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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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wnßtsein der persönlichen Beitragspflicht mahnt den Versicherten viel ernst¬
hafter zur Vorsicht während der Arbeit, als wenn sein Arbeitgeber den Bei¬
trag für ihn zahlt. Auch ist die Betheiligung von Arbeitern bei Verwaltung
der Kasse, bei Beurtheilung der Eutschädigungsfrage ?e, keineswegs bedenklich.
Im Gegentheil wird ihre Theilnahme solchen Kassen größeres Vertrauen ihrer
Kameraden zuführen, und dann ist es eine bekannte Thatsache, daß die Arbeiter
im Punkte der Entschädigung meist ökonomischer zu Werke gehen, wie der
Arbeitgeber. Daß übrigens solche Vereinigungen über ihren ursprünglichen
Zweck hinauswachsen, Schiedsgerichte, Invaliden- und Krankenkassen :e. aus
sich entwickeln und somit sehr aussichtsvolle Anfänge zu gewerblichen Fachgc-
uossenschasteu darstellen würden, welche in durchaus gesunder Weise Arbeitgeber
und Arbeitnehmer verbänden, liegt auf der Hand.

Den besondern Wohlfahrtseinrichtungen zu Gunsten der Arbeiter widme"
die Fabrikinspektoren gleichfalls eine eingehende Aufmerksamkeit. Sie haben
nach dieser Richtung von viel gutem Willen zu berichte", dem freilich die
schwere Noth der Zeit oft enge Schranken setzt. In die Einzelheiten einzu¬
gehen, würde an dieser Stelle zu weit führe", und so mag nur noch ein inter¬
essanter Gesichtspunkt hervorgehoben werden. Der Fabrikinspektvr für den
Regierungsbezirk Düsseldorf hebt den überaus günstigen Einfluß der dortigen
Arbeiterinnen-Hospize und -Vereine auf alleinstehende Frauen und Mädchen
hervor. Es sind solcher Vereine bisher nur rein konfessionelle vorhanden; sie
bestehen in Orten, wo die Arbeiterbevölkerung vorwiegend katholisch, ihr kon¬
fessioneller Charakter demnach so gut wie selbstverständlich ist und wo die von
den leitenden Geistlichen ausgeübte, seelsorgerische Zucht vom besten Einflüsse
sein kann. Von der protestantischen Kirche ist nirgends Aehnliches berichtet ;
die soziale Weisheit ihrer leitenden Kreise scheint noch immer von der Firma
Stöcker-Todt gepachtet zu sein. Uebrigens meint der Düsseldorfer Fabrik¬
inspektvr, daß für evangelische oder paritätische Bezirke sich ähnliche Bestrebungen
wohl eines ähnlich günstigen Erfolges zu erfreuen haben würden, wenn die
Leitung derselben in die Hände gebildeter Frauen gelegt würde, deren tägliche,
Persönliche Einwirkung auf die jungen Arbeiterinnen zur Geltung käme. So
bietet sich den Frauen der Fabrikbesitzer ein dankbares und reiches Feld der
Thätigkeit dar.

Damit mögen diese Andeutungen beendet und die neuesten Jahresberichte
der preußischen Fabrikinspektoren dem geneigten Leser selbst zum Forschen und
Graben überlassen bleiben. Er darf einer reichen Ernte sicher sein, und im
Uebrigen sei es diesen lehrreichen Bänden beschieden, von Jahr zu Jahr tiefer
zu haften im Gedächtnisse des Volks als feste Grundsteine der sozialen Reform!


Franz Mehring.


wnßtsein der persönlichen Beitragspflicht mahnt den Versicherten viel ernst¬
hafter zur Vorsicht während der Arbeit, als wenn sein Arbeitgeber den Bei¬
trag für ihn zahlt. Auch ist die Betheiligung von Arbeitern bei Verwaltung
der Kasse, bei Beurtheilung der Eutschädigungsfrage ?e, keineswegs bedenklich.
Im Gegentheil wird ihre Theilnahme solchen Kassen größeres Vertrauen ihrer
Kameraden zuführen, und dann ist es eine bekannte Thatsache, daß die Arbeiter
im Punkte der Entschädigung meist ökonomischer zu Werke gehen, wie der
Arbeitgeber. Daß übrigens solche Vereinigungen über ihren ursprünglichen
Zweck hinauswachsen, Schiedsgerichte, Invaliden- und Krankenkassen :e. aus
sich entwickeln und somit sehr aussichtsvolle Anfänge zu gewerblichen Fachgc-
uossenschasteu darstellen würden, welche in durchaus gesunder Weise Arbeitgeber
und Arbeitnehmer verbänden, liegt auf der Hand.

Den besondern Wohlfahrtseinrichtungen zu Gunsten der Arbeiter widme»
die Fabrikinspektoren gleichfalls eine eingehende Aufmerksamkeit. Sie haben
nach dieser Richtung von viel gutem Willen zu berichte», dem freilich die
schwere Noth der Zeit oft enge Schranken setzt. In die Einzelheiten einzu¬
gehen, würde an dieser Stelle zu weit führe», und so mag nur noch ein inter¬
essanter Gesichtspunkt hervorgehoben werden. Der Fabrikinspektvr für den
Regierungsbezirk Düsseldorf hebt den überaus günstigen Einfluß der dortigen
Arbeiterinnen-Hospize und -Vereine auf alleinstehende Frauen und Mädchen
hervor. Es sind solcher Vereine bisher nur rein konfessionelle vorhanden; sie
bestehen in Orten, wo die Arbeiterbevölkerung vorwiegend katholisch, ihr kon¬
fessioneller Charakter demnach so gut wie selbstverständlich ist und wo die von
den leitenden Geistlichen ausgeübte, seelsorgerische Zucht vom besten Einflüsse
sein kann. Von der protestantischen Kirche ist nirgends Aehnliches berichtet ;
die soziale Weisheit ihrer leitenden Kreise scheint noch immer von der Firma
Stöcker-Todt gepachtet zu sein. Uebrigens meint der Düsseldorfer Fabrik¬
inspektvr, daß für evangelische oder paritätische Bezirke sich ähnliche Bestrebungen
wohl eines ähnlich günstigen Erfolges zu erfreuen haben würden, wenn die
Leitung derselben in die Hände gebildeter Frauen gelegt würde, deren tägliche,
Persönliche Einwirkung auf die jungen Arbeiterinnen zur Geltung käme. So
bietet sich den Frauen der Fabrikbesitzer ein dankbares und reiches Feld der
Thätigkeit dar.

Damit mögen diese Andeutungen beendet und die neuesten Jahresberichte
der preußischen Fabrikinspektoren dem geneigten Leser selbst zum Forschen und
Graben überlassen bleiben. Er darf einer reichen Ernte sicher sein, und im
Uebrigen sei es diesen lehrreichen Bänden beschieden, von Jahr zu Jahr tiefer
zu haften im Gedächtnisse des Volks als feste Grundsteine der sozialen Reform!


Franz Mehring.


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[0301] wnßtsein der persönlichen Beitragspflicht mahnt den Versicherten viel ernst¬ hafter zur Vorsicht während der Arbeit, als wenn sein Arbeitgeber den Bei¬ trag für ihn zahlt. Auch ist die Betheiligung von Arbeitern bei Verwaltung der Kasse, bei Beurtheilung der Eutschädigungsfrage ?e, keineswegs bedenklich. Im Gegentheil wird ihre Theilnahme solchen Kassen größeres Vertrauen ihrer Kameraden zuführen, und dann ist es eine bekannte Thatsache, daß die Arbeiter im Punkte der Entschädigung meist ökonomischer zu Werke gehen, wie der Arbeitgeber. Daß übrigens solche Vereinigungen über ihren ursprünglichen Zweck hinauswachsen, Schiedsgerichte, Invaliden- und Krankenkassen :e. aus sich entwickeln und somit sehr aussichtsvolle Anfänge zu gewerblichen Fachgc- uossenschasteu darstellen würden, welche in durchaus gesunder Weise Arbeitgeber und Arbeitnehmer verbänden, liegt auf der Hand. Den besondern Wohlfahrtseinrichtungen zu Gunsten der Arbeiter widme» die Fabrikinspektoren gleichfalls eine eingehende Aufmerksamkeit. Sie haben nach dieser Richtung von viel gutem Willen zu berichte», dem freilich die schwere Noth der Zeit oft enge Schranken setzt. In die Einzelheiten einzu¬ gehen, würde an dieser Stelle zu weit führe», und so mag nur noch ein inter¬ essanter Gesichtspunkt hervorgehoben werden. Der Fabrikinspektvr für den Regierungsbezirk Düsseldorf hebt den überaus günstigen Einfluß der dortigen Arbeiterinnen-Hospize und -Vereine auf alleinstehende Frauen und Mädchen hervor. Es sind solcher Vereine bisher nur rein konfessionelle vorhanden; sie bestehen in Orten, wo die Arbeiterbevölkerung vorwiegend katholisch, ihr kon¬ fessioneller Charakter demnach so gut wie selbstverständlich ist und wo die von den leitenden Geistlichen ausgeübte, seelsorgerische Zucht vom besten Einflüsse sein kann. Von der protestantischen Kirche ist nirgends Aehnliches berichtet ; die soziale Weisheit ihrer leitenden Kreise scheint noch immer von der Firma Stöcker-Todt gepachtet zu sein. Uebrigens meint der Düsseldorfer Fabrik¬ inspektvr, daß für evangelische oder paritätische Bezirke sich ähnliche Bestrebungen wohl eines ähnlich günstigen Erfolges zu erfreuen haben würden, wenn die Leitung derselben in die Hände gebildeter Frauen gelegt würde, deren tägliche, Persönliche Einwirkung auf die jungen Arbeiterinnen zur Geltung käme. So bietet sich den Frauen der Fabrikbesitzer ein dankbares und reiches Feld der Thätigkeit dar. Damit mögen diese Andeutungen beendet und die neuesten Jahresberichte der preußischen Fabrikinspektoren dem geneigten Leser selbst zum Forschen und Graben überlassen bleiben. Er darf einer reichen Ernte sicher sein, und im Uebrigen sei es diesen lehrreichen Bänden beschieden, von Jahr zu Jahr tiefer zu haften im Gedächtnisse des Volks als feste Grundsteine der sozialen Reform! Franz Mehring.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/301>, abgerufen am 15.05.2024.