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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Massen der "großen Armee" gegen Rußland gewälzt, eine halbe Million
Soldaten aller Länder West- und Mittel-Europa's mit 80000 Pferden; über¬
wältigend ist der Eindruck aller Orten gewesen, hat die einen mit staunender
Bewunderung vor der Größe des Imperators, die andern mit dumpfer Hoff¬
nungslosigkeit erfüllt. Noch einmal hat sich Napoleon in Dresden, umgeben
von den Fürsten des Rheinbundes, gesonnt im Strahlenglanze seiner Welt¬
macht, und nur einer hat ihm den kalten Stolz gezeigt, der ihm gegenüber
allein gebührte, König Friedrich Wilhelm III. Unendlich aber sind die Lasten
gewesen, die er seinen "Bundesgenossen" auferlegt hat für einen Krieg, der die
Vollendung seiner Weltherrschaft bringen sollte. Ueber 20000 Mann wohl¬
gerüsteter Truppen hat ihm Sachsen zur Verfügung stellen müssen, ebenso
diensteifrig hat der ganze Rheinbund sich erwiesen, und auch Oesterreich, halb
genöthigt, halb eigenem Interesse folgend, hat sich diesmal den Vasallen Napo¬
leon's angereiht. Gezwungen, den Untergang vor Augen, wenn es sich nicht
fügte, hat auch Preußen sein Bündniß mit Frankreich geschlossen, die Hälfte
seines kleinen Heeres, 20000 Mann, zur "großen Armee" gesandt, erdrückende
Lieferungen übernommen: 3600 bespannte Wagen, Verpflegung für 20000
Kranke, 15000 Pferde, 44000 Stück Ochsen, 900000 Pfund Pulver und Blei;
aber die Grenzen dieser Lieferungen sind längst weit überschritten, bis Ende
September sind 78000 Pferde, 13000 Wagen für französische Transporte
verwendet worden; die furchtbare Kontribution an Frankreich -- eine Milliarde
Francs bekannte Napoleon selbst aus dem ausgesogenen, fast seines ganzen
Seeverkehrs durch die Kontinentalsperre beraubten Lande gezogen zu haben --
ist längst in Geld und Lieferungen getilgt, ja Frankreich schuldet an Preußen
fast 90 Millionen Franes, und doch zahlt es keinen Pfennig, doch verweigert
es höhnend die vertragsmäßige Räumung der Oderfestungen Stettin, Küstrin
und Glogau; in seiner eigenen Hauptstadt muß der König eine französische
Besatzung, den Uebermuth französischer Offiziere dulden, und lächelnden Mundes
muß man es ertragen. Noch erträgt man es, noch! Aber in dem verhöhnten,
ausgeplünderten, bis auf's Blut gereizten Volke frißt ein unversöhnlicher Groll,
ein furchtbarer Haß, wie ihn Deutsche nie wieder empfunden, tiefer und tiefer.
Doch es ist ein treues, monarchisches Volk und ein' deutsches Volk. Nicht in
leidenschaftlichem Ansturm will es sich erheben, den unmenschlichen Volkskrieg
führen, wie die Spanier, es harrt der Weisung seines Königs und arbeitet in¬
zwischen in der Stille mit allen seinen Gedanken, Gefühlen und Kräften an der
Erneuerung seines Staates und seiner eigenen Sitte. Denn den Glauben
an seinen Staat, die Treue gegen die Hohenzollern, kein napoleonischer Frevel,
keine Rheinbündische Verlockung hat sie ihm zerstört. Da schenkt der freie
Entschluß der Krone den Bauern die Freiheit, den Städten die Selbstverwal-


Massen der „großen Armee" gegen Rußland gewälzt, eine halbe Million
Soldaten aller Länder West- und Mittel-Europa's mit 80000 Pferden; über¬
wältigend ist der Eindruck aller Orten gewesen, hat die einen mit staunender
Bewunderung vor der Größe des Imperators, die andern mit dumpfer Hoff¬
nungslosigkeit erfüllt. Noch einmal hat sich Napoleon in Dresden, umgeben
von den Fürsten des Rheinbundes, gesonnt im Strahlenglanze seiner Welt¬
macht, und nur einer hat ihm den kalten Stolz gezeigt, der ihm gegenüber
allein gebührte, König Friedrich Wilhelm III. Unendlich aber sind die Lasten
gewesen, die er seinen „Bundesgenossen" auferlegt hat für einen Krieg, der die
Vollendung seiner Weltherrschaft bringen sollte. Ueber 20000 Mann wohl¬
gerüsteter Truppen hat ihm Sachsen zur Verfügung stellen müssen, ebenso
diensteifrig hat der ganze Rheinbund sich erwiesen, und auch Oesterreich, halb
genöthigt, halb eigenem Interesse folgend, hat sich diesmal den Vasallen Napo¬
leon's angereiht. Gezwungen, den Untergang vor Augen, wenn es sich nicht
fügte, hat auch Preußen sein Bündniß mit Frankreich geschlossen, die Hälfte
seines kleinen Heeres, 20000 Mann, zur „großen Armee" gesandt, erdrückende
Lieferungen übernommen: 3600 bespannte Wagen, Verpflegung für 20000
Kranke, 15000 Pferde, 44000 Stück Ochsen, 900000 Pfund Pulver und Blei;
aber die Grenzen dieser Lieferungen sind längst weit überschritten, bis Ende
September sind 78000 Pferde, 13000 Wagen für französische Transporte
verwendet worden; die furchtbare Kontribution an Frankreich — eine Milliarde
Francs bekannte Napoleon selbst aus dem ausgesogenen, fast seines ganzen
Seeverkehrs durch die Kontinentalsperre beraubten Lande gezogen zu haben —
ist längst in Geld und Lieferungen getilgt, ja Frankreich schuldet an Preußen
fast 90 Millionen Franes, und doch zahlt es keinen Pfennig, doch verweigert
es höhnend die vertragsmäßige Räumung der Oderfestungen Stettin, Küstrin
und Glogau; in seiner eigenen Hauptstadt muß der König eine französische
Besatzung, den Uebermuth französischer Offiziere dulden, und lächelnden Mundes
muß man es ertragen. Noch erträgt man es, noch! Aber in dem verhöhnten,
ausgeplünderten, bis auf's Blut gereizten Volke frißt ein unversöhnlicher Groll,
ein furchtbarer Haß, wie ihn Deutsche nie wieder empfunden, tiefer und tiefer.
Doch es ist ein treues, monarchisches Volk und ein' deutsches Volk. Nicht in
leidenschaftlichem Ansturm will es sich erheben, den unmenschlichen Volkskrieg
führen, wie die Spanier, es harrt der Weisung seines Königs und arbeitet in¬
zwischen in der Stille mit allen seinen Gedanken, Gefühlen und Kräften an der
Erneuerung seines Staates und seiner eigenen Sitte. Denn den Glauben
an seinen Staat, die Treue gegen die Hohenzollern, kein napoleonischer Frevel,
keine Rheinbündische Verlockung hat sie ihm zerstört. Da schenkt der freie
Entschluß der Krone den Bauern die Freiheit, den Städten die Selbstverwal-


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[0212] Massen der „großen Armee" gegen Rußland gewälzt, eine halbe Million Soldaten aller Länder West- und Mittel-Europa's mit 80000 Pferden; über¬ wältigend ist der Eindruck aller Orten gewesen, hat die einen mit staunender Bewunderung vor der Größe des Imperators, die andern mit dumpfer Hoff¬ nungslosigkeit erfüllt. Noch einmal hat sich Napoleon in Dresden, umgeben von den Fürsten des Rheinbundes, gesonnt im Strahlenglanze seiner Welt¬ macht, und nur einer hat ihm den kalten Stolz gezeigt, der ihm gegenüber allein gebührte, König Friedrich Wilhelm III. Unendlich aber sind die Lasten gewesen, die er seinen „Bundesgenossen" auferlegt hat für einen Krieg, der die Vollendung seiner Weltherrschaft bringen sollte. Ueber 20000 Mann wohl¬ gerüsteter Truppen hat ihm Sachsen zur Verfügung stellen müssen, ebenso diensteifrig hat der ganze Rheinbund sich erwiesen, und auch Oesterreich, halb genöthigt, halb eigenem Interesse folgend, hat sich diesmal den Vasallen Napo¬ leon's angereiht. Gezwungen, den Untergang vor Augen, wenn es sich nicht fügte, hat auch Preußen sein Bündniß mit Frankreich geschlossen, die Hälfte seines kleinen Heeres, 20000 Mann, zur „großen Armee" gesandt, erdrückende Lieferungen übernommen: 3600 bespannte Wagen, Verpflegung für 20000 Kranke, 15000 Pferde, 44000 Stück Ochsen, 900000 Pfund Pulver und Blei; aber die Grenzen dieser Lieferungen sind längst weit überschritten, bis Ende September sind 78000 Pferde, 13000 Wagen für französische Transporte verwendet worden; die furchtbare Kontribution an Frankreich — eine Milliarde Francs bekannte Napoleon selbst aus dem ausgesogenen, fast seines ganzen Seeverkehrs durch die Kontinentalsperre beraubten Lande gezogen zu haben — ist längst in Geld und Lieferungen getilgt, ja Frankreich schuldet an Preußen fast 90 Millionen Franes, und doch zahlt es keinen Pfennig, doch verweigert es höhnend die vertragsmäßige Räumung der Oderfestungen Stettin, Küstrin und Glogau; in seiner eigenen Hauptstadt muß der König eine französische Besatzung, den Uebermuth französischer Offiziere dulden, und lächelnden Mundes muß man es ertragen. Noch erträgt man es, noch! Aber in dem verhöhnten, ausgeplünderten, bis auf's Blut gereizten Volke frißt ein unversöhnlicher Groll, ein furchtbarer Haß, wie ihn Deutsche nie wieder empfunden, tiefer und tiefer. Doch es ist ein treues, monarchisches Volk und ein' deutsches Volk. Nicht in leidenschaftlichem Ansturm will es sich erheben, den unmenschlichen Volkskrieg führen, wie die Spanier, es harrt der Weisung seines Königs und arbeitet in¬ zwischen in der Stille mit allen seinen Gedanken, Gefühlen und Kräften an der Erneuerung seines Staates und seiner eigenen Sitte. Denn den Glauben an seinen Staat, die Treue gegen die Hohenzollern, kein napoleonischer Frevel, keine Rheinbündische Verlockung hat sie ihm zerstört. Da schenkt der freie Entschluß der Krone den Bauern die Freiheit, den Städten die Selbstverwal-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/212>, abgerufen am 21.05.2024.