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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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die österreichischen Lande nicht gefährden lassen, ohne sich selbst zu schaden;
auf der Stelle brach er auf, ging über Leitineriz und Rakoniz nach Pilsen;
von dort eilte er mit 4000 Reitern und auserlesenen Fußvolk am 28. November
gegen die bairische Grenze, war zwei Tage später in Furth. Aber der An¬
marsch Weimar's, der darauf brannte sich mit dem gefttrchteten Gegner zu
messen, die strenge Kälte, der Mangel an Lebensmitteln zwangen ihn zum Rück¬
züge; in Pilsen nahm er sein Hauptquartier.

Und hier entwickelte sich nun die entscheidende Krisis, die nach wenigen
Wochen zu blutiger Katastrophe führte. Sie entsprang nicht in erster Linie
aus einem Konflikte Friedland's mit seinem Kaiser, sondern mit der spanischen
Politik.

So tief erschöpft der spanische Staat jener Tage bereits war, so hoch¬
strebend und weltumspannend erscheint doch noch die Politik seines habsburgi-
schen Herrscherhauses, das den Wahlspruch seines Ahnherrn Karl's V. "?1us,
ultra", "mehr, weiter" unentwegt als den seinen festhielt und sich noch als die
führende Macht des Katholizismus ansah. Seit 12 Jahren rangen wieder
spanische Waffen um die Unterwerfung der abtrünnigen Niederlange, des reich¬
sten Landes der Welt, aber da sie als spanischer Besitz die Unabhängigkeit
Frankreich's, wo eben Kardinal Richelieu mit eiserner Hand jeden Widerstand
gegen das absolute Königthum zu Boden drückte, auf's Stärkste gefährdeten,
so unterstützte der Kardinal heimlich und offen die niederländischen Ketzer und
strebte zugleich durch Besitzergreifung des Elsaß den Spaniern die alte Heer¬
straße von ihrem Mailand nach Belgien abzuschneiden, den einzigen Weg, der
ihren Armeen dahin offen stand, seitdem ihre Seeherrschaft gebrochen war.
Eben deshalb wollte Spanien zwar den Frieden im deutschen Reiche, keines¬
wegs aber um den Preis des Verzichts auf das Restitutionsedikt, und nur zu
dem Zwecke, die Kräfte des Reiches in spanischem Interesse gegen Frankreich
zu wenden. Indem Wallenstein den Verzicht erstrebte, den Krieg gegen Frank¬
reich aber verwarf, stieß er in diesen Punkten zunächst mit Spanien feindlich
zusammen. Aber noch mehr. Jenen Einmarsch Ferias zum Schutze des
Elsaß gegen französische Angriffe hatte Friedland nur gestattet, weil der Kaiser
ihn dringend wünschte, doch mit innerem Widerstreben. Und vor Allem:
Spanien begehrte für sich selbst, um jene Rheinstraße fester in der Hand zu
halten, nicht uur das Elsaß, das ihm ein Vertrag von 1617 zugesichert, son¬
dern auch den Besitz der Rheinpfalz, deren Kurfürst Friedrich V., der böh¬
mische "Winterkönig", wie der Spott seiner Feinde ihn nannte, seit 10 Jahren
geächtet in der Fremde saß; eben dies Land aber strebte Wallenstein für sich
selbst zu erwerben, als ein "Rekompens" für das verlorene Mecklenburg, und
er konnte sich dafür auf ein mündliches Versprechen des Kaisers berufen, das


die österreichischen Lande nicht gefährden lassen, ohne sich selbst zu schaden;
auf der Stelle brach er auf, ging über Leitineriz und Rakoniz nach Pilsen;
von dort eilte er mit 4000 Reitern und auserlesenen Fußvolk am 28. November
gegen die bairische Grenze, war zwei Tage später in Furth. Aber der An¬
marsch Weimar's, der darauf brannte sich mit dem gefttrchteten Gegner zu
messen, die strenge Kälte, der Mangel an Lebensmitteln zwangen ihn zum Rück¬
züge; in Pilsen nahm er sein Hauptquartier.

Und hier entwickelte sich nun die entscheidende Krisis, die nach wenigen
Wochen zu blutiger Katastrophe führte. Sie entsprang nicht in erster Linie
aus einem Konflikte Friedland's mit seinem Kaiser, sondern mit der spanischen
Politik.

So tief erschöpft der spanische Staat jener Tage bereits war, so hoch¬
strebend und weltumspannend erscheint doch noch die Politik seines habsburgi-
schen Herrscherhauses, das den Wahlspruch seines Ahnherrn Karl's V. „?1us,
ultra", „mehr, weiter" unentwegt als den seinen festhielt und sich noch als die
führende Macht des Katholizismus ansah. Seit 12 Jahren rangen wieder
spanische Waffen um die Unterwerfung der abtrünnigen Niederlange, des reich¬
sten Landes der Welt, aber da sie als spanischer Besitz die Unabhängigkeit
Frankreich's, wo eben Kardinal Richelieu mit eiserner Hand jeden Widerstand
gegen das absolute Königthum zu Boden drückte, auf's Stärkste gefährdeten,
so unterstützte der Kardinal heimlich und offen die niederländischen Ketzer und
strebte zugleich durch Besitzergreifung des Elsaß den Spaniern die alte Heer¬
straße von ihrem Mailand nach Belgien abzuschneiden, den einzigen Weg, der
ihren Armeen dahin offen stand, seitdem ihre Seeherrschaft gebrochen war.
Eben deshalb wollte Spanien zwar den Frieden im deutschen Reiche, keines¬
wegs aber um den Preis des Verzichts auf das Restitutionsedikt, und nur zu
dem Zwecke, die Kräfte des Reiches in spanischem Interesse gegen Frankreich
zu wenden. Indem Wallenstein den Verzicht erstrebte, den Krieg gegen Frank¬
reich aber verwarf, stieß er in diesen Punkten zunächst mit Spanien feindlich
zusammen. Aber noch mehr. Jenen Einmarsch Ferias zum Schutze des
Elsaß gegen französische Angriffe hatte Friedland nur gestattet, weil der Kaiser
ihn dringend wünschte, doch mit innerem Widerstreben. Und vor Allem:
Spanien begehrte für sich selbst, um jene Rheinstraße fester in der Hand zu
halten, nicht uur das Elsaß, das ihm ein Vertrag von 1617 zugesichert, son¬
dern auch den Besitz der Rheinpfalz, deren Kurfürst Friedrich V., der böh¬
mische „Winterkönig", wie der Spott seiner Feinde ihn nannte, seit 10 Jahren
geächtet in der Fremde saß; eben dies Land aber strebte Wallenstein für sich
selbst zu erwerben, als ein „Rekompens" für das verlorene Mecklenburg, und
er konnte sich dafür auf ein mündliches Versprechen des Kaisers berufen, das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/15>, abgerufen am 16.05.2024.