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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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worum; die gewohnten Drescher von leerem Stroh sind wenigstens für den
Anfang in den Hintergrund gewiesen. Auf wie lauge, das ist freilich eine
andere Frage. Selten ist einer preußischen Landesvertretung vom Beginne an
ein solch reiches Füllhorn von Vorlagen ausgegossen worden als diesmal.
Aber anch unter Hinzurechnung der in der Eröffnungsrede angekündigten wei¬
teren Vorlagen wird sich, leicht erkennbar, das ganze Pensum in der durch das
Bevorstehen der nächsten Reichslagssessivn verhältnißmüßig kurzbemessenen
Frist erledigen lassen, wenn nur die übergroße Redelust, welche beim Mangel
der Diäteulosigkeit bisher im Abgeordnetenhause nicht zu zügeln war, einge¬
dämmt würde und das Zentrum sich überwinden konnte, die Kulturkampffragen
höchstens da hineinzuziehen, wo es paßt.

Natürlich, daß beide Häuser sich zunächst darau begaben, die unbedeuten¬
deren der vorläufig 27 Vorlagen zu erledigen und andere der nothwendigen
Kommissionsberathuug zuzuweisen. Letzteres geschah bis jetzt ohne großen
Zeitaufwand bei der Generaldebatte. Unter ersteren befindet sich ein Gesetz¬
entwurf wegen Aenderung eines Punktes des Ausführungsgesetzes zum Bundes¬
gesetz über den Unterstützungswohnsitz. Es handelt sich einfach um die Be¬
stimmung der Behörden, aus deren Mitgliedern der richterliche und der Ver-
waltuugsbecunte für die Deputation für das Heimathwesen genommen werden
sollen. Da ist nun, im Widerspruche mit der Regierung und im Interesse der
Selbstverwaltung, auf Anregung von Fortschrittlern vom Abgeordnetenhause
die Bestimmung gestrichen, daß der Verwaltungsbeamte unter Andere" aus
den Mitgliedern des Berliner Polizeipräsidiums solle genommen werden können.
Man sieht: die Tendenz einer strengen Festhaltung der Selbstverwaltung herrscht
noch ungeschwächt vor. Ob dies nach den Neuwahlen im nächsten Sommer
noch in gleichem Maße der Fall sein wird, steht dahin. Der wichtigen Frage
der Verwaltuugsreform ist das Haus bis jetzt noch nicht näher getreten,
während dieselbe in voriger Session Alles zu beherrschen schien. Es ist immer¬
hin ein Zeichen eines gewissen Vertrauens, daß man sich vorerst mit der die
Stellung des neuen Ministers des Innern, Grafen B. v. Eulenburg, betref¬
fenden allgemeinen Andeutung der Eröffnungsrede begnügt, wonach die Fort¬
führung dieser Reform seither nnr durch Aufgaben von unmittelbarer Dring¬
lichkeit aufgeschoben sei. Es zeigt sich dieses Vertrauen auf den konservativen
und im Uevrigen programmlvs in's Amt getretenen Minister größer als die
Zuversicht, welche man in den großen, am 26. und 27. Oktober vorigen Jahres
über die innere Krisis stattgehabte" Debatten des Abgeordnetenhauses auf das
Programm und die Zusicherungen des damaligen interimistischen Ministers des
Innern, des der Mehrheit weit näher stehenden Friedenthal, glaubte setzen zu


worum; die gewohnten Drescher von leerem Stroh sind wenigstens für den
Anfang in den Hintergrund gewiesen. Auf wie lauge, das ist freilich eine
andere Frage. Selten ist einer preußischen Landesvertretung vom Beginne an
ein solch reiches Füllhorn von Vorlagen ausgegossen worden als diesmal.
Aber anch unter Hinzurechnung der in der Eröffnungsrede angekündigten wei¬
teren Vorlagen wird sich, leicht erkennbar, das ganze Pensum in der durch das
Bevorstehen der nächsten Reichslagssessivn verhältnißmüßig kurzbemessenen
Frist erledigen lassen, wenn nur die übergroße Redelust, welche beim Mangel
der Diäteulosigkeit bisher im Abgeordnetenhause nicht zu zügeln war, einge¬
dämmt würde und das Zentrum sich überwinden konnte, die Kulturkampffragen
höchstens da hineinzuziehen, wo es paßt.

Natürlich, daß beide Häuser sich zunächst darau begaben, die unbedeuten¬
deren der vorläufig 27 Vorlagen zu erledigen und andere der nothwendigen
Kommissionsberathuug zuzuweisen. Letzteres geschah bis jetzt ohne großen
Zeitaufwand bei der Generaldebatte. Unter ersteren befindet sich ein Gesetz¬
entwurf wegen Aenderung eines Punktes des Ausführungsgesetzes zum Bundes¬
gesetz über den Unterstützungswohnsitz. Es handelt sich einfach um die Be¬
stimmung der Behörden, aus deren Mitgliedern der richterliche und der Ver-
waltuugsbecunte für die Deputation für das Heimathwesen genommen werden
sollen. Da ist nun, im Widerspruche mit der Regierung und im Interesse der
Selbstverwaltung, auf Anregung von Fortschrittlern vom Abgeordnetenhause
die Bestimmung gestrichen, daß der Verwaltungsbeamte unter Andere« aus
den Mitgliedern des Berliner Polizeipräsidiums solle genommen werden können.
Man sieht: die Tendenz einer strengen Festhaltung der Selbstverwaltung herrscht
noch ungeschwächt vor. Ob dies nach den Neuwahlen im nächsten Sommer
noch in gleichem Maße der Fall sein wird, steht dahin. Der wichtigen Frage
der Verwaltuugsreform ist das Haus bis jetzt noch nicht näher getreten,
während dieselbe in voriger Session Alles zu beherrschen schien. Es ist immer¬
hin ein Zeichen eines gewissen Vertrauens, daß man sich vorerst mit der die
Stellung des neuen Ministers des Innern, Grafen B. v. Eulenburg, betref¬
fenden allgemeinen Andeutung der Eröffnungsrede begnügt, wonach die Fort¬
führung dieser Reform seither nnr durch Aufgaben von unmittelbarer Dring¬
lichkeit aufgeschoben sei. Es zeigt sich dieses Vertrauen auf den konservativen
und im Uevrigen programmlvs in's Amt getretenen Minister größer als die
Zuversicht, welche man in den großen, am 26. und 27. Oktober vorigen Jahres
über die innere Krisis stattgehabte» Debatten des Abgeordnetenhauses auf das
Programm und die Zusicherungen des damaligen interimistischen Ministers des
Innern, des der Mehrheit weit näher stehenden Friedenthal, glaubte setzen zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/396>, abgerufen am 16.05.2024.