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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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den Aesten eines Baumes. Es ist dem Künstler dabei natürlich besonders
darum zu thun gewesen, die Todesart des Verräthers in seinen verzerrten
Zügen möglichst getreu zum Ausdruck zu bringen, und er wird zu diesem Zwecke
nicht minder eifrige Studien getrieben haben, als für seine "Kindesmörderin",
das Seusationsbild, welches zuletzt die Runde durch Oesterreich's und Deutsch¬
land's Hauptstädte gemacht und die Leute, die es noch nicht kannten, das Gruseln
gelehrt hat.

Zu diesem Gemälde hat er wiederum seine Inspiration aus einem Dichter
geschöpft, aus Bürger's schauriger Ballade "Des Pfarrers Tochter von Tauben¬
hain". Gabriel Max ist eben kein schöpferisches Genie, sondern ein mehr nach¬
empfindendes Talent, welches dichterische Gedanken weiter ausspinnt und ge¬
legentlich auch nach der psychologischen Seite vertieft. Ebenso sehr fehlt ihm
die Kraft, eine große Komposition zu beherrschen und gleichmäßig zu durch¬
dringen. Ueber ein, zwei Figuren ist er selten hinausgegangen, und wo er's
that, ist er stets unverständlich geblieben. Der vorwiegend kontemplative Zug
seines Geistes weist ihn auf eine solche Beschränkung hin, auf eine Darstellung
seelischer Affekte, die in ihrer Komplizirtheit für die Kunst aber nicht immer
darstellbar sind.

"Am schilfigen Unkengestade", so heißt es in dem Bürger'schen Gedichte,


"Das ist das Plätzchen, da wächst kein Gras;
Das wird vom Thau und vom Regen nicht naß.
Da wehen die Lüftchen so schaurig."

Am schilfigen Unkengestade, das sich im Vordergrunde des Bildes, nur mühsam
erkenntlich, ausdehnt, kniet die unglückliche Tochter des Pfarrers. Das Terrain
zieht sich sanft aufsteigend bis zum Hintergründe empor, wo noch ein Streifen
grauverhängten Himmels sichtbar ist. Die Bodenfläche ist nur mit Schilfrohr
bedeckt, das heftig vom Winde gepeitscht wird. Im Vordergrunde, hart am
Teiche, bildet das Rohr ein kleines Dickicht. Die Kindesmörderin kniet zur
Seite einer Böschung, die von Flechtwerk gehalten wird. Sie stützt ihren linken
Arm auf das Bollwerk, drückt mit beiden Händen das eben geborene, eben er¬
mordete Kind an die Brust und preßt den Kopf des kleinen Leichnams an ihre
blassen Lippen. Ein weißes Linnen verhüllt nur den Unterkörper des Kindes
und seinen Hinterkopf. Dort, wo die zitternde Hand das weiße Tuch an das
kleine Haupt preßt, sieht man Blutspuren, die stummen Zeugen der grausen
That. Der Kopf des Mädchens ist dem Beschauer fast im Profil zugekehrt.
Die kastanienbraunen Haare hängen ihm wirr um die Stirn und fallen in
Strähnen auf den Nacken und die halbentblößte Brust. Das grau-violette
Kleid ist vorn aufgenestelt: es scheint, als hätte die Unselige noch ihre Mutter-
Pflicht erfüllt, bevor der Wahnwitz ihre Sinne verwirrt und sie zur entsetzlichen


den Aesten eines Baumes. Es ist dem Künstler dabei natürlich besonders
darum zu thun gewesen, die Todesart des Verräthers in seinen verzerrten
Zügen möglichst getreu zum Ausdruck zu bringen, und er wird zu diesem Zwecke
nicht minder eifrige Studien getrieben haben, als für seine „Kindesmörderin",
das Seusationsbild, welches zuletzt die Runde durch Oesterreich's und Deutsch¬
land's Hauptstädte gemacht und die Leute, die es noch nicht kannten, das Gruseln
gelehrt hat.

Zu diesem Gemälde hat er wiederum seine Inspiration aus einem Dichter
geschöpft, aus Bürger's schauriger Ballade „Des Pfarrers Tochter von Tauben¬
hain". Gabriel Max ist eben kein schöpferisches Genie, sondern ein mehr nach¬
empfindendes Talent, welches dichterische Gedanken weiter ausspinnt und ge¬
legentlich auch nach der psychologischen Seite vertieft. Ebenso sehr fehlt ihm
die Kraft, eine große Komposition zu beherrschen und gleichmäßig zu durch¬
dringen. Ueber ein, zwei Figuren ist er selten hinausgegangen, und wo er's
that, ist er stets unverständlich geblieben. Der vorwiegend kontemplative Zug
seines Geistes weist ihn auf eine solche Beschränkung hin, auf eine Darstellung
seelischer Affekte, die in ihrer Komplizirtheit für die Kunst aber nicht immer
darstellbar sind.

„Am schilfigen Unkengestade", so heißt es in dem Bürger'schen Gedichte,


„Das ist das Plätzchen, da wächst kein Gras;
Das wird vom Thau und vom Regen nicht naß.
Da wehen die Lüftchen so schaurig."

Am schilfigen Unkengestade, das sich im Vordergrunde des Bildes, nur mühsam
erkenntlich, ausdehnt, kniet die unglückliche Tochter des Pfarrers. Das Terrain
zieht sich sanft aufsteigend bis zum Hintergründe empor, wo noch ein Streifen
grauverhängten Himmels sichtbar ist. Die Bodenfläche ist nur mit Schilfrohr
bedeckt, das heftig vom Winde gepeitscht wird. Im Vordergrunde, hart am
Teiche, bildet das Rohr ein kleines Dickicht. Die Kindesmörderin kniet zur
Seite einer Böschung, die von Flechtwerk gehalten wird. Sie stützt ihren linken
Arm auf das Bollwerk, drückt mit beiden Händen das eben geborene, eben er¬
mordete Kind an die Brust und preßt den Kopf des kleinen Leichnams an ihre
blassen Lippen. Ein weißes Linnen verhüllt nur den Unterkörper des Kindes
und seinen Hinterkopf. Dort, wo die zitternde Hand das weiße Tuch an das
kleine Haupt preßt, sieht man Blutspuren, die stummen Zeugen der grausen
That. Der Kopf des Mädchens ist dem Beschauer fast im Profil zugekehrt.
Die kastanienbraunen Haare hängen ihm wirr um die Stirn und fallen in
Strähnen auf den Nacken und die halbentblößte Brust. Das grau-violette
Kleid ist vorn aufgenestelt: es scheint, als hätte die Unselige noch ihre Mutter-
Pflicht erfüllt, bevor der Wahnwitz ihre Sinne verwirrt und sie zur entsetzlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/33>, abgerufen am 22.05.2024.