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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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Im Sommer 1799 führte die Großmutter ihren lange gehegten Vorsatz, den
sie schon in den Kriegswirren der vorhergehenden Jahre immer hatte ausführen
wollen, von dem sie aber unter Goethe's Vermittelung durch Goethe's Mutter
zurückgehalten worden war, aus und rückte mit ihren Enkelinnen dem alten
Jugendfreunde Wieland in Osmannstedt vor's Quartier. Ihr Besuch war in
Weimar nicht sehr angenehm, wie aus dem Schiller-Goethischen Briefwechsel
aus dem Juli 1799 zur Genüge hervorgeht. Schiller schreibt: "Das Unge-
witter aus Osmannstedt scheint sich zu verziehen", Goethe, der sie in Tiefurt
und Osmannstedt gesehen, erwiedert kurz darauf: "Heute droht Ihnen, wie ich
höre, ein Besuch der La Roche'schen Nachkommenschaft", und Schiller antwortet
drei Tage später: "Die zwey Damen haben mich neulich wirklich besucht und
für sie zu Hause gesunden. Die kleine hat eine sehr angenehme Bildung/ die
selbst durch ihren Fehler am Aug nicht ganz verstellt werden konnte. Sie gaben
mir den Trost, daß die Furcht vor der Schnecke die alte Großmutter wohl von
der Herreise abschrecken würde." Vielleicht ist auch hier Bettina mit unter der
"La Roche'schen Nachkommenschaft" zu verstehen. Der eigentliche engere Verkehr
Bettina's mit Goethe umfaßt aber erst die Jahre 1807--1811. Am 23. April
1807 kam sie nach Weimar und führte sich mit einem Empfehlungsbriefe Wie-
land's bei Goethe ein. Ein zweiter Besuch, den sie in Begleitung ihrer Schwester,
der Frau von Savigny, machte, folgte bereits im November desselben Jahres.
Ein drittes und letztes Mal trat sie im August 1811 in Weimar auf, als sie
schon mit Achin v. Arnim verheirathet war.

Bettina's wunderlicher Verkehr mit Goethe ist fo oft geschildert worden,
daß es keines Wortes darüber bedarf. Das geistvolle, aber durchaus phan¬
tastische, halb überspannte "Kind" von weit über 20 Jahren drängt sich an¬
betend, vergötternd, in koketter Selbstbespiegelung an den 58 jährigen Dichter --
Goethe läßt sich ihre leidenschaftliche Verehrung gefallen, ist hie und da er¬
heitert durch ihr launiges, halb elfen-, halb koboldartiges Wesen, duldet sie wie
ein seltsames Kind, ist im Ganzen zurückhaltend gegen sie, aber dabei artig und
freundlich, fo lange es möglich ist. Als sie sich schließlich zu große Freiheiten
erlaubte, schnitt er rasch den Verkehr ab. Was Lewes über die Veranlassung
zum Bruche mittheilt, will er von völlig zuverlässiger Seite erfahren haben.
Bettina ging eines Tages mit Goethe's Frau nach der Kunstausstellung, machte
dort boshafte Bemerkungen über Goethe's Freund, Heinrich Meyer, den "Kunst¬
meyer", und verletzte damit auch Christianer, die ihr derb darauf diente. Es
kam zum Wortwechsel und endlich zu gröblicher Beleidigung. Goethe nahm
selbstverständlich die Partei seiner Frau und verbot Bettinen das Haus. Ihre
Bitten um Verzeihung wies Goethe zurück, er war froh, aus dem unnatürlichen
Verhältniß, das nur Verlegenheiten bereiten konnte, befreit zu fein.


Im Sommer 1799 führte die Großmutter ihren lange gehegten Vorsatz, den
sie schon in den Kriegswirren der vorhergehenden Jahre immer hatte ausführen
wollen, von dem sie aber unter Goethe's Vermittelung durch Goethe's Mutter
zurückgehalten worden war, aus und rückte mit ihren Enkelinnen dem alten
Jugendfreunde Wieland in Osmannstedt vor's Quartier. Ihr Besuch war in
Weimar nicht sehr angenehm, wie aus dem Schiller-Goethischen Briefwechsel
aus dem Juli 1799 zur Genüge hervorgeht. Schiller schreibt: „Das Unge-
witter aus Osmannstedt scheint sich zu verziehen", Goethe, der sie in Tiefurt
und Osmannstedt gesehen, erwiedert kurz darauf: „Heute droht Ihnen, wie ich
höre, ein Besuch der La Roche'schen Nachkommenschaft", und Schiller antwortet
drei Tage später: „Die zwey Damen haben mich neulich wirklich besucht und
für sie zu Hause gesunden. Die kleine hat eine sehr angenehme Bildung/ die
selbst durch ihren Fehler am Aug nicht ganz verstellt werden konnte. Sie gaben
mir den Trost, daß die Furcht vor der Schnecke die alte Großmutter wohl von
der Herreise abschrecken würde." Vielleicht ist auch hier Bettina mit unter der
„La Roche'schen Nachkommenschaft" zu verstehen. Der eigentliche engere Verkehr
Bettina's mit Goethe umfaßt aber erst die Jahre 1807—1811. Am 23. April
1807 kam sie nach Weimar und führte sich mit einem Empfehlungsbriefe Wie-
land's bei Goethe ein. Ein zweiter Besuch, den sie in Begleitung ihrer Schwester,
der Frau von Savigny, machte, folgte bereits im November desselben Jahres.
Ein drittes und letztes Mal trat sie im August 1811 in Weimar auf, als sie
schon mit Achin v. Arnim verheirathet war.

Bettina's wunderlicher Verkehr mit Goethe ist fo oft geschildert worden,
daß es keines Wortes darüber bedarf. Das geistvolle, aber durchaus phan¬
tastische, halb überspannte „Kind" von weit über 20 Jahren drängt sich an¬
betend, vergötternd, in koketter Selbstbespiegelung an den 58 jährigen Dichter —
Goethe läßt sich ihre leidenschaftliche Verehrung gefallen, ist hie und da er¬
heitert durch ihr launiges, halb elfen-, halb koboldartiges Wesen, duldet sie wie
ein seltsames Kind, ist im Ganzen zurückhaltend gegen sie, aber dabei artig und
freundlich, fo lange es möglich ist. Als sie sich schließlich zu große Freiheiten
erlaubte, schnitt er rasch den Verkehr ab. Was Lewes über die Veranlassung
zum Bruche mittheilt, will er von völlig zuverlässiger Seite erfahren haben.
Bettina ging eines Tages mit Goethe's Frau nach der Kunstausstellung, machte
dort boshafte Bemerkungen über Goethe's Freund, Heinrich Meyer, den „Kunst¬
meyer", und verletzte damit auch Christianer, die ihr derb darauf diente. Es
kam zum Wortwechsel und endlich zu gröblicher Beleidigung. Goethe nahm
selbstverständlich die Partei seiner Frau und verbot Bettinen das Haus. Ihre
Bitten um Verzeihung wies Goethe zurück, er war froh, aus dem unnatürlichen
Verhältniß, das nur Verlegenheiten bereiten konnte, befreit zu fein.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/441>, abgerufen am 19.05.2024.