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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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spannt sein, ob eine solche Charakteristik sich auch jetzt noch hervorwagen wird.
Wir glauben, jeder Unbefangene, auch der überzeugte Freihändler, wenn er
überhaupt noch ernsten Gründen zugänglich ist, wird aus dem Studium dieser
Begründung den Eindruck gewinnen müssen, daß, wenn die vorgeschlagene
Maßregel wenigstens prinzipiell für das deutsche Volk eine der wichtigsten
Entscheidungen enthält, anch der deutschen Volksvertretung, sei es im Reich,
sei e s in Preußen, noch keine Entscheidung unter dem Gewicht gleich dringender
und gleich tiefgehender Gründe angesonnen worden ist.

Die Sprache dieser Motive ist von derselben gleich schwer abzuweisenden
Beredtsamkeit in ihrem allgemeinen wie in dem besonderen Theile. Im allge¬
meinen Theile wird ein Rückblick geworfen auf die Entwickelung des deutschen
Tarifs während des Zollvereins. "Die Verfassung des Zollvereins," heißt es,
"mit dem vertragsmäßigen Erforderniß der Uebereinstimmung sämmtlicher Ver¬
einsmitglieder, stand einer autonomen Fortbildung des Tarifs entgegen. Es
ist deshalb erklärlich, daß wesentliche Aenderungen des Tarifs erst auf dem
Wege des Abschlusses von Zoll- und Handelsverträgen mit fremden Staaten
zu Stande kamen." Ferner: "Die frühere Organisation des Zollvereins
Hütte den Versuch aussichtslos erscheinen lassen, vor dem Abschluß der Han¬
delsverträge durch autonome Vereinsgesetzgebung eine,sür die Verhandlungen
günstigere Grundlage zu schaffen. Es erübrigte daher nichts Anderes, als auf
Grund des aus älterer Zeit überkommenen Tarifs mit den fremden Staaten
in Unterhandlung zu treten. Da letztere Gewicht auf vermehrte Erschließung
des deutscheu Marktes legen mußten, so war es unvermeidlich, daß die auf
Handelsverträge gegründete Tarifentwickelung des Zollvereins zu allmählicher
Abänderung des früheren Schutzes der einheimischen Produktion führte." Es
ist eine der vielen Variationen des alten deutschen Elendes, die hier treffend
vor Augen geführt wird. Die widerstrebenden Interessen im deutschen Volke,
größtentheils durch souveräne Vereinsglieder repräsentirt, waren allenfalls dazu
zu bringen, durch Majoritätsbeschlüsse ein Interesse nach dem andern im Stich
zu lassen. Sie wären nie dahin zu bringen gewesen, ein Interesse vor dem
anderen zu schützen, was doch unvermeidlich gewesen wäre, um überhaupt zum
Schutz zu gelangen, da man nicht alles auf einmal und in gleicher Weise
schützen konnte. So erklärt es sich denn, weshalb die Tarifpolitik des Zollvereins
unaufhaltsam den Weg dessen wandelte, was man in Deutschland Freihandel
nannte, nämlich die zunehmende Oeffnung der Einfuhr bei zunehmender Sper¬
rung der Ausfuhr. schlagend führen die Motive nun weiter aus, wie die
zunehmende Oeffnung der Einfuhr ohne Rücksicht auf die einheimische Produk¬
tion nur unter zwei Voraussetzungen dem Interesse der deutschen Nation hätte
entsprechen können. Erstens mußten die übrigen Staaten, dem von Deutsch-


spannt sein, ob eine solche Charakteristik sich auch jetzt noch hervorwagen wird.
Wir glauben, jeder Unbefangene, auch der überzeugte Freihändler, wenn er
überhaupt noch ernsten Gründen zugänglich ist, wird aus dem Studium dieser
Begründung den Eindruck gewinnen müssen, daß, wenn die vorgeschlagene
Maßregel wenigstens prinzipiell für das deutsche Volk eine der wichtigsten
Entscheidungen enthält, anch der deutschen Volksvertretung, sei es im Reich,
sei e s in Preußen, noch keine Entscheidung unter dem Gewicht gleich dringender
und gleich tiefgehender Gründe angesonnen worden ist.

Die Sprache dieser Motive ist von derselben gleich schwer abzuweisenden
Beredtsamkeit in ihrem allgemeinen wie in dem besonderen Theile. Im allge¬
meinen Theile wird ein Rückblick geworfen auf die Entwickelung des deutschen
Tarifs während des Zollvereins. „Die Verfassung des Zollvereins," heißt es,
„mit dem vertragsmäßigen Erforderniß der Uebereinstimmung sämmtlicher Ver¬
einsmitglieder, stand einer autonomen Fortbildung des Tarifs entgegen. Es
ist deshalb erklärlich, daß wesentliche Aenderungen des Tarifs erst auf dem
Wege des Abschlusses von Zoll- und Handelsverträgen mit fremden Staaten
zu Stande kamen." Ferner: „Die frühere Organisation des Zollvereins
Hütte den Versuch aussichtslos erscheinen lassen, vor dem Abschluß der Han¬
delsverträge durch autonome Vereinsgesetzgebung eine,sür die Verhandlungen
günstigere Grundlage zu schaffen. Es erübrigte daher nichts Anderes, als auf
Grund des aus älterer Zeit überkommenen Tarifs mit den fremden Staaten
in Unterhandlung zu treten. Da letztere Gewicht auf vermehrte Erschließung
des deutscheu Marktes legen mußten, so war es unvermeidlich, daß die auf
Handelsverträge gegründete Tarifentwickelung des Zollvereins zu allmählicher
Abänderung des früheren Schutzes der einheimischen Produktion führte." Es
ist eine der vielen Variationen des alten deutschen Elendes, die hier treffend
vor Augen geführt wird. Die widerstrebenden Interessen im deutschen Volke,
größtentheils durch souveräne Vereinsglieder repräsentirt, waren allenfalls dazu
zu bringen, durch Majoritätsbeschlüsse ein Interesse nach dem andern im Stich
zu lassen. Sie wären nie dahin zu bringen gewesen, ein Interesse vor dem
anderen zu schützen, was doch unvermeidlich gewesen wäre, um überhaupt zum
Schutz zu gelangen, da man nicht alles auf einmal und in gleicher Weise
schützen konnte. So erklärt es sich denn, weshalb die Tarifpolitik des Zollvereins
unaufhaltsam den Weg dessen wandelte, was man in Deutschland Freihandel
nannte, nämlich die zunehmende Oeffnung der Einfuhr bei zunehmender Sper¬
rung der Ausfuhr. schlagend führen die Motive nun weiter aus, wie die
zunehmende Oeffnung der Einfuhr ohne Rücksicht auf die einheimische Produk¬
tion nur unter zwei Voraussetzungen dem Interesse der deutschen Nation hätte
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/164>, abgerufen am 15.05.2024.