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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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wälzung von 1789 genießt vor jener hohe Verehrung, sie erscheint durchaus
rein und edel, wenigstens in ihren Anfängen. Die Konstituante war ihr ein
lichtes Wesen voll Weisheit und Großherzigkeit, und nur der Konvent war mit
seiner Art zu herrschen wie mit seiner Gesetzgebung zu tadeln und zu verab¬
scheuen. Unser Autor aber wagt, unbekümmert um die herkömmliche Ansicht
seiner Landsleute, offen heraus zu sagen, daß er derselben Meinung wie Burke
ist, er unternimmt es, diese Meinung durch einen stattlichen Band im Einzel¬
nen zu rechtfertigen, er besitzt den Muth, die "Ksüsetions" des Engländers, die
Michelet eine "armselige Deklamation" genannt, als "ein Meisterwerk und eine
Prophezeiung" zu bezeichnen und zu behaupten, daß der Grund alles Unheils
der Revolution schon deutlich im Jahre 1789 und keineswegs erst 1792 zu
Tage getreten sei. Taine, der liberale, den Klerikalen wie den politischen Re¬
aktionären gleich verhaßte Schriftsteller, faßt diese Revolution als eine Gruppe
historischer Thatsachen auf, "in der die schlimmen Leidenschaften, die thörichten
Gedanken und die unzweckmäßigen Handlungen den Edelmuth,. die Tiefe und
die Verständigkeit bei Weitem überwiegen." Geht er dabei in der einen und
der anderen Hinsicht zu weit, so ist er im Allgemeinen jedenfalls den Schön¬
färbern vorzuziehen. Er bekämpft seine Neigungen, er unterdrückt jede der¬
selben mit Ausnahme derjenigen, die ihn die Wahrheit zu suchen und zu sagen
treibt. Keine Parteifarbe tragend, fragt er sich lediglich, ob sein Vaterland in
den Zeiten, von denen er schreibt, gut regiert worden ist, und da seine For¬
schungen ihn lehren, daß Frankreich auch während der ersten Periode der
Revolution schlecht regiert worden ist, so macht er aus dieser Entdeckung kein
Geheimniß. Selbstverständlich hält er den Wunsch, daß die elenden Zustände,
die unter Ludwig XVI. herrschten, besseren Platz machen sollten, für gerecht
und billig, aber in der nach 1789 eingetretenen Aenderung vermag er eben
keine Verbesserung zu erkennen. Der "Gesellschaftsvertrag" erscheint ihm schön
und ideal, aber er begreift, daß derselbe für die Praxis nichts taugt, so lange
die menschliche Natur, die er nach seiner Kritik der Verfassung von 1791
gründlich kennt, sich nicht gänzlich umgestaltet. Seine Landsleute betrachten
ihn in Folge dieser Schrift als Abgefallenen, als Reaktionär. Mit Unrecht,
er verfährt nur als echter Historiker. "Ich schildere das revolutionäre Frank¬
reich," so sagt er im Vorworte, "ohne mich um die heutigen politischen Par-
teiungen zu bekümmern. Ich schreibe, als ob ich es mit den Revolutionen von
Athen oder Florenz zu thun hätte. Ich schreibe Geschichte und nichts Anderes,
um es kurz zu sagen; ich habe von der Ausgabe der Geschichtschreibung einen
viel zu hohen Begriff, um daneben noch einer anderen Aufgabe nachgehen und
den Historiker in mir verleugnen zu können."

Ueber die Regel, die er bei Sammlung und Benutzung seines Materiales


wälzung von 1789 genießt vor jener hohe Verehrung, sie erscheint durchaus
rein und edel, wenigstens in ihren Anfängen. Die Konstituante war ihr ein
lichtes Wesen voll Weisheit und Großherzigkeit, und nur der Konvent war mit
seiner Art zu herrschen wie mit seiner Gesetzgebung zu tadeln und zu verab¬
scheuen. Unser Autor aber wagt, unbekümmert um die herkömmliche Ansicht
seiner Landsleute, offen heraus zu sagen, daß er derselben Meinung wie Burke
ist, er unternimmt es, diese Meinung durch einen stattlichen Band im Einzel¬
nen zu rechtfertigen, er besitzt den Muth, die «Ksüsetions» des Engländers, die
Michelet eine „armselige Deklamation" genannt, als „ein Meisterwerk und eine
Prophezeiung" zu bezeichnen und zu behaupten, daß der Grund alles Unheils
der Revolution schon deutlich im Jahre 1789 und keineswegs erst 1792 zu
Tage getreten sei. Taine, der liberale, den Klerikalen wie den politischen Re¬
aktionären gleich verhaßte Schriftsteller, faßt diese Revolution als eine Gruppe
historischer Thatsachen auf, „in der die schlimmen Leidenschaften, die thörichten
Gedanken und die unzweckmäßigen Handlungen den Edelmuth,. die Tiefe und
die Verständigkeit bei Weitem überwiegen." Geht er dabei in der einen und
der anderen Hinsicht zu weit, so ist er im Allgemeinen jedenfalls den Schön¬
färbern vorzuziehen. Er bekämpft seine Neigungen, er unterdrückt jede der¬
selben mit Ausnahme derjenigen, die ihn die Wahrheit zu suchen und zu sagen
treibt. Keine Parteifarbe tragend, fragt er sich lediglich, ob sein Vaterland in
den Zeiten, von denen er schreibt, gut regiert worden ist, und da seine For¬
schungen ihn lehren, daß Frankreich auch während der ersten Periode der
Revolution schlecht regiert worden ist, so macht er aus dieser Entdeckung kein
Geheimniß. Selbstverständlich hält er den Wunsch, daß die elenden Zustände,
die unter Ludwig XVI. herrschten, besseren Platz machen sollten, für gerecht
und billig, aber in der nach 1789 eingetretenen Aenderung vermag er eben
keine Verbesserung zu erkennen. Der „Gesellschaftsvertrag" erscheint ihm schön
und ideal, aber er begreift, daß derselbe für die Praxis nichts taugt, so lange
die menschliche Natur, die er nach seiner Kritik der Verfassung von 1791
gründlich kennt, sich nicht gänzlich umgestaltet. Seine Landsleute betrachten
ihn in Folge dieser Schrift als Abgefallenen, als Reaktionär. Mit Unrecht,
er verfährt nur als echter Historiker. „Ich schildere das revolutionäre Frank¬
reich," so sagt er im Vorworte, „ohne mich um die heutigen politischen Par-
teiungen zu bekümmern. Ich schreibe, als ob ich es mit den Revolutionen von
Athen oder Florenz zu thun hätte. Ich schreibe Geschichte und nichts Anderes,
um es kurz zu sagen; ich habe von der Ausgabe der Geschichtschreibung einen
viel zu hohen Begriff, um daneben noch einer anderen Aufgabe nachgehen und
den Historiker in mir verleugnen zu können."

Ueber die Regel, die er bei Sammlung und Benutzung seines Materiales


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/120>, abgerufen am 21.05.2024.