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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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durch seine Töchter Thee kredenzen ließ. Schon ertönte draußen das rasende
Schlachtgeschrei Allahn ekber in den Ohren der Chinesen, als der Anbau ganz
gelassen die Pfeife aus dem Munde nahm und die feurige Asche auf die Oeffnung
einer unter seinem Sessel befindlichen Pulvermine schüttete, welche mit dem
Pulvermagazine in Verbindung stand. Während die Offiziere noch untereinander
Rath hielten, explodirte die Mine, und die Zitadelle, der Anbau, seine Familie
flogen in die Luft. Mit diesem Knalleffekt endigte die Chinesenherrschaft in
Kaschgar.

Es dauerte nur noch kurze Zeit, und der Abenteurer aus Kokan war Herr
eines großen Reiches, das seine Wichtigkeit dadurch erhielt, daß es zwischen dem
russischen und britischen Asien mitten inne lag. Beide Mächte strebten daher
den Atalik Ghazi (Vertheidiger des Glaubens), wie Jaknb sich jetzt nannte, in
ihr Interesse zu ziehen, und mehr als einmal begegneten in seiner Residenz sich
britische und russische Gesandtschaften. Denn man hielt sein Reich für festbe¬
gründet und zog ihn bei allen politischen Kombinationen in Rechnung, ohne
zu ahnen, daß die Chinesen, die alten Herren des Landes, wieder einmal auf
dem Schauplatze erscheinen könnten.

Im September 1876, gerade zehn Jahre, seit Jakub im Besitze seines
neuen Königreichs war, das er gut regierte, brachten ihm Eilboten unangenehme
Kunde aus dem Osten. Die Chinesen, von denen er seit ihrer Vertreibung
nichts mehr gehört, erschienen wieder auf der Bildfläche; sie hatten die Taiping-
Revolution nach langem blutigen Kriege niedergeworfen und auch das Reich
Tau, das in der Provinz Mu-nan entstanden war, wieder erobert. Auch dort
war ein mohammedanischer Kaiser auf einen ephemeren Thron gelangt, doch
hatte Soliman sich nur wenige Jahre zu behaupten vermocht. Nachdem so
die Söhne des himmlischen Reiches freie Hand erhalten, gedachten sie auch der
fernen Nordwestecke ihres alten Reiches, wo Jakub ungestört regierte, und
dorthin sandte der Kaiser einen seiner besten Generäle, Liu-Kilt-lang. Zum
ersten Male fühlte Jakub etwas wie Schrecken, als er erfuhr, die Chinesen
stünden im Osten; Mamas und Urumtsi, große Städte in der Dsungarei, seien
bereits gefallen, und das Heer rücke heran auf Kaschgar. Hätte Jakub noch so
dagestanden, wie vor zehn Jahren, an der Spitze seiner sieggewohnten Schaaren,
unterstützt von der Geistlichkeit und dem Glauben an sein Glück, er wäre den
Bezopften frisch entgegengezogen. Doch die Dinge hatten sich geändert, und die
frühere Zufriedenheit mit seiner Regierung hatte im Volke der Unzufriedenheit
Platz gemacht. Die vielen Kriege, die Jakub nach allen Seiten geführt, nament¬
lich gegen die Dunganen, hatten den Handel geschädigt, und das ganze Volk
seines Landes bestand eigentlich aus Händlern und Krümern. Auch das
Schwanken seiner Politik, bald -- wie die des schir Ali von Afghanistan --


durch seine Töchter Thee kredenzen ließ. Schon ertönte draußen das rasende
Schlachtgeschrei Allahn ekber in den Ohren der Chinesen, als der Anbau ganz
gelassen die Pfeife aus dem Munde nahm und die feurige Asche auf die Oeffnung
einer unter seinem Sessel befindlichen Pulvermine schüttete, welche mit dem
Pulvermagazine in Verbindung stand. Während die Offiziere noch untereinander
Rath hielten, explodirte die Mine, und die Zitadelle, der Anbau, seine Familie
flogen in die Luft. Mit diesem Knalleffekt endigte die Chinesenherrschaft in
Kaschgar.

Es dauerte nur noch kurze Zeit, und der Abenteurer aus Kokan war Herr
eines großen Reiches, das seine Wichtigkeit dadurch erhielt, daß es zwischen dem
russischen und britischen Asien mitten inne lag. Beide Mächte strebten daher
den Atalik Ghazi (Vertheidiger des Glaubens), wie Jaknb sich jetzt nannte, in
ihr Interesse zu ziehen, und mehr als einmal begegneten in seiner Residenz sich
britische und russische Gesandtschaften. Denn man hielt sein Reich für festbe¬
gründet und zog ihn bei allen politischen Kombinationen in Rechnung, ohne
zu ahnen, daß die Chinesen, die alten Herren des Landes, wieder einmal auf
dem Schauplatze erscheinen könnten.

Im September 1876, gerade zehn Jahre, seit Jakub im Besitze seines
neuen Königreichs war, das er gut regierte, brachten ihm Eilboten unangenehme
Kunde aus dem Osten. Die Chinesen, von denen er seit ihrer Vertreibung
nichts mehr gehört, erschienen wieder auf der Bildfläche; sie hatten die Taiping-
Revolution nach langem blutigen Kriege niedergeworfen und auch das Reich
Tau, das in der Provinz Mu-nan entstanden war, wieder erobert. Auch dort
war ein mohammedanischer Kaiser auf einen ephemeren Thron gelangt, doch
hatte Soliman sich nur wenige Jahre zu behaupten vermocht. Nachdem so
die Söhne des himmlischen Reiches freie Hand erhalten, gedachten sie auch der
fernen Nordwestecke ihres alten Reiches, wo Jakub ungestört regierte, und
dorthin sandte der Kaiser einen seiner besten Generäle, Liu-Kilt-lang. Zum
ersten Male fühlte Jakub etwas wie Schrecken, als er erfuhr, die Chinesen
stünden im Osten; Mamas und Urumtsi, große Städte in der Dsungarei, seien
bereits gefallen, und das Heer rücke heran auf Kaschgar. Hätte Jakub noch so
dagestanden, wie vor zehn Jahren, an der Spitze seiner sieggewohnten Schaaren,
unterstützt von der Geistlichkeit und dem Glauben an sein Glück, er wäre den
Bezopften frisch entgegengezogen. Doch die Dinge hatten sich geändert, und die
frühere Zufriedenheit mit seiner Regierung hatte im Volke der Unzufriedenheit
Platz gemacht. Die vielen Kriege, die Jakub nach allen Seiten geführt, nament¬
lich gegen die Dunganen, hatten den Handel geschädigt, und das ganze Volk
seines Landes bestand eigentlich aus Händlern und Krümern. Auch das
Schwanken seiner Politik, bald — wie die des schir Ali von Afghanistan —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/456>, abgerufen am 27.05.2024.