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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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selben nach. Verpflegung, Bekleidung und Ausrüstung, Ersatz der Truppen,
Organisation und Ausbildung der einzelnen Waffen, die Festungen -- Alles
wird mit genauester Sachkenntniß durchgegangen, und so gestaltet sich die erste
Abtheilung des Testamentes zu einer umfassenden Uebersicht des gesammten
preußischen Heerwesens im ersten Jahrzehnt nach dem siebenjährigen Kriege.
Der König legt dar, in welcher Verfassung sich alle einzelnen Theile des
Kriegsapparates befinden, und welche leitenden Gedanken in Betreff desselben
bisher von ihm befolgt worden sind und fernerhin maßgebend sein sollen.
Einen besonderen Reiz hat es dabei, zu sehen, daß das Ganze trotz des vielen
Details doch als aus der Königs-Perspektive betrachtet erscheint. Selbst da
fehlt dieser weite Ueberblick nicht, wo, wie bei der Artillerie und dem Festungs¬
wesen, auf besonders viele Einzelheiten einzugehen war, die aber dann wieder
den Vortheil gewähren, daß man hier, wie kaum anderswo, vollen Einblick in
die schöpferische Thätigkeit Friedrich's auf diesen Gebieten gewinnt.

Der erste, mehr administrative Theil des Testamentes schließt mit den
Invaliden-Angelegenheiten, die der weiteren Fürsorge des Nachfolgers mit
warmen Worten empfohlen werden. Dann redet der König als Feldherr. Fünf
Jahre sind verflossen, seit er als Sieger aus dem Kampfe mit halb Europa
hervorgegangen ist. So oft er sich während dieses Kampfes bemüht hat, zu
Nutz und Frommen seiner selbst und Anderer die in demselben von ihm ge¬
machten Erfahrungen zusammenzustellen: jetzt zum ersten Male nach dem Frieden
untersucht er, welche Veränderungen seine Grundsätze in Folge jener Erfah¬
rungen etwa erleiden müssen. Diesmal aber wendet er sich nicht an seine
Generale, sondern an den, welcher nach ihm Szepter und Schwert tragen soll.
Dabei erhalten die strategischen und taktischen Lehren, die hier vorgetragen
werden, noch ein besonderes Gepräge dadurch, daß ein ganz bestimmter Kriegs¬
fall in's Auge gefaßt ist, und sodann war König Friedrich dabei offenbar auch
von dem Gedanken beeinflußt, daß er die überkühnen Wege, die er früher zu
gehen genöthigt gewesen, jetzt, wo es mehr auf Erhalten als auf Wagen und
Gewinnen ankam, nicht mehr empfehlen zu dürfen glaubte. Die im Testamente
enthaltenen Fundamentalgrnndsätze des Krieges können daher nur im Zusam¬
menhange mit den übrigen, der Umgebung des Königs bereits geläufigen
"Generalprinzipien des Krieges", die dem Testamente beigefügt sind, richtig
begriffen werden. Sie sind nicht die Quintessenz der letzteren, sondern deren
Ergänzung, und zwar eine für den Militär sehr wichtige Ergänzung, da hier
über eine bisher weniger beachtete Entwickelungsstufe der Taktik, nämlich den
Uebergang von der linearen zur Tirailleur- und Kolonnentaktik der späteren
Zeit ganz neues Licht verbreitet wird.

Besonders werthvoll ist endlich die den Beschluß des Testamentes bildende


selben nach. Verpflegung, Bekleidung und Ausrüstung, Ersatz der Truppen,
Organisation und Ausbildung der einzelnen Waffen, die Festungen — Alles
wird mit genauester Sachkenntniß durchgegangen, und so gestaltet sich die erste
Abtheilung des Testamentes zu einer umfassenden Uebersicht des gesammten
preußischen Heerwesens im ersten Jahrzehnt nach dem siebenjährigen Kriege.
Der König legt dar, in welcher Verfassung sich alle einzelnen Theile des
Kriegsapparates befinden, und welche leitenden Gedanken in Betreff desselben
bisher von ihm befolgt worden sind und fernerhin maßgebend sein sollen.
Einen besonderen Reiz hat es dabei, zu sehen, daß das Ganze trotz des vielen
Details doch als aus der Königs-Perspektive betrachtet erscheint. Selbst da
fehlt dieser weite Ueberblick nicht, wo, wie bei der Artillerie und dem Festungs¬
wesen, auf besonders viele Einzelheiten einzugehen war, die aber dann wieder
den Vortheil gewähren, daß man hier, wie kaum anderswo, vollen Einblick in
die schöpferische Thätigkeit Friedrich's auf diesen Gebieten gewinnt.

Der erste, mehr administrative Theil des Testamentes schließt mit den
Invaliden-Angelegenheiten, die der weiteren Fürsorge des Nachfolgers mit
warmen Worten empfohlen werden. Dann redet der König als Feldherr. Fünf
Jahre sind verflossen, seit er als Sieger aus dem Kampfe mit halb Europa
hervorgegangen ist. So oft er sich während dieses Kampfes bemüht hat, zu
Nutz und Frommen seiner selbst und Anderer die in demselben von ihm ge¬
machten Erfahrungen zusammenzustellen: jetzt zum ersten Male nach dem Frieden
untersucht er, welche Veränderungen seine Grundsätze in Folge jener Erfah¬
rungen etwa erleiden müssen. Diesmal aber wendet er sich nicht an seine
Generale, sondern an den, welcher nach ihm Szepter und Schwert tragen soll.
Dabei erhalten die strategischen und taktischen Lehren, die hier vorgetragen
werden, noch ein besonderes Gepräge dadurch, daß ein ganz bestimmter Kriegs¬
fall in's Auge gefaßt ist, und sodann war König Friedrich dabei offenbar auch
von dem Gedanken beeinflußt, daß er die überkühnen Wege, die er früher zu
gehen genöthigt gewesen, jetzt, wo es mehr auf Erhalten als auf Wagen und
Gewinnen ankam, nicht mehr empfehlen zu dürfen glaubte. Die im Testamente
enthaltenen Fundamentalgrnndsätze des Krieges können daher nur im Zusam¬
menhange mit den übrigen, der Umgebung des Königs bereits geläufigen
„Generalprinzipien des Krieges", die dem Testamente beigefügt sind, richtig
begriffen werden. Sie sind nicht die Quintessenz der letzteren, sondern deren
Ergänzung, und zwar eine für den Militär sehr wichtige Ergänzung, da hier
über eine bisher weniger beachtete Entwickelungsstufe der Taktik, nämlich den
Uebergang von der linearen zur Tirailleur- und Kolonnentaktik der späteren
Zeit ganz neues Licht verbreitet wird.

Besonders werthvoll ist endlich die den Beschluß des Testamentes bildende


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/210>, abgerufen am 21.05.2024.