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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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Meininger im alten sich mit den altmodischen Stücken Shakespeare's und
Schiller's herumschlagen. Nur im alten Hause kann aber auch das distin-
guirte Spiel der Meininger zur Geltung kommen. Daß unsere großen,
neuen Theater keine Schauspielhäuser mehr sind, daß sie die feinere Schau¬
spielkunst heruntergebracht haben, weil sie blos auf die große Speetakel-
oper berechnet sind, ist oft genug ausgesprochen worden. Den Meiningern ist
offenbar in den bescheidenen Dimensionen der alten Leipziger Bühne sehr
wohlig zu Muthe. Nicht minder aber auch dem Publikum, vor allem dem "alten
Leipziger". Es geht zwar herzlich enge zu in den alten, schlichten Räumen,
und man begreift es heilte schwer, daß die Menschheit sich ein volles Jahr¬
hundert hindurch mit solchen Sitzen hat begnügen können; aber man vergißt
es bald, wie sehr man seine Gliedmaßen drängen und zwängen muß. wenn
der Geist so vollauf in Anspruch genommen ist, wie hier. Und noch eins:
Von der kleinbürgerlichen Einfachheit des Hauses lassen sich unwillkührlich
auch die Zuschauer beeinflussen. Wer in's "alte Theater" geht, macht keine große
Toilette; das sxvetizntur ut ixsg-v fällt hier vollständig weg, der ganze Zu¬
schauerkreis erinnert einen in seiner soliden Schlichtheit traulich und anheimelnd
an die gute alte Zeit, wo uoch nicht die goldbehcmgeue jüdische Kaufmannsfrau,
sondern der sür alles Edle und Schone begeisterte deutsche Student die Herr¬
schaft im Theater hatte; und der und jener läßt wohl auch seine Phantasie
noch etwas weiter zurückspazieren in die Zeiten, wo auch dieses "alte Haus"
einmal nagelneu war, und wo, nachdem der Oeser'sche Vorhang in die Höhe
gerauscht war, der Student Wolfgang Goethe an den Lippen der Schmehling
und der Schröter hing. Ja, ja, in solche Träume könne" einen die Meininger
wiegen -- bei Herrn Dr. Förster sind wir vor dergleichen freilich sicher.

Unsere Gäste haben in Leipzig eine enthusiastische Aufnahme gefunden.
Das Leipziger Publikum steht mit Recht in dem Rufe, "kühl bis an's Herz
hinan" zu sein. Bei einem großen Theile ist's Thnerei, Blasirtheit, weiter
nichts, bei einem andern Theile aber, und das ist in der Hauptsache wohl der,
den die Meininger allabendlich um sich versammeln, ist es mehr als das: es
ist ein stark entwickeltes und wohlberechtigtes kritisches Bewußtsein. Wenn
diese Kreise warm werden und einem Künstler durch dreimaligen Hervorruf
lohnen, das will in Leipzig etwas bedeuten. Unter dieser Zahl thun sie's aber
jetzt an keinem Abend, und nie versäumen sie, wenn die Darsteller nun am Schluß
nach guter, alter Theatersitte Hand in Hand aus der Koulisse ziehen, auch
den verdienten Direktor, Herrn Cronegk, zu rufen, um auch ihm den gebührenden
* 5 * Antheil an den Ehren des Abends zu spenden.




Meininger im alten sich mit den altmodischen Stücken Shakespeare's und
Schiller's herumschlagen. Nur im alten Hause kann aber auch das distin-
guirte Spiel der Meininger zur Geltung kommen. Daß unsere großen,
neuen Theater keine Schauspielhäuser mehr sind, daß sie die feinere Schau¬
spielkunst heruntergebracht haben, weil sie blos auf die große Speetakel-
oper berechnet sind, ist oft genug ausgesprochen worden. Den Meiningern ist
offenbar in den bescheidenen Dimensionen der alten Leipziger Bühne sehr
wohlig zu Muthe. Nicht minder aber auch dem Publikum, vor allem dem „alten
Leipziger". Es geht zwar herzlich enge zu in den alten, schlichten Räumen,
und man begreift es heilte schwer, daß die Menschheit sich ein volles Jahr¬
hundert hindurch mit solchen Sitzen hat begnügen können; aber man vergißt
es bald, wie sehr man seine Gliedmaßen drängen und zwängen muß. wenn
der Geist so vollauf in Anspruch genommen ist, wie hier. Und noch eins:
Von der kleinbürgerlichen Einfachheit des Hauses lassen sich unwillkührlich
auch die Zuschauer beeinflussen. Wer in's „alte Theater" geht, macht keine große
Toilette; das sxvetizntur ut ixsg-v fällt hier vollständig weg, der ganze Zu¬
schauerkreis erinnert einen in seiner soliden Schlichtheit traulich und anheimelnd
an die gute alte Zeit, wo uoch nicht die goldbehcmgeue jüdische Kaufmannsfrau,
sondern der sür alles Edle und Schone begeisterte deutsche Student die Herr¬
schaft im Theater hatte; und der und jener läßt wohl auch seine Phantasie
noch etwas weiter zurückspazieren in die Zeiten, wo auch dieses „alte Haus"
einmal nagelneu war, und wo, nachdem der Oeser'sche Vorhang in die Höhe
gerauscht war, der Student Wolfgang Goethe an den Lippen der Schmehling
und der Schröter hing. Ja, ja, in solche Träume könne» einen die Meininger
wiegen — bei Herrn Dr. Förster sind wir vor dergleichen freilich sicher.

Unsere Gäste haben in Leipzig eine enthusiastische Aufnahme gefunden.
Das Leipziger Publikum steht mit Recht in dem Rufe, „kühl bis an's Herz
hinan" zu sein. Bei einem großen Theile ist's Thnerei, Blasirtheit, weiter
nichts, bei einem andern Theile aber, und das ist in der Hauptsache wohl der,
den die Meininger allabendlich um sich versammeln, ist es mehr als das: es
ist ein stark entwickeltes und wohlberechtigtes kritisches Bewußtsein. Wenn
diese Kreise warm werden und einem Künstler durch dreimaligen Hervorruf
lohnen, das will in Leipzig etwas bedeuten. Unter dieser Zahl thun sie's aber
jetzt an keinem Abend, und nie versäumen sie, wenn die Darsteller nun am Schluß
nach guter, alter Theatersitte Hand in Hand aus der Koulisse ziehen, auch
den verdienten Direktor, Herrn Cronegk, zu rufen, um auch ihm den gebührenden
* 5 * Antheil an den Ehren des Abends zu spenden.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/202>, abgerufen am 15.05.2024.