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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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affiziren. Schon die finanziellen Verhältnisse der Bühnendirektoren verbieten
eine "Bestechung" in einem so umfangreichen Maßstabe, wie sie bei der nu¬
merischen Stärke der Berliner Theaterkritik nothwendig sein würde, um ein
entsprechendes Resultat zu erzielen. Ob jedoch nicht persönliche, gesellschaftliche
Beziehungen zwischen Theaterdirektoren, Schauspielern und Kritikern auf das
Urtheil der letzteren von Einfluß sein mögen, wollen wir nicht untersuchen.
Am Ende ist auch der Theaterkritiker nur ein Mensch. Im Ganzen und
Großen wird man aber der Berliner Theaterkritik in eorxors nur wenig
Ehrenrühriges nachsagen können.

Das Opernhaus entzieht sich um seines mehr kosmopolitischen Charakters
willen unserer Besprechung. Die deutsche Oper ruht angeblich heute auf den
Schultern Richard Wagner's, und dieser findet bei der Leitung unseres Opernhauses
nicht dasjenige "liebevolle Verständniß", welches seine fanatisirten Anhänger tumul-
tuarisch genug verlangen. Der Generalintendant der königlichen Schauspiele hat
jedenfalls die schätzenswerthe Eigenschaft, daß er ein rechnender, nüchterner
Beamter ist, der nicht nach Phantasmen jagt, sondern mit greifbaren Faktoren
operirt. Er strauchelt oft dabei, und mancher Erfolg wird durch manchen
Mißerfolg getrübt, aber schließlich hat er es doch seit länger als fünfundzwanzig
Jahren verstanden, sein schwerbemanntes Fahrzeug durch die beiden gefähr¬
lichen Klippen, Hof und Publikum, glücklich hindurchzubugsiren. Die Oper ist,
obgleich sie von viel mehr Zufälligkeiten abhängig ist als das Schauspiel,
immer noch leidlich im Stande. Daß von den beiden Tenoristen, die der
Generalintendant seit Jahren dem Publikum als besondere Zugmittel vorführt,
der eine, Wachtel, nicht spielen kann, sondern nur singt oder vielmehr nur
Kehlkunststücke zu Wege bringt, während der andere, Niemann, nicht singen,
sondern nur noch spielen kann, das kann man schließlich dem Generalinten¬
danten nicht zum Vorwurf machen.

Weniger tröstlich steht es mit dem königlichen Schauspielhause. Ver¬
glichen mit den anderen Musentempeln der Residenz, hat es sich freilich immer
noch auf einer ganz achtbaren Höhe erhalten. Aber eine Bühne, welche die
erste des deutschen Reiches sein will und soll, darf nicht mit einem relativen
Maßstabe gemessen werden. Wir messen sie nach den ersten und besten Mustern,
und da fällt allerdings das Resultat unserer Messungen nicht gerade günstig
aus. Das Geldfieber in den ersten siebziger Jahren hat unser Schauspiel¬
haus um eine Anzahl seiner tüchtigsten Kräfte gebracht, und bis heute ist es
ihm noch nicht gelungen, diese Kräfte zu ersetzen. Es fehlt ihm augenblicklich
z. B. eine erste Heldin und Liebhaberin, und alle Versuche, diese Lücke aus¬
zufüllen, sind bis jetzt mißlungen. Ungefähr die Hälfte des nicht sehr zahl¬
reichen Personals, über welches das Schauspielhaus gegenwärtig verfügt, ent-


affiziren. Schon die finanziellen Verhältnisse der Bühnendirektoren verbieten
eine „Bestechung" in einem so umfangreichen Maßstabe, wie sie bei der nu¬
merischen Stärke der Berliner Theaterkritik nothwendig sein würde, um ein
entsprechendes Resultat zu erzielen. Ob jedoch nicht persönliche, gesellschaftliche
Beziehungen zwischen Theaterdirektoren, Schauspielern und Kritikern auf das
Urtheil der letzteren von Einfluß sein mögen, wollen wir nicht untersuchen.
Am Ende ist auch der Theaterkritiker nur ein Mensch. Im Ganzen und
Großen wird man aber der Berliner Theaterkritik in eorxors nur wenig
Ehrenrühriges nachsagen können.

Das Opernhaus entzieht sich um seines mehr kosmopolitischen Charakters
willen unserer Besprechung. Die deutsche Oper ruht angeblich heute auf den
Schultern Richard Wagner's, und dieser findet bei der Leitung unseres Opernhauses
nicht dasjenige „liebevolle Verständniß", welches seine fanatisirten Anhänger tumul-
tuarisch genug verlangen. Der Generalintendant der königlichen Schauspiele hat
jedenfalls die schätzenswerthe Eigenschaft, daß er ein rechnender, nüchterner
Beamter ist, der nicht nach Phantasmen jagt, sondern mit greifbaren Faktoren
operirt. Er strauchelt oft dabei, und mancher Erfolg wird durch manchen
Mißerfolg getrübt, aber schließlich hat er es doch seit länger als fünfundzwanzig
Jahren verstanden, sein schwerbemanntes Fahrzeug durch die beiden gefähr¬
lichen Klippen, Hof und Publikum, glücklich hindurchzubugsiren. Die Oper ist,
obgleich sie von viel mehr Zufälligkeiten abhängig ist als das Schauspiel,
immer noch leidlich im Stande. Daß von den beiden Tenoristen, die der
Generalintendant seit Jahren dem Publikum als besondere Zugmittel vorführt,
der eine, Wachtel, nicht spielen kann, sondern nur singt oder vielmehr nur
Kehlkunststücke zu Wege bringt, während der andere, Niemann, nicht singen,
sondern nur noch spielen kann, das kann man schließlich dem Generalinten¬
danten nicht zum Vorwurf machen.

Weniger tröstlich steht es mit dem königlichen Schauspielhause. Ver¬
glichen mit den anderen Musentempeln der Residenz, hat es sich freilich immer
noch auf einer ganz achtbaren Höhe erhalten. Aber eine Bühne, welche die
erste des deutschen Reiches sein will und soll, darf nicht mit einem relativen
Maßstabe gemessen werden. Wir messen sie nach den ersten und besten Mustern,
und da fällt allerdings das Resultat unserer Messungen nicht gerade günstig
aus. Das Geldfieber in den ersten siebziger Jahren hat unser Schauspiel¬
haus um eine Anzahl seiner tüchtigsten Kräfte gebracht, und bis heute ist es
ihm noch nicht gelungen, diese Kräfte zu ersetzen. Es fehlt ihm augenblicklich
z. B. eine erste Heldin und Liebhaberin, und alle Versuche, diese Lücke aus¬
zufüllen, sind bis jetzt mißlungen. Ungefähr die Hälfte des nicht sehr zahl¬
reichen Personals, über welches das Schauspielhaus gegenwärtig verfügt, ent-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/162>, abgerufen am 22.05.2024.