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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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ohne der Vergangenheit der Partei etwas zu vergeben, ohne einer Schwenkung
geziehen werden zu können. Denn das Zentrum war immer schutzzöllnerisch
durch die Beschaffenheit seiner meisten Wahlkreise in fabrikreichen Gegenden
Schlesien's, Westphalen's, des Rheinlandes und der süddeutschen Staaten. Schon
jetzt erklären die Organe des Zentrums, sie würden der Zollreform des Reichs¬
kanzlers zustimmen und nur darauf achten, daß der Erfolg für die Reichs¬
finanzen, namentlich für die Finanzgewalt der Reichsregierung nicht zu günstig
sei. Man will also die Schutzzölle, soweit solche in Frage kommen, man will
die Finanzzölle, soweit sie eine schützende Nebenwirkung versprechen oder zu¬
lassen , annehmen, man wird vielleicht auch reine Finanzzölle ohne jegliche
Nebenwirkung, wenn dergleichen überhaupt auffindbar sind, nicht ablehnen. Man
will dagegen Schwierigkeiten machen bei der Reform innerer indirekter Steuern,
wenn sie lediglich dafür unternommen wird, dem Reich ergiebigere Einnahmen
zuzuführen. Dies der Standpunkt des Zentrums und zwar, wohl gemerkt, der vor¬
läufige Standpunkt. Denn hat man in einen veränderten, wenigstens theilweise
nach den Gesichtspunkten des Schutzes gestalteten Tarif gewilligt, so kaun man
es nicht ablehnen, wenigstens gewisse indirekte Steuern, z. B. die Tabakssteuer,
dem neuen Eingangszoll entsprechend zu gestalten. Der Kampf des Zentrums
würde sich also beschränken auf den Grad der Einträglichkeit dieser Steuern,
den man zu erniedrigen suchen würde, und zweitens auf die Dispositions-
befugniß der Reichsregierung, die man doch im wesentlichen nicht weiter, als
die Verfassung bereits vorschreibt, an die Voden des Reichstags binden könnte.
Das Zentrum ist also in dieser Frage kein gefährlicher Gegner und wird es
unter gewissen Umständen nicht einmal sein wollen.

Wenden wir uns jetzt zu den Konservativen. Unter den Freikonservativeu
befinden sich nicht nur die überzeugtester Anhänger, sondern auch die begabtesten
Wortführer der schutzzöllnerischen Richtung, die im Reichstag überhaupt vor¬
handen sind. Unter den Altkonservativen dagegen fehlt es nicht an gewohn¬
heitsmäßigen Anhängern des Freihandels, theils solchen, welche der bisher
verbreiteten Ansicht noch huldigen, die Landwirthschaft habe ein der Industrie
entgegengesetztes Interesse, theils solchen, welchen das mit der Freiheit des
Getreidehandels eng zusammenhängende Gedeihen der Ostseehäfen am Herzen
liegen mag. Dennoch wird man sagen können, daß die Mehrzahl auch der
bisher freihändlerisch gesinnten Konservativen den neuen Weg der Zoll- und
Steuerpolitik einschlagen wird, den der Reichskanzler führt. Es ist dies zu
erwarten theils von dem gouvernementalen Instinkt konservativer Männer,
theils von der besseren Einsicht in die gleichartigen Bedürfnisse der Industrie
und Landwirthschaft, theils von der in dem neuen System liegenden besonderen


ohne der Vergangenheit der Partei etwas zu vergeben, ohne einer Schwenkung
geziehen werden zu können. Denn das Zentrum war immer schutzzöllnerisch
durch die Beschaffenheit seiner meisten Wahlkreise in fabrikreichen Gegenden
Schlesien's, Westphalen's, des Rheinlandes und der süddeutschen Staaten. Schon
jetzt erklären die Organe des Zentrums, sie würden der Zollreform des Reichs¬
kanzlers zustimmen und nur darauf achten, daß der Erfolg für die Reichs¬
finanzen, namentlich für die Finanzgewalt der Reichsregierung nicht zu günstig
sei. Man will also die Schutzzölle, soweit solche in Frage kommen, man will
die Finanzzölle, soweit sie eine schützende Nebenwirkung versprechen oder zu¬
lassen , annehmen, man wird vielleicht auch reine Finanzzölle ohne jegliche
Nebenwirkung, wenn dergleichen überhaupt auffindbar sind, nicht ablehnen. Man
will dagegen Schwierigkeiten machen bei der Reform innerer indirekter Steuern,
wenn sie lediglich dafür unternommen wird, dem Reich ergiebigere Einnahmen
zuzuführen. Dies der Standpunkt des Zentrums und zwar, wohl gemerkt, der vor¬
läufige Standpunkt. Denn hat man in einen veränderten, wenigstens theilweise
nach den Gesichtspunkten des Schutzes gestalteten Tarif gewilligt, so kaun man
es nicht ablehnen, wenigstens gewisse indirekte Steuern, z. B. die Tabakssteuer,
dem neuen Eingangszoll entsprechend zu gestalten. Der Kampf des Zentrums
würde sich also beschränken auf den Grad der Einträglichkeit dieser Steuern,
den man zu erniedrigen suchen würde, und zweitens auf die Dispositions-
befugniß der Reichsregierung, die man doch im wesentlichen nicht weiter, als
die Verfassung bereits vorschreibt, an die Voden des Reichstags binden könnte.
Das Zentrum ist also in dieser Frage kein gefährlicher Gegner und wird es
unter gewissen Umständen nicht einmal sein wollen.

Wenden wir uns jetzt zu den Konservativen. Unter den Freikonservativeu
befinden sich nicht nur die überzeugtester Anhänger, sondern auch die begabtesten
Wortführer der schutzzöllnerischen Richtung, die im Reichstag überhaupt vor¬
handen sind. Unter den Altkonservativen dagegen fehlt es nicht an gewohn¬
heitsmäßigen Anhängern des Freihandels, theils solchen, welche der bisher
verbreiteten Ansicht noch huldigen, die Landwirthschaft habe ein der Industrie
entgegengesetztes Interesse, theils solchen, welchen das mit der Freiheit des
Getreidehandels eng zusammenhängende Gedeihen der Ostseehäfen am Herzen
liegen mag. Dennoch wird man sagen können, daß die Mehrzahl auch der
bisher freihändlerisch gesinnten Konservativen den neuen Weg der Zoll- und
Steuerpolitik einschlagen wird, den der Reichskanzler führt. Es ist dies zu
erwarten theils von dem gouvernementalen Instinkt konservativer Männer,
theils von der besseren Einsicht in die gleichartigen Bedürfnisse der Industrie
und Landwirthschaft, theils von der in dem neuen System liegenden besonderen


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[0294] ohne der Vergangenheit der Partei etwas zu vergeben, ohne einer Schwenkung geziehen werden zu können. Denn das Zentrum war immer schutzzöllnerisch durch die Beschaffenheit seiner meisten Wahlkreise in fabrikreichen Gegenden Schlesien's, Westphalen's, des Rheinlandes und der süddeutschen Staaten. Schon jetzt erklären die Organe des Zentrums, sie würden der Zollreform des Reichs¬ kanzlers zustimmen und nur darauf achten, daß der Erfolg für die Reichs¬ finanzen, namentlich für die Finanzgewalt der Reichsregierung nicht zu günstig sei. Man will also die Schutzzölle, soweit solche in Frage kommen, man will die Finanzzölle, soweit sie eine schützende Nebenwirkung versprechen oder zu¬ lassen , annehmen, man wird vielleicht auch reine Finanzzölle ohne jegliche Nebenwirkung, wenn dergleichen überhaupt auffindbar sind, nicht ablehnen. Man will dagegen Schwierigkeiten machen bei der Reform innerer indirekter Steuern, wenn sie lediglich dafür unternommen wird, dem Reich ergiebigere Einnahmen zuzuführen. Dies der Standpunkt des Zentrums und zwar, wohl gemerkt, der vor¬ läufige Standpunkt. Denn hat man in einen veränderten, wenigstens theilweise nach den Gesichtspunkten des Schutzes gestalteten Tarif gewilligt, so kaun man es nicht ablehnen, wenigstens gewisse indirekte Steuern, z. B. die Tabakssteuer, dem neuen Eingangszoll entsprechend zu gestalten. Der Kampf des Zentrums würde sich also beschränken auf den Grad der Einträglichkeit dieser Steuern, den man zu erniedrigen suchen würde, und zweitens auf die Dispositions- befugniß der Reichsregierung, die man doch im wesentlichen nicht weiter, als die Verfassung bereits vorschreibt, an die Voden des Reichstags binden könnte. Das Zentrum ist also in dieser Frage kein gefährlicher Gegner und wird es unter gewissen Umständen nicht einmal sein wollen. Wenden wir uns jetzt zu den Konservativen. Unter den Freikonservativeu befinden sich nicht nur die überzeugtester Anhänger, sondern auch die begabtesten Wortführer der schutzzöllnerischen Richtung, die im Reichstag überhaupt vor¬ handen sind. Unter den Altkonservativen dagegen fehlt es nicht an gewohn¬ heitsmäßigen Anhängern des Freihandels, theils solchen, welche der bisher verbreiteten Ansicht noch huldigen, die Landwirthschaft habe ein der Industrie entgegengesetztes Interesse, theils solchen, welchen das mit der Freiheit des Getreidehandels eng zusammenhängende Gedeihen der Ostseehäfen am Herzen liegen mag. Dennoch wird man sagen können, daß die Mehrzahl auch der bisher freihändlerisch gesinnten Konservativen den neuen Weg der Zoll- und Steuerpolitik einschlagen wird, den der Reichskanzler führt. Es ist dies zu erwarten theils von dem gouvernementalen Instinkt konservativer Männer, theils von der besseren Einsicht in die gleichartigen Bedürfnisse der Industrie und Landwirthschaft, theils von der in dem neuen System liegenden besonderen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/294>, abgerufen am 19.05.2024.