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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal.

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sehen hat, der fragwürdigen, mehr oder minder verflossenen Gestalten, welche
der Maler in seiner "genialen Laune" auf die Leinwand geworfen.

Durch die ehrenvolle Auszeichnung, welche die Jury der Pariser Welt¬
ausstellung der letzten großen Schöpfung Makart's, dem "Einzuge Karl's V. in
Antwerpen", hat zu Theil werden lassen, ist das Verdikt, welches die Jury
des "Salon" vor zehn Jahren über des Malers "Todsünden" gefällt hat,
keineswegs annullirt. Die Jury der Weltausstellung urtheilte nur nach anderen
Grundsätzen als die des "Salon". Der "Antwerpener Karneval", wie man
dieses jeden vernünftigen Zusammenhanges bare Konglomerat von beklei¬
deten und unbekleideten Figuren treffend genannt hat, leidet an denselben
erheblichen Zeichnungs- und Modellirungsfehlern wie die "Todsünden". Sind
auch die Oberkörper der fünf nackten oder halbnackten Mädchen leidlich richtig
gezeichnet, so sind dafür ihre Unterkörper, besonders von den Knieen abwärts,
auf das Schauderhasteste verzeichnet. Den Köpfen fehlt noch weit mehr als
denen auf der "Huldigung Katharina Cornaro's" jeder geistige Zug, und das
ist hier noch viel bedenklicher und auffälliger, weil der Maler in einer für ihn sehr
bezeichnenden Nonchalance moderne, direkt aus der Wiener Gesellschaft mit großer
Faustfertigkeit abgeschriebene Köpfe auf Kostüme des 16. Jahrhunderts gesetzt
hat. Wie groß der Rückschritt ist, den der Maler mit seinem neuesten Bilde ge¬
macht hat, wird erst ersichtlich, wenn man, wie gerade jetzt, wo ich diese Zeilen
schreibe, in Berlin die Gelegenheit hat, den "Einzug Karl's" mit "Katharina
Cornaro" zu vergleichen. "Zum Teufel ist der Spiritus, das Phlegma ist
geblieben!" kann man am Ende dieses Vergleiches ausrufen, wenn man inne
geworden ist, wie sehr alles an diesem neuesten Bilde studirt ist, und wie so
gar nichts an die frühere "visionäre" Art des Meisters, an seine genialen Farben¬
blitze erinnert. Das berühmte Makartroth an dem Kardinal, der hinter dem
Kaiser reitet, sieht habe und trocken aus, wenn man es mit dem glühenden,
gleichsam aus geheimnißvoller Tiefe aufleuchtenden Purpur des venetianischen
Nobile vergleicht, der hinter seiner königlichen Tochter steht. Von dem. einheit¬
lichen Zuge, der durch die Figuren auf der Huldigung Katharina's geht, ist
auf dem neuen Bilde keine Spur zu sehen. Einzelne für sich studirte Gruppen
sind planlos aneinandergereiht, bunt durcheinander gewürfelt. Man könnte
die Komposition umkehren, ohne ihren Charakter zu ändern.

Wir können auf eine ausführliche Würdigung des Bildes verzichten, da
eine solche bereits in meinen Berichten über die Pariser Weltausstellung im
vorigen Jahrgange der "Grenzboten" erfolgt ist. In der Biographie seines
Schöpfers bezeichnet es keinen Markstein einer neuen Entwickelungsphase, nur
eine Etappe auf dem Wege abwärts, den der Farbenvirtuose nach seiner "Katha¬
rina Conraro", dem höchsten Trumpfe seiner Kunstfertigkeit, unaufhaltsam


sehen hat, der fragwürdigen, mehr oder minder verflossenen Gestalten, welche
der Maler in seiner „genialen Laune" auf die Leinwand geworfen.

Durch die ehrenvolle Auszeichnung, welche die Jury der Pariser Welt¬
ausstellung der letzten großen Schöpfung Makart's, dem „Einzuge Karl's V. in
Antwerpen", hat zu Theil werden lassen, ist das Verdikt, welches die Jury
des „Salon" vor zehn Jahren über des Malers „Todsünden" gefällt hat,
keineswegs annullirt. Die Jury der Weltausstellung urtheilte nur nach anderen
Grundsätzen als die des „Salon". Der „Antwerpener Karneval", wie man
dieses jeden vernünftigen Zusammenhanges bare Konglomerat von beklei¬
deten und unbekleideten Figuren treffend genannt hat, leidet an denselben
erheblichen Zeichnungs- und Modellirungsfehlern wie die „Todsünden". Sind
auch die Oberkörper der fünf nackten oder halbnackten Mädchen leidlich richtig
gezeichnet, so sind dafür ihre Unterkörper, besonders von den Knieen abwärts,
auf das Schauderhasteste verzeichnet. Den Köpfen fehlt noch weit mehr als
denen auf der „Huldigung Katharina Cornaro's" jeder geistige Zug, und das
ist hier noch viel bedenklicher und auffälliger, weil der Maler in einer für ihn sehr
bezeichnenden Nonchalance moderne, direkt aus der Wiener Gesellschaft mit großer
Faustfertigkeit abgeschriebene Köpfe auf Kostüme des 16. Jahrhunderts gesetzt
hat. Wie groß der Rückschritt ist, den der Maler mit seinem neuesten Bilde ge¬
macht hat, wird erst ersichtlich, wenn man, wie gerade jetzt, wo ich diese Zeilen
schreibe, in Berlin die Gelegenheit hat, den „Einzug Karl's" mit „Katharina
Cornaro" zu vergleichen. „Zum Teufel ist der Spiritus, das Phlegma ist
geblieben!" kann man am Ende dieses Vergleiches ausrufen, wenn man inne
geworden ist, wie sehr alles an diesem neuesten Bilde studirt ist, und wie so
gar nichts an die frühere „visionäre" Art des Meisters, an seine genialen Farben¬
blitze erinnert. Das berühmte Makartroth an dem Kardinal, der hinter dem
Kaiser reitet, sieht habe und trocken aus, wenn man es mit dem glühenden,
gleichsam aus geheimnißvoller Tiefe aufleuchtenden Purpur des venetianischen
Nobile vergleicht, der hinter seiner königlichen Tochter steht. Von dem. einheit¬
lichen Zuge, der durch die Figuren auf der Huldigung Katharina's geht, ist
auf dem neuen Bilde keine Spur zu sehen. Einzelne für sich studirte Gruppen
sind planlos aneinandergereiht, bunt durcheinander gewürfelt. Man könnte
die Komposition umkehren, ohne ihren Charakter zu ändern.

Wir können auf eine ausführliche Würdigung des Bildes verzichten, da
eine solche bereits in meinen Berichten über die Pariser Weltausstellung im
vorigen Jahrgange der „Grenzboten" erfolgt ist. In der Biographie seines
Schöpfers bezeichnet es keinen Markstein einer neuen Entwickelungsphase, nur
eine Etappe auf dem Wege abwärts, den der Farbenvirtuose nach seiner „Katha¬
rina Conraro", dem höchsten Trumpfe seiner Kunstfertigkeit, unaufhaltsam


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[0518] sehen hat, der fragwürdigen, mehr oder minder verflossenen Gestalten, welche der Maler in seiner „genialen Laune" auf die Leinwand geworfen. Durch die ehrenvolle Auszeichnung, welche die Jury der Pariser Welt¬ ausstellung der letzten großen Schöpfung Makart's, dem „Einzuge Karl's V. in Antwerpen", hat zu Theil werden lassen, ist das Verdikt, welches die Jury des „Salon" vor zehn Jahren über des Malers „Todsünden" gefällt hat, keineswegs annullirt. Die Jury der Weltausstellung urtheilte nur nach anderen Grundsätzen als die des „Salon". Der „Antwerpener Karneval", wie man dieses jeden vernünftigen Zusammenhanges bare Konglomerat von beklei¬ deten und unbekleideten Figuren treffend genannt hat, leidet an denselben erheblichen Zeichnungs- und Modellirungsfehlern wie die „Todsünden". Sind auch die Oberkörper der fünf nackten oder halbnackten Mädchen leidlich richtig gezeichnet, so sind dafür ihre Unterkörper, besonders von den Knieen abwärts, auf das Schauderhasteste verzeichnet. Den Köpfen fehlt noch weit mehr als denen auf der „Huldigung Katharina Cornaro's" jeder geistige Zug, und das ist hier noch viel bedenklicher und auffälliger, weil der Maler in einer für ihn sehr bezeichnenden Nonchalance moderne, direkt aus der Wiener Gesellschaft mit großer Faustfertigkeit abgeschriebene Köpfe auf Kostüme des 16. Jahrhunderts gesetzt hat. Wie groß der Rückschritt ist, den der Maler mit seinem neuesten Bilde ge¬ macht hat, wird erst ersichtlich, wenn man, wie gerade jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, in Berlin die Gelegenheit hat, den „Einzug Karl's" mit „Katharina Cornaro" zu vergleichen. „Zum Teufel ist der Spiritus, das Phlegma ist geblieben!" kann man am Ende dieses Vergleiches ausrufen, wenn man inne geworden ist, wie sehr alles an diesem neuesten Bilde studirt ist, und wie so gar nichts an die frühere „visionäre" Art des Meisters, an seine genialen Farben¬ blitze erinnert. Das berühmte Makartroth an dem Kardinal, der hinter dem Kaiser reitet, sieht habe und trocken aus, wenn man es mit dem glühenden, gleichsam aus geheimnißvoller Tiefe aufleuchtenden Purpur des venetianischen Nobile vergleicht, der hinter seiner königlichen Tochter steht. Von dem. einheit¬ lichen Zuge, der durch die Figuren auf der Huldigung Katharina's geht, ist auf dem neuen Bilde keine Spur zu sehen. Einzelne für sich studirte Gruppen sind planlos aneinandergereiht, bunt durcheinander gewürfelt. Man könnte die Komposition umkehren, ohne ihren Charakter zu ändern. Wir können auf eine ausführliche Würdigung des Bildes verzichten, da eine solche bereits in meinen Berichten über die Pariser Weltausstellung im vorigen Jahrgange der „Grenzboten" erfolgt ist. In der Biographie seines Schöpfers bezeichnet es keinen Markstein einer neuen Entwickelungsphase, nur eine Etappe auf dem Wege abwärts, den der Farbenvirtuose nach seiner „Katha¬ rina Conraro", dem höchsten Trumpfe seiner Kunstfertigkeit, unaufhaltsam

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_141412/518>, abgerufen am 27.05.2024.