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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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Hand liegen muß. Unnötigerweise trat sofort bei Diskutirung dieser Frage
eine gewisse Gereiztheit zwischen Regierung und Kammermajorität zu Tage.
Mindestens ebenso unnöthig war es, daß die "staatserhaltenden" Elemente
unseres Landes, die Deutsch-Konservativen, die Sache sofort dahin pointirter,
als ob die liberale Kammermajorität in einer Zeit, wo die Regierungsgewalt
mehr als je der "Stärkung" bedürfe, diese Vorschläge nur in der Absicht ge¬
macht habe, die Rechte der Regierung zu schmälern. Die Gelegenheit, sich der
Regierung auf Kosten der Liberalen in angenehme Erinnerung zu bringen,
war freilich um so verlockender, als die der Regierung entgegengesetzte An¬
schauung ihren eifrigsten Verfechter in dem Vorstand der nationalliberalen
Partei und Berichterstatter der Justizkommission, dem Abgeordneten Kiefer
fand. Und -- so ganz erfolglos fcheint die Taktik nicht gewesen zu sein, denn
auch die Regierung trat noch energischer für ihre angeblich gefährdeten Rechte
und gegen die "Schwächung" der Regierungsgewalt ein.

Einen Differenzpunkt, der mehr innerhalb der Kammer selbst, als zwischen
Regierung und Kammer zu Erörterungen führte, bildete die Frage, wie und
durch welche Vertretung der durch die Reichsgerichtsverfassung (Z 40) für
Bildung der Schöffen- und Geschworenenlisten geforderte Ausschuß (7 Ver¬
trauensmänner) zu ernennen sei. Diese Ernennung soll nach näherer Bestim¬
mung der Landesgesetze durch die "Vertretungen" der Kreise, Aemter, Ge¬
meinden od. tgi. Verbände erfolgen. In Anlehnung an unser bisheriges Recht
hat der Regierungsentwurf den Bezirksrath als die mit der Ernennung des
Ausschusses zu betrauerte Behörde bezeichnet. Die Hälfte der Mitglieder der
Justizkommission trat diesem Vorschlag bei, während die andere Hälfte die
Kreisversammlung als das Organ bezeichnet wünschte, welches die betreffenden
Vertrauensmänner zu ernennen habe. Der Bezirksrath wird auf Vorschlag
der Kreisversammlung -- die Vorschlagsliste muß die dreifache Zahl der be-
nöthigten Bezirksrathsmitglieder enthalten -- durch die Regierung ernannt,
er ist nach unserem Verwaltungs-Gesetz die unter dem Vorsitz des Amtsvor¬
standes berathende und beschließende Verwaltungs- und Verwaltuugsgerichts-
behörde. Für eine "Vertretung" im Sinne der Reichsgerichts-Verfassung kann
er darum wohl kaum erkannt werden, indem die Schlußerklärung der Reichs¬
justizkommission über diesen Punkt (Protokolle S. 241) als das Wesentliche
der in dz 40 Reichs-Gerichts-Verfassung benannten "Vertretung" das bezeichnet,
daß dieselbe auf freier Wahl beruhe. Diese Bedingung ist bei der Kreisver¬
sammlung erfüllt, darum sie zur Ausübung jener Funktion geeignet erscheint.
Gegen den Bezirksrath spricht auch noch das, daß nach dem Willen der Reichs-
Gerichts-Verfassung den Administrativ-Behörden als solchen kein Einfluß auf die
Ernennung der Geschworenen eingeräumt werden darf. In Baden aber muß


Hand liegen muß. Unnötigerweise trat sofort bei Diskutirung dieser Frage
eine gewisse Gereiztheit zwischen Regierung und Kammermajorität zu Tage.
Mindestens ebenso unnöthig war es, daß die „staatserhaltenden" Elemente
unseres Landes, die Deutsch-Konservativen, die Sache sofort dahin pointirter,
als ob die liberale Kammermajorität in einer Zeit, wo die Regierungsgewalt
mehr als je der „Stärkung" bedürfe, diese Vorschläge nur in der Absicht ge¬
macht habe, die Rechte der Regierung zu schmälern. Die Gelegenheit, sich der
Regierung auf Kosten der Liberalen in angenehme Erinnerung zu bringen,
war freilich um so verlockender, als die der Regierung entgegengesetzte An¬
schauung ihren eifrigsten Verfechter in dem Vorstand der nationalliberalen
Partei und Berichterstatter der Justizkommission, dem Abgeordneten Kiefer
fand. Und — so ganz erfolglos fcheint die Taktik nicht gewesen zu sein, denn
auch die Regierung trat noch energischer für ihre angeblich gefährdeten Rechte
und gegen die „Schwächung" der Regierungsgewalt ein.

Einen Differenzpunkt, der mehr innerhalb der Kammer selbst, als zwischen
Regierung und Kammer zu Erörterungen führte, bildete die Frage, wie und
durch welche Vertretung der durch die Reichsgerichtsverfassung (Z 40) für
Bildung der Schöffen- und Geschworenenlisten geforderte Ausschuß (7 Ver¬
trauensmänner) zu ernennen sei. Diese Ernennung soll nach näherer Bestim¬
mung der Landesgesetze durch die „Vertretungen" der Kreise, Aemter, Ge¬
meinden od. tgi. Verbände erfolgen. In Anlehnung an unser bisheriges Recht
hat der Regierungsentwurf den Bezirksrath als die mit der Ernennung des
Ausschusses zu betrauerte Behörde bezeichnet. Die Hälfte der Mitglieder der
Justizkommission trat diesem Vorschlag bei, während die andere Hälfte die
Kreisversammlung als das Organ bezeichnet wünschte, welches die betreffenden
Vertrauensmänner zu ernennen habe. Der Bezirksrath wird auf Vorschlag
der Kreisversammlung — die Vorschlagsliste muß die dreifache Zahl der be-
nöthigten Bezirksrathsmitglieder enthalten — durch die Regierung ernannt,
er ist nach unserem Verwaltungs-Gesetz die unter dem Vorsitz des Amtsvor¬
standes berathende und beschließende Verwaltungs- und Verwaltuugsgerichts-
behörde. Für eine „Vertretung" im Sinne der Reichsgerichts-Verfassung kann
er darum wohl kaum erkannt werden, indem die Schlußerklärung der Reichs¬
justizkommission über diesen Punkt (Protokolle S. 241) als das Wesentliche
der in dz 40 Reichs-Gerichts-Verfassung benannten „Vertretung" das bezeichnet,
daß dieselbe auf freier Wahl beruhe. Diese Bedingung ist bei der Kreisver¬
sammlung erfüllt, darum sie zur Ausübung jener Funktion geeignet erscheint.
Gegen den Bezirksrath spricht auch noch das, daß nach dem Willen der Reichs-
Gerichts-Verfassung den Administrativ-Behörden als solchen kein Einfluß auf die
Ernennung der Geschworenen eingeräumt werden darf. In Baden aber muß


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[0512] Hand liegen muß. Unnötigerweise trat sofort bei Diskutirung dieser Frage eine gewisse Gereiztheit zwischen Regierung und Kammermajorität zu Tage. Mindestens ebenso unnöthig war es, daß die „staatserhaltenden" Elemente unseres Landes, die Deutsch-Konservativen, die Sache sofort dahin pointirter, als ob die liberale Kammermajorität in einer Zeit, wo die Regierungsgewalt mehr als je der „Stärkung" bedürfe, diese Vorschläge nur in der Absicht ge¬ macht habe, die Rechte der Regierung zu schmälern. Die Gelegenheit, sich der Regierung auf Kosten der Liberalen in angenehme Erinnerung zu bringen, war freilich um so verlockender, als die der Regierung entgegengesetzte An¬ schauung ihren eifrigsten Verfechter in dem Vorstand der nationalliberalen Partei und Berichterstatter der Justizkommission, dem Abgeordneten Kiefer fand. Und — so ganz erfolglos fcheint die Taktik nicht gewesen zu sein, denn auch die Regierung trat noch energischer für ihre angeblich gefährdeten Rechte und gegen die „Schwächung" der Regierungsgewalt ein. Einen Differenzpunkt, der mehr innerhalb der Kammer selbst, als zwischen Regierung und Kammer zu Erörterungen führte, bildete die Frage, wie und durch welche Vertretung der durch die Reichsgerichtsverfassung (Z 40) für Bildung der Schöffen- und Geschworenenlisten geforderte Ausschuß (7 Ver¬ trauensmänner) zu ernennen sei. Diese Ernennung soll nach näherer Bestim¬ mung der Landesgesetze durch die „Vertretungen" der Kreise, Aemter, Ge¬ meinden od. tgi. Verbände erfolgen. In Anlehnung an unser bisheriges Recht hat der Regierungsentwurf den Bezirksrath als die mit der Ernennung des Ausschusses zu betrauerte Behörde bezeichnet. Die Hälfte der Mitglieder der Justizkommission trat diesem Vorschlag bei, während die andere Hälfte die Kreisversammlung als das Organ bezeichnet wünschte, welches die betreffenden Vertrauensmänner zu ernennen habe. Der Bezirksrath wird auf Vorschlag der Kreisversammlung — die Vorschlagsliste muß die dreifache Zahl der be- nöthigten Bezirksrathsmitglieder enthalten — durch die Regierung ernannt, er ist nach unserem Verwaltungs-Gesetz die unter dem Vorsitz des Amtsvor¬ standes berathende und beschließende Verwaltungs- und Verwaltuugsgerichts- behörde. Für eine „Vertretung" im Sinne der Reichsgerichts-Verfassung kann er darum wohl kaum erkannt werden, indem die Schlußerklärung der Reichs¬ justizkommission über diesen Punkt (Protokolle S. 241) als das Wesentliche der in dz 40 Reichs-Gerichts-Verfassung benannten „Vertretung" das bezeichnet, daß dieselbe auf freier Wahl beruhe. Diese Bedingung ist bei der Kreisver¬ sammlung erfüllt, darum sie zur Ausübung jener Funktion geeignet erscheint. Gegen den Bezirksrath spricht auch noch das, daß nach dem Willen der Reichs- Gerichts-Verfassung den Administrativ-Behörden als solchen kein Einfluß auf die Ernennung der Geschworenen eingeräumt werden darf. In Baden aber muß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/512>, abgerufen am 15.05.2024.