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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Nüssen am 29. Januar 1758 in Königsberg ein und ließen sich dort huldigen.

"Schade," schreibt Boden er am 19. Februar 1758 an Zimmermann,
"daß ein Schweizer den König nicht loben darf! Wir sind so neutral, daß
Reineke zwischen dem Guten und dem Bösen nicht unparteiischer ist. Wir
müssen aus tieser Politik zu Kindern werden, die zwischen der Rechten und
Linken den Unterschied nicht wissen. Ich kann es Lessing und Ramler nicht
verzeihe daß sie ihn nicht loben. Ein Mensch, der Genie hat, ein Branden¬
burger muß es nothwendig brauchen, den neuen Cyrus zu singen." Und am
8. Juli: "Wenn ich Shakespeare's Heinrich V. lese, so bedaure ich Friedrich,
daß seine Poeten allzuschwach sind, in seine erhabnen Entwürfe durchzuringen.
Es ist das Schicksal großer Geister! Göttliche Kühnheiten bringen die Kurz¬
sichtigkeit auf."

Als die Russen weiter vordringen wollten, schlug sie Friedrich am
23. August in der blutigen Schlacht bei Zorndorf zurück.

Nun aber gab die Niederlage bei Hochkirch dem Kriege eine neue, sehr
bedenkliche Wendung. An demselben Tage starb Friedrich's Schwester Wil¬
helmine, die ihm doch immer noch am nächsten stand; der Mann, den er am
höchsten achtete, der Einzige vielleicht, den er achtete, sein Bruder Prinz
Heinrich, wurde ihm mehr und mehr entfremdet und begegnete ihm mit
kalter Abneigung; man liest es in den Briefen, wie weh das dem harten
Manne that.

Lessing hatte indeß Gleim's Grenadierlieder herausgegeben, die dem
König nicht vor die Augen kamen. Ganz war Lessing nicht damit einver¬
standen. "Es wäre besser," schreibt er am 16. Dezember 1758, "wenn der
Grenadier das Verfluchen den Priestern überließe. Gesetzt, es wird über kurz
oder lang Friede: was meinen Sie, daß alsdann die kälteren Leser, und viel¬
leicht der Grenadier selbst, zu so mancher Uebertreibung sagen werden, die sie
jetzt in der Hitze des Affekts für ungezweifelte Wahrheit halten? Der Patriot
überschreit den Dichter noch zu sehr, und noch dazu so ein soldatischer Patriot,
der sich auf Beschuldigungen stützt, die nichts weniger als erwiesen sind! Viel¬
leicht zwar ist der Patriot auch bei mir nicht ganz erstickt, obgleich das Lob
eines eifrigen Patrioten nach meiner Denkart das letzte ist, nach dem ich geizen
würde: des Patrioten nämlich, der mich vergessen lehrte, daß ich ein Welt¬
bürger sein sollte ... Ich habe überhaupt von der Liebe des Vaterlandes (zu
meiner Schande muß ich es gestehn!) keinen Begriff, und sie scheint mir auf's
höchste eine heroische Schwachheit, die ich recht gern entbehre."

Was er hier Liebe des Vaterlandes nennt, bezeichnet man heute als Parti¬
kularismus. Diesen, der in den kleinen deutschen Staaten wesentlich durch
die Livree bestimmt wurde, ernsthaft zu bekämpfen, hielten damals die besten


Nüssen am 29. Januar 1758 in Königsberg ein und ließen sich dort huldigen.

„Schade," schreibt Boden er am 19. Februar 1758 an Zimmermann,
»daß ein Schweizer den König nicht loben darf! Wir sind so neutral, daß
Reineke zwischen dem Guten und dem Bösen nicht unparteiischer ist. Wir
müssen aus tieser Politik zu Kindern werden, die zwischen der Rechten und
Linken den Unterschied nicht wissen. Ich kann es Lessing und Ramler nicht
verzeihe daß sie ihn nicht loben. Ein Mensch, der Genie hat, ein Branden¬
burger muß es nothwendig brauchen, den neuen Cyrus zu singen." Und am
8. Juli: „Wenn ich Shakespeare's Heinrich V. lese, so bedaure ich Friedrich,
daß seine Poeten allzuschwach sind, in seine erhabnen Entwürfe durchzuringen.
Es ist das Schicksal großer Geister! Göttliche Kühnheiten bringen die Kurz¬
sichtigkeit auf."

Als die Russen weiter vordringen wollten, schlug sie Friedrich am
23. August in der blutigen Schlacht bei Zorndorf zurück.

Nun aber gab die Niederlage bei Hochkirch dem Kriege eine neue, sehr
bedenkliche Wendung. An demselben Tage starb Friedrich's Schwester Wil¬
helmine, die ihm doch immer noch am nächsten stand; der Mann, den er am
höchsten achtete, der Einzige vielleicht, den er achtete, sein Bruder Prinz
Heinrich, wurde ihm mehr und mehr entfremdet und begegnete ihm mit
kalter Abneigung; man liest es in den Briefen, wie weh das dem harten
Manne that.

Lessing hatte indeß Gleim's Grenadierlieder herausgegeben, die dem
König nicht vor die Augen kamen. Ganz war Lessing nicht damit einver¬
standen. „Es wäre besser," schreibt er am 16. Dezember 1758, „wenn der
Grenadier das Verfluchen den Priestern überließe. Gesetzt, es wird über kurz
oder lang Friede: was meinen Sie, daß alsdann die kälteren Leser, und viel¬
leicht der Grenadier selbst, zu so mancher Uebertreibung sagen werden, die sie
jetzt in der Hitze des Affekts für ungezweifelte Wahrheit halten? Der Patriot
überschreit den Dichter noch zu sehr, und noch dazu so ein soldatischer Patriot,
der sich auf Beschuldigungen stützt, die nichts weniger als erwiesen sind! Viel¬
leicht zwar ist der Patriot auch bei mir nicht ganz erstickt, obgleich das Lob
eines eifrigen Patrioten nach meiner Denkart das letzte ist, nach dem ich geizen
würde: des Patrioten nämlich, der mich vergessen lehrte, daß ich ein Welt¬
bürger sein sollte ... Ich habe überhaupt von der Liebe des Vaterlandes (zu
meiner Schande muß ich es gestehn!) keinen Begriff, und sie scheint mir auf's
höchste eine heroische Schwachheit, die ich recht gern entbehre."

Was er hier Liebe des Vaterlandes nennt, bezeichnet man heute als Parti¬
kularismus. Diesen, der in den kleinen deutschen Staaten wesentlich durch
die Livree bestimmt wurde, ernsthaft zu bekämpfen, hielten damals die besten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/261>, abgerufen am 21.05.2024.