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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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Einige der bedeutendsten Erzeugnisse der neuesten deutschen Novellenliteratur
bietet der Verlag von Gebrüder Paetel in Berlin in den bekannten blaßrothen
Umschlägen: Neue Novellen von Theodor Storm; vier Novellen und Er¬
zählungen von Rudolph Lindau; die feine zweibändige Erzählung "Croquet"
von Gustav zu Putlitz; die beste historische Novelle, die Wilhelm Imsen
geschrieben hat, "Karln von Schweden"; den durch den unmotivirten Tod des
Knaben Benno peinlichen Roman "Im Hause der Väter" von Otto Roquette;
endlich den vielgenannten, vielgedruckten und unseres Trachtens weit über Ge¬
bühr geschätzten neuesten Roman Berthold Auerbach's "Landolin von Reuters¬
höfen". Lange bevor diese jüngste Blüthe spinozistischer Dorfgeschichten ihren
Duft entfaltete, berichtete uns die dienstfertige Tagespresse, der Verfasser habe
seinen Stoff einer wirklichen Kriminalgeschichte des badischen Landes entnommen.
Man hätte daher wenigstens voraussetzen dürfen, der Verfasser werde sich mit den
Paar juristischen Förmlichkeiten, die er zu berichten hatte, dem Verfahren vor
dem Schwurgericht, dem Verkehr eines Angeklagten mit dem Vertheidiger, der
Zeitfolge der Parteivorträge und des Präsidialschlußwortes, deu Formen des
Wahrspruches u. s. w. bekannt machen. Aber überall begegnen wir nur den
ungeheuerlichsten Schnitzern. Nicht einmal, daß die Sträflinge kurzgeschoren
und nicht mit langem, wirrem Haar aus dem Zuchthause kommen, ist dem
Verfasser bekannt.

Mit besonderer Freude begrüßen wir schließlich die soeben erschienene vierte
Sammlung der Wiener Spazi ergänze von D. spitzer (Leipzig und
Wien, Julius Klinkhardt). Der Zeit nach umfaßt dieser Band die Wochenbe¬
richte des gefürchteten Satirikers vom 1. Oktober 1876 bis zum 22. Oktober
1878; dem Stoffe nach ziemlich Alles, was in diesen Tagen in Wien, Oester¬
reich, Deutschland u. s. w. die Menschen bewegt hat: innere und äußere Politik,
Theaternovitäten, Richard Wagner-Manie, Makart's neueste Leistung, die orien¬
talische Frage und den russisch-türkischen, sowie österreichisch-böhmischen Feldzug,
den Berliner Congreß, das Ableben Viktor Emanuel's und Pius' IX. und die
üblichen sommerlichen Reisebriefe eines Wiener Spaziergängers. Früher schon*)
haben wir versucht, die Verdienste spitzer's um eine ehrliche Kritik der Zustände
eines engeren Vaterlandes und die besonderen Vorzüge seiner Schreibweise
eingehend zu würdigen. Diese Verdienste und Vorzüge treten auch in dieser
Sammlung von Neuem hervor. Kein literarischer Feinschmecker wird diese
Sammlung ohne den höchsten Genuß ans der Hand legen. Je öfter man sie
liest, je mehr man sie auf die Form und die Mache prüft, um so feiner
empfindet man diesen Genuß. spitzer's Spaziergänge erregen uns immer den



Grmzlwten 1377, III. Quartal, S, 314--320.

Einige der bedeutendsten Erzeugnisse der neuesten deutschen Novellenliteratur
bietet der Verlag von Gebrüder Paetel in Berlin in den bekannten blaßrothen
Umschlägen: Neue Novellen von Theodor Storm; vier Novellen und Er¬
zählungen von Rudolph Lindau; die feine zweibändige Erzählung „Croquet"
von Gustav zu Putlitz; die beste historische Novelle, die Wilhelm Imsen
geschrieben hat, „Karln von Schweden"; den durch den unmotivirten Tod des
Knaben Benno peinlichen Roman „Im Hause der Väter" von Otto Roquette;
endlich den vielgenannten, vielgedruckten und unseres Trachtens weit über Ge¬
bühr geschätzten neuesten Roman Berthold Auerbach's „Landolin von Reuters¬
höfen". Lange bevor diese jüngste Blüthe spinozistischer Dorfgeschichten ihren
Duft entfaltete, berichtete uns die dienstfertige Tagespresse, der Verfasser habe
seinen Stoff einer wirklichen Kriminalgeschichte des badischen Landes entnommen.
Man hätte daher wenigstens voraussetzen dürfen, der Verfasser werde sich mit den
Paar juristischen Förmlichkeiten, die er zu berichten hatte, dem Verfahren vor
dem Schwurgericht, dem Verkehr eines Angeklagten mit dem Vertheidiger, der
Zeitfolge der Parteivorträge und des Präsidialschlußwortes, deu Formen des
Wahrspruches u. s. w. bekannt machen. Aber überall begegnen wir nur den
ungeheuerlichsten Schnitzern. Nicht einmal, daß die Sträflinge kurzgeschoren
und nicht mit langem, wirrem Haar aus dem Zuchthause kommen, ist dem
Verfasser bekannt.

Mit besonderer Freude begrüßen wir schließlich die soeben erschienene vierte
Sammlung der Wiener Spazi ergänze von D. spitzer (Leipzig und
Wien, Julius Klinkhardt). Der Zeit nach umfaßt dieser Band die Wochenbe¬
richte des gefürchteten Satirikers vom 1. Oktober 1876 bis zum 22. Oktober
1878; dem Stoffe nach ziemlich Alles, was in diesen Tagen in Wien, Oester¬
reich, Deutschland u. s. w. die Menschen bewegt hat: innere und äußere Politik,
Theaternovitäten, Richard Wagner-Manie, Makart's neueste Leistung, die orien¬
talische Frage und den russisch-türkischen, sowie österreichisch-böhmischen Feldzug,
den Berliner Congreß, das Ableben Viktor Emanuel's und Pius' IX. und die
üblichen sommerlichen Reisebriefe eines Wiener Spaziergängers. Früher schon*)
haben wir versucht, die Verdienste spitzer's um eine ehrliche Kritik der Zustände
eines engeren Vaterlandes und die besonderen Vorzüge seiner Schreibweise
eingehend zu würdigen. Diese Verdienste und Vorzüge treten auch in dieser
Sammlung von Neuem hervor. Kein literarischer Feinschmecker wird diese
Sammlung ohne den höchsten Genuß ans der Hand legen. Je öfter man sie
liest, je mehr man sie auf die Form und die Mache prüft, um so feiner
empfindet man diesen Genuß. spitzer's Spaziergänge erregen uns immer den



Grmzlwten 1377, III. Quartal, S, 314—320.
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[0523] Einige der bedeutendsten Erzeugnisse der neuesten deutschen Novellenliteratur bietet der Verlag von Gebrüder Paetel in Berlin in den bekannten blaßrothen Umschlägen: Neue Novellen von Theodor Storm; vier Novellen und Er¬ zählungen von Rudolph Lindau; die feine zweibändige Erzählung „Croquet" von Gustav zu Putlitz; die beste historische Novelle, die Wilhelm Imsen geschrieben hat, „Karln von Schweden"; den durch den unmotivirten Tod des Knaben Benno peinlichen Roman „Im Hause der Väter" von Otto Roquette; endlich den vielgenannten, vielgedruckten und unseres Trachtens weit über Ge¬ bühr geschätzten neuesten Roman Berthold Auerbach's „Landolin von Reuters¬ höfen". Lange bevor diese jüngste Blüthe spinozistischer Dorfgeschichten ihren Duft entfaltete, berichtete uns die dienstfertige Tagespresse, der Verfasser habe seinen Stoff einer wirklichen Kriminalgeschichte des badischen Landes entnommen. Man hätte daher wenigstens voraussetzen dürfen, der Verfasser werde sich mit den Paar juristischen Förmlichkeiten, die er zu berichten hatte, dem Verfahren vor dem Schwurgericht, dem Verkehr eines Angeklagten mit dem Vertheidiger, der Zeitfolge der Parteivorträge und des Präsidialschlußwortes, deu Formen des Wahrspruches u. s. w. bekannt machen. Aber überall begegnen wir nur den ungeheuerlichsten Schnitzern. Nicht einmal, daß die Sträflinge kurzgeschoren und nicht mit langem, wirrem Haar aus dem Zuchthause kommen, ist dem Verfasser bekannt. Mit besonderer Freude begrüßen wir schließlich die soeben erschienene vierte Sammlung der Wiener Spazi ergänze von D. spitzer (Leipzig und Wien, Julius Klinkhardt). Der Zeit nach umfaßt dieser Band die Wochenbe¬ richte des gefürchteten Satirikers vom 1. Oktober 1876 bis zum 22. Oktober 1878; dem Stoffe nach ziemlich Alles, was in diesen Tagen in Wien, Oester¬ reich, Deutschland u. s. w. die Menschen bewegt hat: innere und äußere Politik, Theaternovitäten, Richard Wagner-Manie, Makart's neueste Leistung, die orien¬ talische Frage und den russisch-türkischen, sowie österreichisch-böhmischen Feldzug, den Berliner Congreß, das Ableben Viktor Emanuel's und Pius' IX. und die üblichen sommerlichen Reisebriefe eines Wiener Spaziergängers. Früher schon*) haben wir versucht, die Verdienste spitzer's um eine ehrliche Kritik der Zustände eines engeren Vaterlandes und die besonderen Vorzüge seiner Schreibweise eingehend zu würdigen. Diese Verdienste und Vorzüge treten auch in dieser Sammlung von Neuem hervor. Kein literarischer Feinschmecker wird diese Sammlung ohne den höchsten Genuß ans der Hand legen. Je öfter man sie liest, je mehr man sie auf die Form und die Mache prüft, um so feiner empfindet man diesen Genuß. spitzer's Spaziergänge erregen uns immer den Grmzlwten 1377, III. Quartal, S, 314—320.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/523>, abgerufen am 15.05.2024.