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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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anlassen oder zu gestatten. Angesichts der letzteren Thatsache verliert dieser
Muth natürlich alles Räthselhafte.

Der in Leipzig bestehende "Verein der Theaterfreunde", eine Verewigung
von Männern, die den angesehensten Kreisen der Stadt angehören und sich die
Aufgabe gestellt haben, eine Art aesthetischer Hochwände über unsere Bühne zu
halten, damit die Würde derselben von denen, denen sie in die Hand gegeben,
auch gewahrt werde, und damit nicht gegenüber dem "Tondrameu"-Humbug
und der Vorliebe für das französische "Sittengemälde" und das Wiener "Volks¬
stück" am Ende gar das klassische Schauspiel für obsolet erklärt werde, hat
den Meiningern bei ihrem Weggange von Leipzig in der hiesigen Tagespresse
folgenden warmen Scheidegrnß zugerufen:

"Die hehren Kunstgenüsse, welche uns das Gastspiel der Meininger Hof¬
schauspieler bereitet, sind nnn zu Ende. Im Sturm hat diese unvergleichliche
Kunstgenossenschaft die Herzen aller Kunstfreunde erobert, und was sie als
lebendige Wirkung, als nnvergiiugliches Andenken an uns zurückläßt, das steht
hoch und unerreichbar über jeglichen Splitterrichtereien. Höchster und souverainer
Richter im Theater ist und bleibt das Publikum. Und das war das alte
Leipzig wieder, das in Hellem Jubel diesen Gaben wahrer Kunst zujauchzte.
Mit Stolz und Freude dürfen wir es heute aussprechen: der viel gerühmte,
oft bethätigte und uur scheinbar manchmal in Ruhestand tretende Kunstsinn
Leipzig's, hier ist er aus's Glänzendste wieder in die Erscheinung getreten.
Mögen die Meininger Hofschauspieler, wie sie es allabendlich aus dem fast
überreichen Beifallssegen entnehmen konnten, mit dem Bewußtsein scheiden:
das Publikum -- und für dieses haben sie ja Wohl in der Hauptsache ge¬
spielt -- ist durch ihre Aufführungen zu einem Enthusiasmus hingerissen
worden, wie ihn nur ein reiner und voller Genuß zu erzeugen vermag, und
es wird unbeschadet der billigen Würdigung dessen, was für Andere über¬
haupt erreichbar oder nicht erreichbar erscheint, den Maßstab nicht aus den
Augen verlieren, der ihm hier für dramatische Aufführungen gegeben worden
ist. Denn abgesehen von dem rein äußeren Glanz sind es vor Allem zwei
Dinge, die aus jeder Aufführung der Meininger uns in tausend Variationen
entgegentraten und die, da sie Nichts kosten, für jede Bühne erreichbar oder
durchführbar sind: der eminente Fleiß, der auf das Einstudiren der Stücke,
und die Fülle von Geist und Geschmack, die auf die gesammte Jnszeuesetzung
verwandt sind. So rufen wir denn den Meininger Hofschanspielern als
Scheidegruß zu: Dank, wärmsten Dank für alle die schonen Gaben echter
und rechter deutscher Kunst, und auf baldiges, recht baldiges Wiedersehen!"

Nun, mit dem Wiedersehen wird es gute Weile haben. In deu Abschieds¬
worten, die Direktor Cronegk nach der letzten Vorstellung und nachdem eine


anlassen oder zu gestatten. Angesichts der letzteren Thatsache verliert dieser
Muth natürlich alles Räthselhafte.

Der in Leipzig bestehende „Verein der Theaterfreunde", eine Verewigung
von Männern, die den angesehensten Kreisen der Stadt angehören und sich die
Aufgabe gestellt haben, eine Art aesthetischer Hochwände über unsere Bühne zu
halten, damit die Würde derselben von denen, denen sie in die Hand gegeben,
auch gewahrt werde, und damit nicht gegenüber dem „Tondrameu"-Humbug
und der Vorliebe für das französische „Sittengemälde" und das Wiener „Volks¬
stück" am Ende gar das klassische Schauspiel für obsolet erklärt werde, hat
den Meiningern bei ihrem Weggange von Leipzig in der hiesigen Tagespresse
folgenden warmen Scheidegrnß zugerufen:

„Die hehren Kunstgenüsse, welche uns das Gastspiel der Meininger Hof¬
schauspieler bereitet, sind nnn zu Ende. Im Sturm hat diese unvergleichliche
Kunstgenossenschaft die Herzen aller Kunstfreunde erobert, und was sie als
lebendige Wirkung, als nnvergiiugliches Andenken an uns zurückläßt, das steht
hoch und unerreichbar über jeglichen Splitterrichtereien. Höchster und souverainer
Richter im Theater ist und bleibt das Publikum. Und das war das alte
Leipzig wieder, das in Hellem Jubel diesen Gaben wahrer Kunst zujauchzte.
Mit Stolz und Freude dürfen wir es heute aussprechen: der viel gerühmte,
oft bethätigte und uur scheinbar manchmal in Ruhestand tretende Kunstsinn
Leipzig's, hier ist er aus's Glänzendste wieder in die Erscheinung getreten.
Mögen die Meininger Hofschauspieler, wie sie es allabendlich aus dem fast
überreichen Beifallssegen entnehmen konnten, mit dem Bewußtsein scheiden:
das Publikum — und für dieses haben sie ja Wohl in der Hauptsache ge¬
spielt — ist durch ihre Aufführungen zu einem Enthusiasmus hingerissen
worden, wie ihn nur ein reiner und voller Genuß zu erzeugen vermag, und
es wird unbeschadet der billigen Würdigung dessen, was für Andere über¬
haupt erreichbar oder nicht erreichbar erscheint, den Maßstab nicht aus den
Augen verlieren, der ihm hier für dramatische Aufführungen gegeben worden
ist. Denn abgesehen von dem rein äußeren Glanz sind es vor Allem zwei
Dinge, die aus jeder Aufführung der Meininger uns in tausend Variationen
entgegentraten und die, da sie Nichts kosten, für jede Bühne erreichbar oder
durchführbar sind: der eminente Fleiß, der auf das Einstudiren der Stücke,
und die Fülle von Geist und Geschmack, die auf die gesammte Jnszeuesetzung
verwandt sind. So rufen wir denn den Meininger Hofschanspielern als
Scheidegruß zu: Dank, wärmsten Dank für alle die schonen Gaben echter
und rechter deutscher Kunst, und auf baldiges, recht baldiges Wiedersehen!"

Nun, mit dem Wiedersehen wird es gute Weile haben. In deu Abschieds¬
worten, die Direktor Cronegk nach der letzten Vorstellung und nachdem eine


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[0320] anlassen oder zu gestatten. Angesichts der letzteren Thatsache verliert dieser Muth natürlich alles Räthselhafte. Der in Leipzig bestehende „Verein der Theaterfreunde", eine Verewigung von Männern, die den angesehensten Kreisen der Stadt angehören und sich die Aufgabe gestellt haben, eine Art aesthetischer Hochwände über unsere Bühne zu halten, damit die Würde derselben von denen, denen sie in die Hand gegeben, auch gewahrt werde, und damit nicht gegenüber dem „Tondrameu"-Humbug und der Vorliebe für das französische „Sittengemälde" und das Wiener „Volks¬ stück" am Ende gar das klassische Schauspiel für obsolet erklärt werde, hat den Meiningern bei ihrem Weggange von Leipzig in der hiesigen Tagespresse folgenden warmen Scheidegrnß zugerufen: „Die hehren Kunstgenüsse, welche uns das Gastspiel der Meininger Hof¬ schauspieler bereitet, sind nnn zu Ende. Im Sturm hat diese unvergleichliche Kunstgenossenschaft die Herzen aller Kunstfreunde erobert, und was sie als lebendige Wirkung, als nnvergiiugliches Andenken an uns zurückläßt, das steht hoch und unerreichbar über jeglichen Splitterrichtereien. Höchster und souverainer Richter im Theater ist und bleibt das Publikum. Und das war das alte Leipzig wieder, das in Hellem Jubel diesen Gaben wahrer Kunst zujauchzte. Mit Stolz und Freude dürfen wir es heute aussprechen: der viel gerühmte, oft bethätigte und uur scheinbar manchmal in Ruhestand tretende Kunstsinn Leipzig's, hier ist er aus's Glänzendste wieder in die Erscheinung getreten. Mögen die Meininger Hofschauspieler, wie sie es allabendlich aus dem fast überreichen Beifallssegen entnehmen konnten, mit dem Bewußtsein scheiden: das Publikum — und für dieses haben sie ja Wohl in der Hauptsache ge¬ spielt — ist durch ihre Aufführungen zu einem Enthusiasmus hingerissen worden, wie ihn nur ein reiner und voller Genuß zu erzeugen vermag, und es wird unbeschadet der billigen Würdigung dessen, was für Andere über¬ haupt erreichbar oder nicht erreichbar erscheint, den Maßstab nicht aus den Augen verlieren, der ihm hier für dramatische Aufführungen gegeben worden ist. Denn abgesehen von dem rein äußeren Glanz sind es vor Allem zwei Dinge, die aus jeder Aufführung der Meininger uns in tausend Variationen entgegentraten und die, da sie Nichts kosten, für jede Bühne erreichbar oder durchführbar sind: der eminente Fleiß, der auf das Einstudiren der Stücke, und die Fülle von Geist und Geschmack, die auf die gesammte Jnszeuesetzung verwandt sind. So rufen wir denn den Meininger Hofschanspielern als Scheidegruß zu: Dank, wärmsten Dank für alle die schonen Gaben echter und rechter deutscher Kunst, und auf baldiges, recht baldiges Wiedersehen!" Nun, mit dem Wiedersehen wird es gute Weile haben. In deu Abschieds¬ worten, die Direktor Cronegk nach der letzten Vorstellung und nachdem eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/320>, abgerufen am 15.05.2024.