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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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sittlicher Beziehung damit verknüpft sind, verschließen. Zu diesen Uebelständen
gehören unter Anderem das mit dem modernen Völkerrecht schwer zu vereini¬
gende System des Kulihandels und die schrankenlose Jurisdiktion, welche von
den reichen und mächtigen sechs chinesischen Einwanderungsgesellschaften (Ax
(ÜomxÄniss) auf die über 100,000 Köpfe zählenden chinesischen Bewohner der
Pazifieküste ausgeübt wird. Diese in San Fcmzisko befindlichen Einwande¬
rungsgesellschaften betrachten, obschon sie selbst der chinesischen Nationalität an¬
gehören, die nach Kalifornien eingewanderten Chinesen nicht anders als ihre
Leibeigenen und behandeln sie demgemäß; sie haben eine Geheinipolizei und
ein Geheimtribunal errichtet und belegen ihre in Amerika lebenden Landsleute
mit den höchsten Strafen, ja selbst mit der Todesstrafe, sobald letztere den
selbstsüchtigen und willkürlichen Anordnungen und Befehlen der genannten Ge¬
sellschaften nicht gehorchen. Es gilt, diesen Chinesenstaat so orwig-rurs im
amerikanischen Staat zu zerstören, und, wenn Kuliarbeit dort ferner fortbe¬
stehen soll, dieselbe wenigstens auf ein solches Maß zu beschränken, daß der
eigentliche Nutzen derselben Kalifornien und den übrigen Pazificstciaten und
der Löwenantheil nicht dem Auslande zufällt. Alle in den Ländern am Stillen
Meere lebenden Söhne des "Himmlischen Reiches" fürchten und respektiren die
amerikanischen Gesetze weit weniger, als das geheime Regiment der sechs Ein-
wanderungsgesellschasten, da ihnen jene Gesetze keinen genügenden Schutz gegen
die Gewaltmaßregeln der "Lix LoiQxs.riss" gewähren. Darüber also, daß die
Chineseneinwanderung besser geregelt werden muß, sind alle politischen Par¬
teien in den Pazificstciaten, vorzugsweise in Kalifornien, einig, mit alleiniger
Ausnahme derjenigen Elemente, die unmittelbar aus der Kuliarbeit Nutzen
ziehen. Die Schwierigkeit besteht nur darin, wie diese Regelung vorgenommen
werden soll. Jntriguante Politiker gebrauchen diese brennende Frage der Pazi¬
fieküste zur Erreichung selbstsüchtiger Zwecke. Die Kommunisten und Sozial¬
demokraten, deren Lage aller chinesischen Konkurrenz zum Trotz lange nicht so
beklagenswerth ist, wie vorgegeben wird, benutzen die geschilderte Lage der
Dinge zum Entschuldigungsgrund für ihre Umtriebe und übermäßigen Forde¬
rungen und haben sich auf diese Weise in vielen Distrikten Kaliforniens eine
so mächtige Stellung zu erringen gewußt, daß die anderen politischen Parteien
gewaltig an Ansehen und Einfluß verloren haben.

An der Spitze der kalifornischen Sozialdemokratie stand aber während der
Wahlen zur Staatskonvention und schon vorher ein gewisser Dennis Kearney,
dem jedes Mittel recht ist, um die bestehende Ordnung über den Haufen zu
werfen, sei es auch Mord und Brand. Dennis Kearney ist erst 31 Jahre alt
und stammt von irländischen Eltern ab. Er ist klein von Gestalt und besitzt
keine großen Körperkräfte; von einer ordentlichen Schulbildung ist bei ihm nicht


sittlicher Beziehung damit verknüpft sind, verschließen. Zu diesen Uebelständen
gehören unter Anderem das mit dem modernen Völkerrecht schwer zu vereini¬
gende System des Kulihandels und die schrankenlose Jurisdiktion, welche von
den reichen und mächtigen sechs chinesischen Einwanderungsgesellschaften (Ax
(ÜomxÄniss) auf die über 100,000 Köpfe zählenden chinesischen Bewohner der
Pazifieküste ausgeübt wird. Diese in San Fcmzisko befindlichen Einwande¬
rungsgesellschaften betrachten, obschon sie selbst der chinesischen Nationalität an¬
gehören, die nach Kalifornien eingewanderten Chinesen nicht anders als ihre
Leibeigenen und behandeln sie demgemäß; sie haben eine Geheinipolizei und
ein Geheimtribunal errichtet und belegen ihre in Amerika lebenden Landsleute
mit den höchsten Strafen, ja selbst mit der Todesstrafe, sobald letztere den
selbstsüchtigen und willkürlichen Anordnungen und Befehlen der genannten Ge¬
sellschaften nicht gehorchen. Es gilt, diesen Chinesenstaat so orwig-rurs im
amerikanischen Staat zu zerstören, und, wenn Kuliarbeit dort ferner fortbe¬
stehen soll, dieselbe wenigstens auf ein solches Maß zu beschränken, daß der
eigentliche Nutzen derselben Kalifornien und den übrigen Pazificstciaten und
der Löwenantheil nicht dem Auslande zufällt. Alle in den Ländern am Stillen
Meere lebenden Söhne des „Himmlischen Reiches" fürchten und respektiren die
amerikanischen Gesetze weit weniger, als das geheime Regiment der sechs Ein-
wanderungsgesellschasten, da ihnen jene Gesetze keinen genügenden Schutz gegen
die Gewaltmaßregeln der „Lix LoiQxs.riss" gewähren. Darüber also, daß die
Chineseneinwanderung besser geregelt werden muß, sind alle politischen Par¬
teien in den Pazificstciaten, vorzugsweise in Kalifornien, einig, mit alleiniger
Ausnahme derjenigen Elemente, die unmittelbar aus der Kuliarbeit Nutzen
ziehen. Die Schwierigkeit besteht nur darin, wie diese Regelung vorgenommen
werden soll. Jntriguante Politiker gebrauchen diese brennende Frage der Pazi¬
fieküste zur Erreichung selbstsüchtiger Zwecke. Die Kommunisten und Sozial¬
demokraten, deren Lage aller chinesischen Konkurrenz zum Trotz lange nicht so
beklagenswerth ist, wie vorgegeben wird, benutzen die geschilderte Lage der
Dinge zum Entschuldigungsgrund für ihre Umtriebe und übermäßigen Forde¬
rungen und haben sich auf diese Weise in vielen Distrikten Kaliforniens eine
so mächtige Stellung zu erringen gewußt, daß die anderen politischen Parteien
gewaltig an Ansehen und Einfluß verloren haben.

An der Spitze der kalifornischen Sozialdemokratie stand aber während der
Wahlen zur Staatskonvention und schon vorher ein gewisser Dennis Kearney,
dem jedes Mittel recht ist, um die bestehende Ordnung über den Haufen zu
werfen, sei es auch Mord und Brand. Dennis Kearney ist erst 31 Jahre alt
und stammt von irländischen Eltern ab. Er ist klein von Gestalt und besitzt
keine großen Körperkräfte; von einer ordentlichen Schulbildung ist bei ihm nicht


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[0150] sittlicher Beziehung damit verknüpft sind, verschließen. Zu diesen Uebelständen gehören unter Anderem das mit dem modernen Völkerrecht schwer zu vereini¬ gende System des Kulihandels und die schrankenlose Jurisdiktion, welche von den reichen und mächtigen sechs chinesischen Einwanderungsgesellschaften (Ax (ÜomxÄniss) auf die über 100,000 Köpfe zählenden chinesischen Bewohner der Pazifieküste ausgeübt wird. Diese in San Fcmzisko befindlichen Einwande¬ rungsgesellschaften betrachten, obschon sie selbst der chinesischen Nationalität an¬ gehören, die nach Kalifornien eingewanderten Chinesen nicht anders als ihre Leibeigenen und behandeln sie demgemäß; sie haben eine Geheinipolizei und ein Geheimtribunal errichtet und belegen ihre in Amerika lebenden Landsleute mit den höchsten Strafen, ja selbst mit der Todesstrafe, sobald letztere den selbstsüchtigen und willkürlichen Anordnungen und Befehlen der genannten Ge¬ sellschaften nicht gehorchen. Es gilt, diesen Chinesenstaat so orwig-rurs im amerikanischen Staat zu zerstören, und, wenn Kuliarbeit dort ferner fortbe¬ stehen soll, dieselbe wenigstens auf ein solches Maß zu beschränken, daß der eigentliche Nutzen derselben Kalifornien und den übrigen Pazificstciaten und der Löwenantheil nicht dem Auslande zufällt. Alle in den Ländern am Stillen Meere lebenden Söhne des „Himmlischen Reiches" fürchten und respektiren die amerikanischen Gesetze weit weniger, als das geheime Regiment der sechs Ein- wanderungsgesellschasten, da ihnen jene Gesetze keinen genügenden Schutz gegen die Gewaltmaßregeln der „Lix LoiQxs.riss" gewähren. Darüber also, daß die Chineseneinwanderung besser geregelt werden muß, sind alle politischen Par¬ teien in den Pazificstciaten, vorzugsweise in Kalifornien, einig, mit alleiniger Ausnahme derjenigen Elemente, die unmittelbar aus der Kuliarbeit Nutzen ziehen. Die Schwierigkeit besteht nur darin, wie diese Regelung vorgenommen werden soll. Jntriguante Politiker gebrauchen diese brennende Frage der Pazi¬ fieküste zur Erreichung selbstsüchtiger Zwecke. Die Kommunisten und Sozial¬ demokraten, deren Lage aller chinesischen Konkurrenz zum Trotz lange nicht so beklagenswerth ist, wie vorgegeben wird, benutzen die geschilderte Lage der Dinge zum Entschuldigungsgrund für ihre Umtriebe und übermäßigen Forde¬ rungen und haben sich auf diese Weise in vielen Distrikten Kaliforniens eine so mächtige Stellung zu erringen gewußt, daß die anderen politischen Parteien gewaltig an Ansehen und Einfluß verloren haben. An der Spitze der kalifornischen Sozialdemokratie stand aber während der Wahlen zur Staatskonvention und schon vorher ein gewisser Dennis Kearney, dem jedes Mittel recht ist, um die bestehende Ordnung über den Haufen zu werfen, sei es auch Mord und Brand. Dennis Kearney ist erst 31 Jahre alt und stammt von irländischen Eltern ab. Er ist klein von Gestalt und besitzt keine großen Körperkräfte; von einer ordentlichen Schulbildung ist bei ihm nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/150>, abgerufen am 15.05.2024.