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Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band.

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der letzten Zeit ein wenig ausgefüllt worden. Namentlich durch die verführerisch
reichen Honorare, die einzelne der neu entstandenen deutschen Monatsschriften
zu zahlen im Stande sind, ist mancher zünftige Gelehrte von seinem hoch¬
ragenden Katheder herabgelockt worden in die gemischte Gesellschaft der "Schrift¬
steller" von Metier. Mit Verwunderung gewahrt man, wie gefeierte akademische
Namen es nicht verschmähen, unter der Anführung eines simpeln Journalisten
mit in Reih und Glied zu treten. Die Lust zu schnellem und leichtem Gewinn,
die man andern zum Vorwurf macht, hat auch in diesen Kreisen ansteckend
gewirkt. Aber zur Ausarbeitung eines im besten Sinne des Wortes populären
Buches, welches das vorhandene Material vollständig beherrscht und auch im
kleinsten Detail auf der Höhe der Forschung steht, welches nicht an die Fach-
genossen, sondern, um ein Lessing'sches Wort zu brauchen, an "die Besten und
Erleuchtetsten der Nation" sich wendet, welches die Resignation übt, den schwer¬
fälligen Aufputz, den die Abfälle des wissenschaftlichen Rohmaterials bilden,
ans der Werkstatt zu beseitigen und nur das reinliche literarische Kunstwerk
dein Leser zu zeigen, zu solcher Arbeit entschließt der deutsche Gelehrte sich doch
nur selten. Er überläßt das leider in der Regel unberufenen, halbunterrichteten
Federn. Es fehlt uus ja nicht ganz an solchen Büchern, namentlich die deutsche
Kunstwissenschaft hat mehr als eines davon auszuweisen; Springer's eben
vollendetes Werk über Raffael und Michel Angelo ist das jüngste leuchtende
Beispiel dieser Art. Aber gerade auf dem Gebiete der Literaturwissenschaft
werden ähnliche wohl noch lange auf sich warten lassen.

Die deutsche Uebersetzung, beziehentlich Bearbeitung des Sine'schen Buches
hat Strodtmcmn im Ganzen kalt- und geschmackvoll besorgt. Er hat Partieen
ausgeschieden oder verkürzt, die nur für das englische Publikum nothwendig
waren, und seine Uebertragung liest sich fast durchweg tadellos und glatt. Selten
begegnen verunglückte Konstruktionen, wie S. 431: "um eine auf seine Stief¬
kinder bezügliche Geschäftssache zu ordnen, die nach wie vor bei ihm lebten"
(im Original vollkommen deutlich: "to arrg-n^s soins do.8inss8 oormsowä ^led
IÜ8 stsx-LliilÄrsir, wdo eontwusÄ to lips viel dirri). An Flüchtigkeiten
und Mißverständnissen fehlt es freilich nicht ganz. Sine nennt sein Buch
kurz und gut: "I^sssinx". Wie kommt Strvdtmann dazu, daraus "Ilvssin^, Kis
Mo -in-itmM" zu machen? S. 20 schreibt Strodtmcmn von dem Unter¬
richt ans der Meißner Fürstenschule: "Ein großer Theil der Zeit ward auf
die Lektüre und Auslegung der Bibel verwandt, und die Knaben wurden
systematisch in der Theologie und Kirchengeschichte unterrichtet; doch wurden
auch die alten Sprachen nicht vernachlässigt. Einige Stunden waren der
französischen Sprache, der Mathematik, der Geographie und Geschichte gewidmet;
in den höheren Klassen ward auch Hebräisch, Logik und Ethik gelehrt. Das


der letzten Zeit ein wenig ausgefüllt worden. Namentlich durch die verführerisch
reichen Honorare, die einzelne der neu entstandenen deutschen Monatsschriften
zu zahlen im Stande sind, ist mancher zünftige Gelehrte von seinem hoch¬
ragenden Katheder herabgelockt worden in die gemischte Gesellschaft der „Schrift¬
steller" von Metier. Mit Verwunderung gewahrt man, wie gefeierte akademische
Namen es nicht verschmähen, unter der Anführung eines simpeln Journalisten
mit in Reih und Glied zu treten. Die Lust zu schnellem und leichtem Gewinn,
die man andern zum Vorwurf macht, hat auch in diesen Kreisen ansteckend
gewirkt. Aber zur Ausarbeitung eines im besten Sinne des Wortes populären
Buches, welches das vorhandene Material vollständig beherrscht und auch im
kleinsten Detail auf der Höhe der Forschung steht, welches nicht an die Fach-
genossen, sondern, um ein Lessing'sches Wort zu brauchen, an „die Besten und
Erleuchtetsten der Nation" sich wendet, welches die Resignation übt, den schwer¬
fälligen Aufputz, den die Abfälle des wissenschaftlichen Rohmaterials bilden,
ans der Werkstatt zu beseitigen und nur das reinliche literarische Kunstwerk
dein Leser zu zeigen, zu solcher Arbeit entschließt der deutsche Gelehrte sich doch
nur selten. Er überläßt das leider in der Regel unberufenen, halbunterrichteten
Federn. Es fehlt uus ja nicht ganz an solchen Büchern, namentlich die deutsche
Kunstwissenschaft hat mehr als eines davon auszuweisen; Springer's eben
vollendetes Werk über Raffael und Michel Angelo ist das jüngste leuchtende
Beispiel dieser Art. Aber gerade auf dem Gebiete der Literaturwissenschaft
werden ähnliche wohl noch lange auf sich warten lassen.

Die deutsche Uebersetzung, beziehentlich Bearbeitung des Sine'schen Buches
hat Strodtmcmn im Ganzen kalt- und geschmackvoll besorgt. Er hat Partieen
ausgeschieden oder verkürzt, die nur für das englische Publikum nothwendig
waren, und seine Uebertragung liest sich fast durchweg tadellos und glatt. Selten
begegnen verunglückte Konstruktionen, wie S. 431: „um eine auf seine Stief¬
kinder bezügliche Geschäftssache zu ordnen, die nach wie vor bei ihm lebten"
(im Original vollkommen deutlich: „to arrg-n^s soins do.8inss8 oormsowä ^led
IÜ8 stsx-LliilÄrsir, wdo eontwusÄ to lips viel dirri). An Flüchtigkeiten
und Mißverständnissen fehlt es freilich nicht ganz. Sine nennt sein Buch
kurz und gut: „I^sssinx". Wie kommt Strvdtmann dazu, daraus „Ilvssin^, Kis
Mo -in-itmM" zu machen? S. 20 schreibt Strodtmcmn von dem Unter¬
richt ans der Meißner Fürstenschule: „Ein großer Theil der Zeit ward auf
die Lektüre und Auslegung der Bibel verwandt, und die Knaben wurden
systematisch in der Theologie und Kirchengeschichte unterrichtet; doch wurden
auch die alten Sprachen nicht vernachlässigt. Einige Stunden waren der
französischen Sprache, der Mathematik, der Geographie und Geschichte gewidmet;
in den höheren Klassen ward auch Hebräisch, Logik und Ethik gelehrt. Das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 37, 1878, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341827_157670/82>, abgerufen am 06.06.2024.