's Nichts zurück,
Denn eins aus dein andern erneut die Natur
Und läßt kein Ding zum Dasein gelangen,
Bent nicht eines andern Tod ihr den Stoss.

Wo jetzt die Chemie, eine junge und doch schon so mächtige Wissenschaft, das
Wie nachweist, sahen die Alten nur das Ergebniß. "Die antiken Naturforscher
gleichen Menschen, welche zur Nachtzeit ohne Laterne wandern," sagt ein eng¬
lischer Gelehrter, "sie konnten keine Prüfung durch das Experiment vornehmen
und durch dieses ihre Hypothesen bestätigen. Aber trotz alledem befähigte sie
eine hervorragende Begabung (ta-ente^), den richtigen Pfad zu finden." Jeden¬
falls kann die Schlußfolgerung aus jenen Thatsachen auch jetzt nicht hurtiger
ausgesprochen werden, als Lucrez es gethan hat.

Es folgt der Beweis für die Existenz eines leeren Raumes. Das
Hauptargument ist von der Bewegung hergenommen (l, 335--339):


Gab' es kein Leeres, so könnten die Dinge
Sich nimmer bewegen, denn was als Beruf
Des Körpers besteht, im Wege zu stehen
Und den Raum zu sperren, würde immer
Jeder Bewegung sich hindernd erweisen.

Zwar meinen einige, auch ohne Leere sei Bewegung möglich: durch gegen¬
seitiges Ausweichen. So konnten die Fische im Wasser schwimmen, weil das
Wasser, welches sie vorn verdrängten, in die Lücke fließe, welche sich hinter
ihnen bilde. Lucrez erwiedert darauf (I, 370 ff.):


Das ist gänzlich verkehrt gedacht;
Denn wie doch könnte die schuppige Brut
Vorwärts dringen, wenn nicht zuvor
Ihnen die Wasser Raum gegeben?
Und wie doch könnten die Wasserwellen
Rückwärts weichen, wenn sich die Fische
Nicht vom Platze bewegen könnten?

Für die moderne Physik dürfte hier nur der Aether in Frage kommen, für
dessen Diskontinuität Fechner in seinem Buche "Ueber die physikalische und
Philosophische Atomenlehre" eine Reihe scharfsinniger Beweise gegeben hat.


Grenzboten IN. 1878. 62
Gestürzt in der Mütter Erde Schooß,
Doch es ersteht in heiterem Schimmer
Das Grün der Saat, es belaubt sich der Varin,
Er wächst, und frnchtschwer hangen die Zweige.
Davon niihrt dann unser Geschlecht sich
Und das Vieh und das Wild: glückliche Städte
Sehen wir blühn von munterer Jugend,
Und im Wald erklingen die Lanbgewölbe
Rings von der jungen Vogel Gesängen. —
Also geht, was uns zu vergehn scheint,
Nun und nimmer in's Nichts zurück,
Denn eins aus dein andern erneut die Natur
Und läßt kein Ding zum Dasein gelangen,
Bent nicht eines andern Tod ihr den Stoss.

Wo jetzt die Chemie, eine junge und doch schon so mächtige Wissenschaft, das
Wie nachweist, sahen die Alten nur das Ergebniß. „Die antiken Naturforscher
gleichen Menschen, welche zur Nachtzeit ohne Laterne wandern," sagt ein eng¬
lischer Gelehrter, „sie konnten keine Prüfung durch das Experiment vornehmen
und durch dieses ihre Hypothesen bestätigen. Aber trotz alledem befähigte sie
eine hervorragende Begabung (ta-ente^), den richtigen Pfad zu finden." Jeden¬
falls kann die Schlußfolgerung aus jenen Thatsachen auch jetzt nicht hurtiger
ausgesprochen werden, als Lucrez es gethan hat.

Es folgt der Beweis für die Existenz eines leeren Raumes. Das
Hauptargument ist von der Bewegung hergenommen (l, 335—339):


Gab' es kein Leeres, so könnten die Dinge
Sich nimmer bewegen, denn was als Beruf
Des Körpers besteht, im Wege zu stehen
Und den Raum zu sperren, würde immer
Jeder Bewegung sich hindernd erweisen.

Zwar meinen einige, auch ohne Leere sei Bewegung möglich: durch gegen¬
seitiges Ausweichen. So konnten die Fische im Wasser schwimmen, weil das
Wasser, welches sie vorn verdrängten, in die Lücke fließe, welche sich hinter
ihnen bilde. Lucrez erwiedert darauf (I, 370 ff.):


Das ist gänzlich verkehrt gedacht;
Denn wie doch könnte die schuppige Brut
Vorwärts dringen, wenn nicht zuvor
Ihnen die Wasser Raum gegeben?
Und wie doch könnten die Wasserwellen
Rückwärts weichen, wenn sich die Fische
Nicht vom Platze bewegen könnten?

Für die moderne Physik dürfte hier nur der Aether in Frage kommen, für
dessen Diskontinuität Fechner in seinem Buche „Ueber die physikalische und
Philosophische Atomenlehre" eine Reihe scharfsinniger Beweise gegeben hat.


Grenzboten IN. 1878. 62
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[0417] Gestürzt in der Mütter Erde Schooß, Doch es ersteht in heiterem Schimmer Das Grün der Saat, es belaubt sich der Varin, Er wächst, und frnchtschwer hangen die Zweige. Davon niihrt dann unser Geschlecht sich Und das Vieh und das Wild: glückliche Städte Sehen wir blühn von munterer Jugend, Und im Wald erklingen die Lanbgewölbe Rings von der jungen Vogel Gesängen. — Also geht, was uns zu vergehn scheint, Nun und nimmer in's Nichts zurück, Denn eins aus dein andern erneut die Natur Und läßt kein Ding zum Dasein gelangen, Bent nicht eines andern Tod ihr den Stoss. Wo jetzt die Chemie, eine junge und doch schon so mächtige Wissenschaft, das Wie nachweist, sahen die Alten nur das Ergebniß. „Die antiken Naturforscher gleichen Menschen, welche zur Nachtzeit ohne Laterne wandern," sagt ein eng¬ lischer Gelehrter, „sie konnten keine Prüfung durch das Experiment vornehmen und durch dieses ihre Hypothesen bestätigen. Aber trotz alledem befähigte sie eine hervorragende Begabung (ta-ente^), den richtigen Pfad zu finden." Jeden¬ falls kann die Schlußfolgerung aus jenen Thatsachen auch jetzt nicht hurtiger ausgesprochen werden, als Lucrez es gethan hat. Es folgt der Beweis für die Existenz eines leeren Raumes. Das Hauptargument ist von der Bewegung hergenommen (l, 335—339): Gab' es kein Leeres, so könnten die Dinge Sich nimmer bewegen, denn was als Beruf Des Körpers besteht, im Wege zu stehen Und den Raum zu sperren, würde immer Jeder Bewegung sich hindernd erweisen. Zwar meinen einige, auch ohne Leere sei Bewegung möglich: durch gegen¬ seitiges Ausweichen. So konnten die Fische im Wasser schwimmen, weil das Wasser, welches sie vorn verdrängten, in die Lücke fließe, welche sich hinter ihnen bilde. Lucrez erwiedert darauf (I, 370 ff.): Das ist gänzlich verkehrt gedacht; Denn wie doch könnte die schuppige Brut Vorwärts dringen, wenn nicht zuvor Ihnen die Wasser Raum gegeben? Und wie doch könnten die Wasserwellen Rückwärts weichen, wenn sich die Fische Nicht vom Platze bewegen könnten? Für die moderne Physik dürfte hier nur der Aether in Frage kommen, für dessen Diskontinuität Fechner in seinem Buche „Ueber die physikalische und Philosophische Atomenlehre" eine Reihe scharfsinniger Beweise gegeben hat. Grenzboten IN. 1878. 62

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157661/417>, abgerufen am 16.06.2024.