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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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und erfüllt uns mit den besten Hoffnungen für ihre weitere Entwickelung.
"Was man nicht wachsen sieht, das findet man nach einiger Zeit gewachsen"
-- dies Lessing'sche Wort klang uns vertrauenerweckend fort und fort im
Ohre, als wir die Proben der gegenwärtigen Leistungen des Institutes mit
früher gesehenem im Geiste verglichen.

Die Leipziger Kunst-Akademie ist über ein Jahrhundert alt. Sie wurde
gleichzeitig mit der Dresdner bald nach dem siebenjährigen Kriege gestiftet.
Ihr erster Direktor war Adam Friedrich Oeser (f 1799), der bekannte Freund
Winckelmann's, der Lehrer des jungen Goethe. Als Künstler steht Oeser jetzt ziem¬
lich tief da. Nicht ohne Lächeln können wir heute die wenigen noch erhaltenen
Reste seiner künstlerischen Thätigkeit in Leipzig betrachten, über die seine Zeit¬
genossen in Hellem Entzücken waren. Als Lehrer aber wirkte er ungemein
anregend und segensreich.

"Was bin ich Ihnen nicht schuldig," schreibt Goethe 1768 von Frankfurt
aus an ihn, "dass Sie mir den Weeg zum Wahren und Schönen gezeigt haben,
dass Sie mein Herz gegen den Reitz fühlbaar gemacht haben. Ich bin Ihnen
mehr schuldig, als dass ich Ihnen baueten könnte. Den Geschmack den ich am
Schönen habe, meine Kenntnisse, meine Einsichten, habe ich die nicht alle durch
Sie? Wie gewiss, wie leuchtend wahr, ist mir der seltsame, fast unbegreifliche
Satz geworden, dass die Werckstatt des grossen Künstlers mehr den keimenden
Philosophen, den keimenden Dichter entwickelt, als der Hörsaal des Weltweisen
und des Kritickers. Lehre tust viel, aber Aufmunterung tust alles. Wer
unter allen meinen Lehrern hat mich jemals würdig geachtet mich aufzumuntern,
als Sie. Entweder ganz getadelt oder ganz gelobt, und nichts kann Fähig¬
keiten so sehr niederreissen. Aufmunterung nach dem Tadel, ist Sonne nach
dem Reegen, fruchtbaares Geteyen. Ja wenn Sie meiner Liebe zu den Musen
uicht aufgeholfen hätten ich wäre verzweifelt. Sie wissen was ich war da ich
Zu ihnen kam, und was ich war da ich von Ihnen ging, der Unterschied ist
Ihr Werck." Und 1770 an den Buchhändler Reich: "Oesers Erfindungen
haben mir eine neue Gelegenheit gegeben, mich zu seegnen, dass ich ihn zum
Lehrer gehabt habe. Fertigkeit oder Erfahrung vermag kein Meister seinem
Schüler mitzutheilen, und eine Uebung von wenig Jahren, Thut in den bil¬
denden Künsten, nur was mittelmüssiges; auch war unsre Hand, nur sein
Nebenaugenmerck; er drang in unsre Seelen, und man musste keine haben um
ihn nicht zu nutzen. Sein Unterricht wird auf mein ganzes Leben Folgen
haben. Er lehrte mich, das Ideal der Schönheit sey Einfalt und Stille, und
daraus folgt, dass kein Jüngling Meister werden könne---- Nach ihm und
Shäckespeareu, ist Wieland noch der einzige, den ich für meinen ächten Lehrer


und erfüllt uns mit den besten Hoffnungen für ihre weitere Entwickelung.
„Was man nicht wachsen sieht, das findet man nach einiger Zeit gewachsen"
— dies Lessing'sche Wort klang uns vertrauenerweckend fort und fort im
Ohre, als wir die Proben der gegenwärtigen Leistungen des Institutes mit
früher gesehenem im Geiste verglichen.

Die Leipziger Kunst-Akademie ist über ein Jahrhundert alt. Sie wurde
gleichzeitig mit der Dresdner bald nach dem siebenjährigen Kriege gestiftet.
Ihr erster Direktor war Adam Friedrich Oeser (f 1799), der bekannte Freund
Winckelmann's, der Lehrer des jungen Goethe. Als Künstler steht Oeser jetzt ziem¬
lich tief da. Nicht ohne Lächeln können wir heute die wenigen noch erhaltenen
Reste seiner künstlerischen Thätigkeit in Leipzig betrachten, über die seine Zeit¬
genossen in Hellem Entzücken waren. Als Lehrer aber wirkte er ungemein
anregend und segensreich.

„Was bin ich Ihnen nicht schuldig," schreibt Goethe 1768 von Frankfurt
aus an ihn, „dass Sie mir den Weeg zum Wahren und Schönen gezeigt haben,
dass Sie mein Herz gegen den Reitz fühlbaar gemacht haben. Ich bin Ihnen
mehr schuldig, als dass ich Ihnen baueten könnte. Den Geschmack den ich am
Schönen habe, meine Kenntnisse, meine Einsichten, habe ich die nicht alle durch
Sie? Wie gewiss, wie leuchtend wahr, ist mir der seltsame, fast unbegreifliche
Satz geworden, dass die Werckstatt des grossen Künstlers mehr den keimenden
Philosophen, den keimenden Dichter entwickelt, als der Hörsaal des Weltweisen
und des Kritickers. Lehre tust viel, aber Aufmunterung tust alles. Wer
unter allen meinen Lehrern hat mich jemals würdig geachtet mich aufzumuntern,
als Sie. Entweder ganz getadelt oder ganz gelobt, und nichts kann Fähig¬
keiten so sehr niederreissen. Aufmunterung nach dem Tadel, ist Sonne nach
dem Reegen, fruchtbaares Geteyen. Ja wenn Sie meiner Liebe zu den Musen
uicht aufgeholfen hätten ich wäre verzweifelt. Sie wissen was ich war da ich
Zu ihnen kam, und was ich war da ich von Ihnen ging, der Unterschied ist
Ihr Werck." Und 1770 an den Buchhändler Reich: „Oesers Erfindungen
haben mir eine neue Gelegenheit gegeben, mich zu seegnen, dass ich ihn zum
Lehrer gehabt habe. Fertigkeit oder Erfahrung vermag kein Meister seinem
Schüler mitzutheilen, und eine Uebung von wenig Jahren, Thut in den bil¬
denden Künsten, nur was mittelmüssiges; auch war unsre Hand, nur sein
Nebenaugenmerck; er drang in unsre Seelen, und man musste keine haben um
ihn nicht zu nutzen. Sein Unterricht wird auf mein ganzes Leben Folgen
haben. Er lehrte mich, das Ideal der Schönheit sey Einfalt und Stille, und
daraus folgt, dass kein Jüngling Meister werden könne---- Nach ihm und
Shäckespeareu, ist Wieland noch der einzige, den ich für meinen ächten Lehrer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/335>, abgerufen am 21.05.2024.