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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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Cigarrenstummel in ihrer Hirnschale zu befestige", so ist das doch eine
grobe Geschmacklosigkeit. Aber das alles wird noch überboten durch jene
Stücke (die unter den verzierten Exemplaren die Mehrheit bilden), bei denen
die Röhre nur die Basis abgibt für freistehende plastische Gruppen! Und welch'
eine Tollheit macht sich in dieser Plastik breit! Hier jagen Pferde oder Hunde
über's Feld (Cigarrenspitzen für Sportsmen), dort lagern sich Hirsche und Rehe
im Grase (für Nimrod's), hier scharren Hühner im Sande (für Oekonomen),
dort macht ein Fuchs oder ein Bär seine Kapriolen (für Studenten), hier
räkelt sich eine nackte Frauengestalt (für Hagestolze), dort sitzt ein Bacchus am
Fäßchen (für Weinkeuuer). Aber es bleibt uicht beim Thierstück und beim
Genre; Ereignisse aus der Tagesgeschichte, bekannte Illustrationen von Dichter¬
werken, ja selbst mythologische Gruppen ans der antiken und modernen Kunst
müssen herhalten zur angeblichen Verzierung von Cigarrenspitzen. Da schnitzelt
der eine die ganze Szene, wie Moltke dem Kaiser die Siegesnachricht von
Sedan bringt, in freistehenden Figuren auf eine Meerschaumröhre (für Mili¬
tärs), ein andrer übersetzt die Kaulbach'schen Darstellungen von Reineke Fuchs,
Faust und Gretchen, Hermann und Dorothea, ja selbst von Lili im Park (!)
in das Idiom seiner Cigarrenspitzenplastik lfür Goethefreunde), ein dritter läßt
den Lohengrin mitsammt seinem Schwan auf dem Pfeifenröhrchen herum¬
spazieren (für Wagnerianer), und ein vierter etablirt gar eine Glyptothek so
und verpflanzt die Dannecker'sche Ariadne auf dem Panther, Eros
Psyche von Thorvaldsen auf -- Cigarrenspitzen (für "Kunstfreunde")! Und diese
Tollheiten finden ihre Liebhaber und werden mit dörrenden Preisen bezahlt.

Das oberste und elementarste Stilgesetz, gegen welches alle diese Machwerke
verstoßen, lautet: Schön ist nur dasjenige Geräth, welches zweckmäßig ist.
Kann es aber etwas Unpraktischeres geben, als diese zwischen den Zähnen zu
balancirenden Meerschaumgruppen, die jeden Augenblick der Verletzung ausge¬
setzt sind? Wollte man einen Spazierstock, einen Federhalter, ein Holzblasin¬
strument dadurch verzieren, daß man sie der Länge lang mit freistehenden,
aus Holz geschnitzten Figuren besetzen wollte, es würde genau so einfältig sein.
Was aber schlimmer ist: alle diese naturalistischen Einfälle geben im Leben
kein Ornament ab; eine Meerschaumspitze, ans der plastische Figuren herum¬
laufen, steht aesthetisch auf derselben Stufe wie ein Rückenkisseu, auf welchem
etwa ballspieleude Kiuder gestickt sind, ein Teppich, in deu eine Landschaft
gewirkt ist, und ähnliches. Soll ein solches Geräth verziert werden, so kann
es doch verständiger Weise nur so geschehen, daß die Oberfläche selbst, sei es
mit eingravirteu Mustern oder in Relief, ornamentirt wird. Hier wäre der
Phantasie ein unabsehbarer Spielraum gelassen, die Natur des Materials
würde die delikateste Ausführung gestatten, und endlich würde sich auf diese


Cigarrenstummel in ihrer Hirnschale zu befestige«, so ist das doch eine
grobe Geschmacklosigkeit. Aber das alles wird noch überboten durch jene
Stücke (die unter den verzierten Exemplaren die Mehrheit bilden), bei denen
die Röhre nur die Basis abgibt für freistehende plastische Gruppen! Und welch'
eine Tollheit macht sich in dieser Plastik breit! Hier jagen Pferde oder Hunde
über's Feld (Cigarrenspitzen für Sportsmen), dort lagern sich Hirsche und Rehe
im Grase (für Nimrod's), hier scharren Hühner im Sande (für Oekonomen),
dort macht ein Fuchs oder ein Bär seine Kapriolen (für Studenten), hier
räkelt sich eine nackte Frauengestalt (für Hagestolze), dort sitzt ein Bacchus am
Fäßchen (für Weinkeuuer). Aber es bleibt uicht beim Thierstück und beim
Genre; Ereignisse aus der Tagesgeschichte, bekannte Illustrationen von Dichter¬
werken, ja selbst mythologische Gruppen ans der antiken und modernen Kunst
müssen herhalten zur angeblichen Verzierung von Cigarrenspitzen. Da schnitzelt
der eine die ganze Szene, wie Moltke dem Kaiser die Siegesnachricht von
Sedan bringt, in freistehenden Figuren auf eine Meerschaumröhre (für Mili¬
tärs), ein andrer übersetzt die Kaulbach'schen Darstellungen von Reineke Fuchs,
Faust und Gretchen, Hermann und Dorothea, ja selbst von Lili im Park (!)
in das Idiom seiner Cigarrenspitzenplastik lfür Goethefreunde), ein dritter läßt
den Lohengrin mitsammt seinem Schwan auf dem Pfeifenröhrchen herum¬
spazieren (für Wagnerianer), und ein vierter etablirt gar eine Glyptothek so
und verpflanzt die Dannecker'sche Ariadne auf dem Panther, Eros
Psyche von Thorvaldsen auf — Cigarrenspitzen (für „Kunstfreunde")! Und diese
Tollheiten finden ihre Liebhaber und werden mit dörrenden Preisen bezahlt.

Das oberste und elementarste Stilgesetz, gegen welches alle diese Machwerke
verstoßen, lautet: Schön ist nur dasjenige Geräth, welches zweckmäßig ist.
Kann es aber etwas Unpraktischeres geben, als diese zwischen den Zähnen zu
balancirenden Meerschaumgruppen, die jeden Augenblick der Verletzung ausge¬
setzt sind? Wollte man einen Spazierstock, einen Federhalter, ein Holzblasin¬
strument dadurch verzieren, daß man sie der Länge lang mit freistehenden,
aus Holz geschnitzten Figuren besetzen wollte, es würde genau so einfältig sein.
Was aber schlimmer ist: alle diese naturalistischen Einfälle geben im Leben
kein Ornament ab; eine Meerschaumspitze, ans der plastische Figuren herum¬
laufen, steht aesthetisch auf derselben Stufe wie ein Rückenkisseu, auf welchem
etwa ballspieleude Kiuder gestickt sind, ein Teppich, in deu eine Landschaft
gewirkt ist, und ähnliches. Soll ein solches Geräth verziert werden, so kann
es doch verständiger Weise nur so geschehen, daß die Oberfläche selbst, sei es
mit eingravirteu Mustern oder in Relief, ornamentirt wird. Hier wäre der
Phantasie ein unabsehbarer Spielraum gelassen, die Natur des Materials
würde die delikateste Ausführung gestatten, und endlich würde sich auf diese


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[0359] Cigarrenstummel in ihrer Hirnschale zu befestige«, so ist das doch eine grobe Geschmacklosigkeit. Aber das alles wird noch überboten durch jene Stücke (die unter den verzierten Exemplaren die Mehrheit bilden), bei denen die Röhre nur die Basis abgibt für freistehende plastische Gruppen! Und welch' eine Tollheit macht sich in dieser Plastik breit! Hier jagen Pferde oder Hunde über's Feld (Cigarrenspitzen für Sportsmen), dort lagern sich Hirsche und Rehe im Grase (für Nimrod's), hier scharren Hühner im Sande (für Oekonomen), dort macht ein Fuchs oder ein Bär seine Kapriolen (für Studenten), hier räkelt sich eine nackte Frauengestalt (für Hagestolze), dort sitzt ein Bacchus am Fäßchen (für Weinkeuuer). Aber es bleibt uicht beim Thierstück und beim Genre; Ereignisse aus der Tagesgeschichte, bekannte Illustrationen von Dichter¬ werken, ja selbst mythologische Gruppen ans der antiken und modernen Kunst müssen herhalten zur angeblichen Verzierung von Cigarrenspitzen. Da schnitzelt der eine die ganze Szene, wie Moltke dem Kaiser die Siegesnachricht von Sedan bringt, in freistehenden Figuren auf eine Meerschaumröhre (für Mili¬ tärs), ein andrer übersetzt die Kaulbach'schen Darstellungen von Reineke Fuchs, Faust und Gretchen, Hermann und Dorothea, ja selbst von Lili im Park (!) in das Idiom seiner Cigarrenspitzenplastik lfür Goethefreunde), ein dritter läßt den Lohengrin mitsammt seinem Schwan auf dem Pfeifenröhrchen herum¬ spazieren (für Wagnerianer), und ein vierter etablirt gar eine Glyptothek so und verpflanzt die Dannecker'sche Ariadne auf dem Panther, Eros Psyche von Thorvaldsen auf — Cigarrenspitzen (für „Kunstfreunde")! Und diese Tollheiten finden ihre Liebhaber und werden mit dörrenden Preisen bezahlt. Das oberste und elementarste Stilgesetz, gegen welches alle diese Machwerke verstoßen, lautet: Schön ist nur dasjenige Geräth, welches zweckmäßig ist. Kann es aber etwas Unpraktischeres geben, als diese zwischen den Zähnen zu balancirenden Meerschaumgruppen, die jeden Augenblick der Verletzung ausge¬ setzt sind? Wollte man einen Spazierstock, einen Federhalter, ein Holzblasin¬ strument dadurch verzieren, daß man sie der Länge lang mit freistehenden, aus Holz geschnitzten Figuren besetzen wollte, es würde genau so einfältig sein. Was aber schlimmer ist: alle diese naturalistischen Einfälle geben im Leben kein Ornament ab; eine Meerschaumspitze, ans der plastische Figuren herum¬ laufen, steht aesthetisch auf derselben Stufe wie ein Rückenkisseu, auf welchem etwa ballspieleude Kiuder gestickt sind, ein Teppich, in deu eine Landschaft gewirkt ist, und ähnliches. Soll ein solches Geräth verziert werden, so kann es doch verständiger Weise nur so geschehen, daß die Oberfläche selbst, sei es mit eingravirteu Mustern oder in Relief, ornamentirt wird. Hier wäre der Phantasie ein unabsehbarer Spielraum gelassen, die Natur des Materials würde die delikateste Ausführung gestatten, und endlich würde sich auf diese

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/359>, abgerufen am 15.05.2024.