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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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tete den Kanzler während der ganzen Dauer des siebenmonatlichen Krieges in
der Weise, daß er sich unausgesetzt in dessen unmittelbarer Umgebung und in
täglichem Verkehr mit ihm befand. Er hat, beauftragt, die Gedanken und
Absichten desselben in der Presse zu vertreten, Blicke in die Entwickelung der
Dinge thun können wie Wenige, er ist in hochbedeutsamen Momenten in dessen
nächster Nähe gewesen, und er hat, indem er beinahe ausnahmslos an der
Tafel des Kanzlers speiste, beim abendlichen Thee zugegen war und wiederholt
im Reisewagen der Mittheilsamkeit des Fürsten lauschen durfte, reichlich Ge¬
legenheit gehabt, auch zu sehen und zu hören, wie er sich im Privatleben giebt
und verhält. Und wenn Busch das Glück hatte, beobachten zu können, so
hat er, durch frühere Reisen zu literarischen Zwecken und strenge dienstliche
Uebung geschult, auch zu beobachten verstanden. Er brachte zur Erfüllung
der Aufgabe, die er sich gestellt, ein vorzügliches Gedächtniß selbst für das
Kleine und scheinbar Nebensächliche mit, und bei der Aufzeichnung seiner Be¬
obachtungen leitete ihn, wie jede Seite zeigt, trotz seiner stark ausgeprägten
Gesinnung, mit der wir ihn unter die unbedingten Verehrer des Fürsten zu
stellen haben, eine entschiedene, beinahe peinliche Wahrheitsliebe, die nichts
glättet, was rauh ist, nirgends aus dem Eigenen höhere Lichter aufsetzt, nirgends
Pointen hinzufügt, wo sich keine finden, und die andererseits auch solche zur
Charakteristik des Kanzlers nothwendig scheinende Dinge nicht übergeht, die
dem Berichterstatter -- wir denken dabei an die ihm gelegentlich ertheilten
Verweise -- beim Leser schaden können. Mit diesen Eigenschaften, zu denen
die Gabe, gut zu erzählen und lebendig zu schildern, tritt, führte Busch zu¬
nächst ein genaues und ausführliches Tagebuch, welches sich auf Notizen
gründete, die an Ort und Stelle gemacht wurden, und aus diesem theilt er
hier in reichlichen Auszügen mit, was sich ohne Pflichtverletzung, ohne Takt¬
losigkeit und ohne Schaden gegenwärtig mittheilen läßt.

Daß Vieles verschwiegen bleiben mußte, würden wir auch ohne die Be¬
zeichnung der Lücken durch Gedankenstriche, denen man namentlich in den letzten
Kapiteln häufig begegnet, von vornherein annehmen. Wahrscheinlich ist so¬
dann, daß jene Lücken ganz besonders interessante Vorkommnisse und Aeuße¬
rungen betreffen. Aber auch in dieser von den Verhältnissen gebotenen
UnVollständigkeit ist das Buch mit seiner photographischen Treue ein werthvoller
Beitrag zur Charakteristik des Kanzlers nach den verschiedensten Seiten seines
Wesens, eine trefflich durchgeführte Chronik des Krieges, soweit es sich dabei
um ihn handelte -- zumal für den, der zwischen den Zeilen zu lesen ver¬
steht -- und so eine wahre Fundgrube für die spätere Geschichts¬
schreibung. Eine Fülle neuer Charakterzüge und Aussprüche des Kanzlers,
der überall den Mittelpunkt der Darstellung bildet, wird geboten, das gesammte


tete den Kanzler während der ganzen Dauer des siebenmonatlichen Krieges in
der Weise, daß er sich unausgesetzt in dessen unmittelbarer Umgebung und in
täglichem Verkehr mit ihm befand. Er hat, beauftragt, die Gedanken und
Absichten desselben in der Presse zu vertreten, Blicke in die Entwickelung der
Dinge thun können wie Wenige, er ist in hochbedeutsamen Momenten in dessen
nächster Nähe gewesen, und er hat, indem er beinahe ausnahmslos an der
Tafel des Kanzlers speiste, beim abendlichen Thee zugegen war und wiederholt
im Reisewagen der Mittheilsamkeit des Fürsten lauschen durfte, reichlich Ge¬
legenheit gehabt, auch zu sehen und zu hören, wie er sich im Privatleben giebt
und verhält. Und wenn Busch das Glück hatte, beobachten zu können, so
hat er, durch frühere Reisen zu literarischen Zwecken und strenge dienstliche
Uebung geschult, auch zu beobachten verstanden. Er brachte zur Erfüllung
der Aufgabe, die er sich gestellt, ein vorzügliches Gedächtniß selbst für das
Kleine und scheinbar Nebensächliche mit, und bei der Aufzeichnung seiner Be¬
obachtungen leitete ihn, wie jede Seite zeigt, trotz seiner stark ausgeprägten
Gesinnung, mit der wir ihn unter die unbedingten Verehrer des Fürsten zu
stellen haben, eine entschiedene, beinahe peinliche Wahrheitsliebe, die nichts
glättet, was rauh ist, nirgends aus dem Eigenen höhere Lichter aufsetzt, nirgends
Pointen hinzufügt, wo sich keine finden, und die andererseits auch solche zur
Charakteristik des Kanzlers nothwendig scheinende Dinge nicht übergeht, die
dem Berichterstatter — wir denken dabei an die ihm gelegentlich ertheilten
Verweise — beim Leser schaden können. Mit diesen Eigenschaften, zu denen
die Gabe, gut zu erzählen und lebendig zu schildern, tritt, führte Busch zu¬
nächst ein genaues und ausführliches Tagebuch, welches sich auf Notizen
gründete, die an Ort und Stelle gemacht wurden, und aus diesem theilt er
hier in reichlichen Auszügen mit, was sich ohne Pflichtverletzung, ohne Takt¬
losigkeit und ohne Schaden gegenwärtig mittheilen läßt.

Daß Vieles verschwiegen bleiben mußte, würden wir auch ohne die Be¬
zeichnung der Lücken durch Gedankenstriche, denen man namentlich in den letzten
Kapiteln häufig begegnet, von vornherein annehmen. Wahrscheinlich ist so¬
dann, daß jene Lücken ganz besonders interessante Vorkommnisse und Aeuße¬
rungen betreffen. Aber auch in dieser von den Verhältnissen gebotenen
UnVollständigkeit ist das Buch mit seiner photographischen Treue ein werthvoller
Beitrag zur Charakteristik des Kanzlers nach den verschiedensten Seiten seines
Wesens, eine trefflich durchgeführte Chronik des Krieges, soweit es sich dabei
um ihn handelte — zumal für den, der zwischen den Zeilen zu lesen ver¬
steht — und so eine wahre Fundgrube für die spätere Geschichts¬
schreibung. Eine Fülle neuer Charakterzüge und Aussprüche des Kanzlers,
der überall den Mittelpunkt der Darstellung bildet, wird geboten, das gesammte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/272>, abgerufen am 15.05.2024.