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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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Was blieb den armen Insulanern nun noch übrig zu thun? Von Natur
die loyalsten Staatsbürger, griffen sie nun zum Mittel der Steuerverweigerung.
Das schien endlich doch einigen Eindruck zu machen. Die Verfassung von
1864 wurde mit derselben Plötzlichkeit, mit der sie ertheilt war, wieder aufge¬
hoben und es sollten wieder neue Einrichtungen geschaffen werden. Das ge¬
schah jedoch abermals ohne Zuziehung einer Landesvertretung. Als Probe,
welcher Art die Verfassung vom 29. Februar 1868 ist, dient z. B. der Art. 3,
wonach der Gouverneur "von Zeit zu Zeit Gesetze machen kann für die Ruhe,
Ordnung und gute Regierung der Insel," oder der Artikel, wonach der Gou¬
verneur das Recht hat, alle Beamten und öffentlichen Diener, Geistliche, Richter
und Magistrate zu ernennen, und zwar -- "alle nur auf die Dauer des Ge¬
fallens". Und wie wenig unter der neuen Verfassung reformirt worden, geht
unter Anderem daraus hervor, daß ein englischer Unteroffizier, welcher das
Deutsche und Helgoländische weder sprechen noch lesen kann, zum Unterrichter
ernannt worden ist.

Wenige der deutschen Badegäste auf Helgoland werden Neigung gehabt
haben, sich ihre Kur durch Beschäftigung mit diesen unerquicklichen Dingen
stören zu lassen, die sie ja auch nichts angehen. Aber Professor Taylor aus
Cambridge, der in Hamburg 1876 von den Zuständen hörte, besuchte die Insel,
eigens um sich von der Wahrheit zu überzeugen, denn er glaubte nicht, daß
unter der englischen Herrschaft so etwas möglich sei. Er fand indeß Alles
vollkommen bestätigt und kehrte voll größten Unwillens heim. Dann suchte er
sich beim Kolonialamte Einsicht in den Vertrag von 1807 zu verschaffen, dieses
schlug aber das Begehren rundweg ab. Darauf brachte er die Sache in eng¬
lischen Blättern zur Sprache und veranlaßte auch den Lord Roseberry, im
März 1876 im Oberhause die Vorlegung jenes Vertrags zu verlangen. Der
Kolonialminister lehnte abermals ab und hatte die Kühnheit, den Peers zu
versichern, die Verfassung von 1864 habe für Helgoland die glücklichsten Er¬
folge gehabt.

Das war jedoch zu stark; zwei Deutsche, welche die Dinge weit besser
kannten, erhoben hiergegen öffentlich Widerspruch: Herr Müntzel auf Helgo¬
land, welcher den obigen Vertrag der Öffentlichkeit übergab und der deutsche
Reichs- und preußische Landtagsabgeordnete Dr. Fr. Oetker, welcher in der
Kölnischen Zeitung 1876 auftrat. Nun erschien auf der anderen Seite eine
halbamtliche Denkschrift, welche den Erlaß der Verfassung von 1868 mit
der Steuerverweigerung und mehreren bis dahin bestandenen Mißständen ent¬
schuldigte, die jedoch lediglich durch das ungeschickte Verfahren der englischen
Regierung und Gouverneure veranlaßt waren.

So steht die Sache noch. Die Insulaner leiden noch immer unter den


Was blieb den armen Insulanern nun noch übrig zu thun? Von Natur
die loyalsten Staatsbürger, griffen sie nun zum Mittel der Steuerverweigerung.
Das schien endlich doch einigen Eindruck zu machen. Die Verfassung von
1864 wurde mit derselben Plötzlichkeit, mit der sie ertheilt war, wieder aufge¬
hoben und es sollten wieder neue Einrichtungen geschaffen werden. Das ge¬
schah jedoch abermals ohne Zuziehung einer Landesvertretung. Als Probe,
welcher Art die Verfassung vom 29. Februar 1868 ist, dient z. B. der Art. 3,
wonach der Gouverneur „von Zeit zu Zeit Gesetze machen kann für die Ruhe,
Ordnung und gute Regierung der Insel," oder der Artikel, wonach der Gou¬
verneur das Recht hat, alle Beamten und öffentlichen Diener, Geistliche, Richter
und Magistrate zu ernennen, und zwar — „alle nur auf die Dauer des Ge¬
fallens". Und wie wenig unter der neuen Verfassung reformirt worden, geht
unter Anderem daraus hervor, daß ein englischer Unteroffizier, welcher das
Deutsche und Helgoländische weder sprechen noch lesen kann, zum Unterrichter
ernannt worden ist.

Wenige der deutschen Badegäste auf Helgoland werden Neigung gehabt
haben, sich ihre Kur durch Beschäftigung mit diesen unerquicklichen Dingen
stören zu lassen, die sie ja auch nichts angehen. Aber Professor Taylor aus
Cambridge, der in Hamburg 1876 von den Zuständen hörte, besuchte die Insel,
eigens um sich von der Wahrheit zu überzeugen, denn er glaubte nicht, daß
unter der englischen Herrschaft so etwas möglich sei. Er fand indeß Alles
vollkommen bestätigt und kehrte voll größten Unwillens heim. Dann suchte er
sich beim Kolonialamte Einsicht in den Vertrag von 1807 zu verschaffen, dieses
schlug aber das Begehren rundweg ab. Darauf brachte er die Sache in eng¬
lischen Blättern zur Sprache und veranlaßte auch den Lord Roseberry, im
März 1876 im Oberhause die Vorlegung jenes Vertrags zu verlangen. Der
Kolonialminister lehnte abermals ab und hatte die Kühnheit, den Peers zu
versichern, die Verfassung von 1864 habe für Helgoland die glücklichsten Er¬
folge gehabt.

Das war jedoch zu stark; zwei Deutsche, welche die Dinge weit besser
kannten, erhoben hiergegen öffentlich Widerspruch: Herr Müntzel auf Helgo¬
land, welcher den obigen Vertrag der Öffentlichkeit übergab und der deutsche
Reichs- und preußische Landtagsabgeordnete Dr. Fr. Oetker, welcher in der
Kölnischen Zeitung 1876 auftrat. Nun erschien auf der anderen Seite eine
halbamtliche Denkschrift, welche den Erlaß der Verfassung von 1868 mit
der Steuerverweigerung und mehreren bis dahin bestandenen Mißständen ent¬
schuldigte, die jedoch lediglich durch das ungeschickte Verfahren der englischen
Regierung und Gouverneure veranlaßt waren.

So steht die Sache noch. Die Insulaner leiden noch immer unter den


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[0035] Was blieb den armen Insulanern nun noch übrig zu thun? Von Natur die loyalsten Staatsbürger, griffen sie nun zum Mittel der Steuerverweigerung. Das schien endlich doch einigen Eindruck zu machen. Die Verfassung von 1864 wurde mit derselben Plötzlichkeit, mit der sie ertheilt war, wieder aufge¬ hoben und es sollten wieder neue Einrichtungen geschaffen werden. Das ge¬ schah jedoch abermals ohne Zuziehung einer Landesvertretung. Als Probe, welcher Art die Verfassung vom 29. Februar 1868 ist, dient z. B. der Art. 3, wonach der Gouverneur „von Zeit zu Zeit Gesetze machen kann für die Ruhe, Ordnung und gute Regierung der Insel," oder der Artikel, wonach der Gou¬ verneur das Recht hat, alle Beamten und öffentlichen Diener, Geistliche, Richter und Magistrate zu ernennen, und zwar — „alle nur auf die Dauer des Ge¬ fallens". Und wie wenig unter der neuen Verfassung reformirt worden, geht unter Anderem daraus hervor, daß ein englischer Unteroffizier, welcher das Deutsche und Helgoländische weder sprechen noch lesen kann, zum Unterrichter ernannt worden ist. Wenige der deutschen Badegäste auf Helgoland werden Neigung gehabt haben, sich ihre Kur durch Beschäftigung mit diesen unerquicklichen Dingen stören zu lassen, die sie ja auch nichts angehen. Aber Professor Taylor aus Cambridge, der in Hamburg 1876 von den Zuständen hörte, besuchte die Insel, eigens um sich von der Wahrheit zu überzeugen, denn er glaubte nicht, daß unter der englischen Herrschaft so etwas möglich sei. Er fand indeß Alles vollkommen bestätigt und kehrte voll größten Unwillens heim. Dann suchte er sich beim Kolonialamte Einsicht in den Vertrag von 1807 zu verschaffen, dieses schlug aber das Begehren rundweg ab. Darauf brachte er die Sache in eng¬ lischen Blättern zur Sprache und veranlaßte auch den Lord Roseberry, im März 1876 im Oberhause die Vorlegung jenes Vertrags zu verlangen. Der Kolonialminister lehnte abermals ab und hatte die Kühnheit, den Peers zu versichern, die Verfassung von 1864 habe für Helgoland die glücklichsten Er¬ folge gehabt. Das war jedoch zu stark; zwei Deutsche, welche die Dinge weit besser kannten, erhoben hiergegen öffentlich Widerspruch: Herr Müntzel auf Helgo¬ land, welcher den obigen Vertrag der Öffentlichkeit übergab und der deutsche Reichs- und preußische Landtagsabgeordnete Dr. Fr. Oetker, welcher in der Kölnischen Zeitung 1876 auftrat. Nun erschien auf der anderen Seite eine halbamtliche Denkschrift, welche den Erlaß der Verfassung von 1868 mit der Steuerverweigerung und mehreren bis dahin bestandenen Mißständen ent¬ schuldigte, die jedoch lediglich durch das ungeschickte Verfahren der englischen Regierung und Gouverneure veranlaßt waren. So steht die Sache noch. Die Insulaner leiden noch immer unter den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/35>, abgerufen am 15.05.2024.