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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Zeitschriften von hoher Stellung, die in dem Rufe stehen, sich des Vortheils zu
erfreuen, daß die höchste politische Persönlichkeit Deutschland's sie von Zeit zu
Zeit als Mundstücke benutze, mit Rußland über Soll und Haben abzurechnen
beginnen", so "dürfen England, Frankreich und Oesterreich wohl zuversichtlich
hoffen, daß Deutschland sie fest und entschieden in ihrem Entschlüsse unter¬
stütze" wird, die Erfüllung des Berliner Traktates nach seinem Wortlaute her¬
beizuführen, und daß Rußland, wenn es ein Abweichen von seinen feierlichen
Verpflichtungen gegen Europa im Auge haben sollte, mit seinen Bemühungen,
die orientalische Frage wieder aufs Tapet zu bringen, gänzlich isolirt und ohne
Freund und Fürsprecher sein würde."

In Frankreich fragt der "Temps", nachdem er bemerkt, die russische Presse
beschäftige sich viel mit dem Auslande, weil sie innere Fragen nicht erschöpfend
behandeln dürfe: "Wenn der ,Golvs' lange Zeit hindurch der Vertreter jener
freisinnigen öffentlichen Meinung in Rußland war, die so gern ihr Augenmerk
auf Deutschland richtete, woher kommt denn die jetzige Wandlung in seiner
politischen Ansicht, die nämlich, daß der ,Golos° seine frühere Theilnahme für
Deutschland erkalten läßt und sich von diesem Lande wegwendet?" Das fran¬
zösische Blatt findet die Erklärung darin, daß die Erhaltung der russischen
Sympathieen dem Schwinden des früheren Prestiges Deutschland's parallel
laufe. "Dieses Land," so meint der weise Franzmann, "welches sich unter der
Leitung der rückwärts strebenden Politik des Fürsten Bismarck befindet, be¬
ginnt sein Ansehen in den Augen von Leuten einzubüßen, die für ihr Vater¬
land eine Entwickelung wünschen, welche sich im Geiste der Freiheit und des
vernünftigen Fortschritts vollzieht."

Recht bezeichnend ist der Leitartikel, den das "Journal des Dcbats" vom
21. März unserer Darstellung der Gortschakvff'schen Politik zu widmen für
gut befunden hat, und so wollen wir ihn unverkürzt solgen lassen.

"Ich will nicht wie eine Lampe verlöschen, die ausgeht, sondern wie ein
untergehender Stern, hat vor drei Jahren zu Reichsstadt in dem Augenblicke,
wo die beiden Kaiser von Rußland und von Oesterreich sich begegneten, um
sich über die erste Theilung der Türkei zu verständigen, der Fürst Gortschakosf
gesagt. Lampe oder Stern -- der deutsche Reichskanzler behauptet, daß er im
Erlöschen ist, und so läßt er es durch Herrn Moritz Busch, seinen dienstbaren
Geist (llollunö ä wi) sein ,Büschchen^, wie er ihn während des Feldzuges von
1870 nannte, den wohlbekannten Verfasser eines ebenso pikanten als berühmten
Buches, erklären. (Wir erlauben uns hier abermals die Frage, woher man
das weiß, woher man das so bestimmt und sicher weiß, daß man es als selbst¬
verständlich behauptet?) Der Artikel des Herrn Busch, der in einer Leipziger
Wochenschrift, den ,Grenzboten'. erschienen ist, macht jetzt die Runde durch


Zeitschriften von hoher Stellung, die in dem Rufe stehen, sich des Vortheils zu
erfreuen, daß die höchste politische Persönlichkeit Deutschland's sie von Zeit zu
Zeit als Mundstücke benutze, mit Rußland über Soll und Haben abzurechnen
beginnen", so „dürfen England, Frankreich und Oesterreich wohl zuversichtlich
hoffen, daß Deutschland sie fest und entschieden in ihrem Entschlüsse unter¬
stütze» wird, die Erfüllung des Berliner Traktates nach seinem Wortlaute her¬
beizuführen, und daß Rußland, wenn es ein Abweichen von seinen feierlichen
Verpflichtungen gegen Europa im Auge haben sollte, mit seinen Bemühungen,
die orientalische Frage wieder aufs Tapet zu bringen, gänzlich isolirt und ohne
Freund und Fürsprecher sein würde."

In Frankreich fragt der „Temps", nachdem er bemerkt, die russische Presse
beschäftige sich viel mit dem Auslande, weil sie innere Fragen nicht erschöpfend
behandeln dürfe: „Wenn der ,Golvs' lange Zeit hindurch der Vertreter jener
freisinnigen öffentlichen Meinung in Rußland war, die so gern ihr Augenmerk
auf Deutschland richtete, woher kommt denn die jetzige Wandlung in seiner
politischen Ansicht, die nämlich, daß der ,Golos° seine frühere Theilnahme für
Deutschland erkalten läßt und sich von diesem Lande wegwendet?" Das fran¬
zösische Blatt findet die Erklärung darin, daß die Erhaltung der russischen
Sympathieen dem Schwinden des früheren Prestiges Deutschland's parallel
laufe. „Dieses Land," so meint der weise Franzmann, „welches sich unter der
Leitung der rückwärts strebenden Politik des Fürsten Bismarck befindet, be¬
ginnt sein Ansehen in den Augen von Leuten einzubüßen, die für ihr Vater¬
land eine Entwickelung wünschen, welche sich im Geiste der Freiheit und des
vernünftigen Fortschritts vollzieht."

Recht bezeichnend ist der Leitartikel, den das „Journal des Dcbats" vom
21. März unserer Darstellung der Gortschakvff'schen Politik zu widmen für
gut befunden hat, und so wollen wir ihn unverkürzt solgen lassen.

„Ich will nicht wie eine Lampe verlöschen, die ausgeht, sondern wie ein
untergehender Stern, hat vor drei Jahren zu Reichsstadt in dem Augenblicke,
wo die beiden Kaiser von Rußland und von Oesterreich sich begegneten, um
sich über die erste Theilung der Türkei zu verständigen, der Fürst Gortschakosf
gesagt. Lampe oder Stern — der deutsche Reichskanzler behauptet, daß er im
Erlöschen ist, und so läßt er es durch Herrn Moritz Busch, seinen dienstbaren
Geist (llollunö ä wi) sein ,Büschchen^, wie er ihn während des Feldzuges von
1870 nannte, den wohlbekannten Verfasser eines ebenso pikanten als berühmten
Buches, erklären. (Wir erlauben uns hier abermals die Frage, woher man
das weiß, woher man das so bestimmt und sicher weiß, daß man es als selbst¬
verständlich behauptet?) Der Artikel des Herrn Busch, der in einer Leipziger
Wochenschrift, den ,Grenzboten'. erschienen ist, macht jetzt die Runde durch


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[0036] Zeitschriften von hoher Stellung, die in dem Rufe stehen, sich des Vortheils zu erfreuen, daß die höchste politische Persönlichkeit Deutschland's sie von Zeit zu Zeit als Mundstücke benutze, mit Rußland über Soll und Haben abzurechnen beginnen", so „dürfen England, Frankreich und Oesterreich wohl zuversichtlich hoffen, daß Deutschland sie fest und entschieden in ihrem Entschlüsse unter¬ stütze» wird, die Erfüllung des Berliner Traktates nach seinem Wortlaute her¬ beizuführen, und daß Rußland, wenn es ein Abweichen von seinen feierlichen Verpflichtungen gegen Europa im Auge haben sollte, mit seinen Bemühungen, die orientalische Frage wieder aufs Tapet zu bringen, gänzlich isolirt und ohne Freund und Fürsprecher sein würde." In Frankreich fragt der „Temps", nachdem er bemerkt, die russische Presse beschäftige sich viel mit dem Auslande, weil sie innere Fragen nicht erschöpfend behandeln dürfe: „Wenn der ,Golvs' lange Zeit hindurch der Vertreter jener freisinnigen öffentlichen Meinung in Rußland war, die so gern ihr Augenmerk auf Deutschland richtete, woher kommt denn die jetzige Wandlung in seiner politischen Ansicht, die nämlich, daß der ,Golos° seine frühere Theilnahme für Deutschland erkalten läßt und sich von diesem Lande wegwendet?" Das fran¬ zösische Blatt findet die Erklärung darin, daß die Erhaltung der russischen Sympathieen dem Schwinden des früheren Prestiges Deutschland's parallel laufe. „Dieses Land," so meint der weise Franzmann, „welches sich unter der Leitung der rückwärts strebenden Politik des Fürsten Bismarck befindet, be¬ ginnt sein Ansehen in den Augen von Leuten einzubüßen, die für ihr Vater¬ land eine Entwickelung wünschen, welche sich im Geiste der Freiheit und des vernünftigen Fortschritts vollzieht." Recht bezeichnend ist der Leitartikel, den das „Journal des Dcbats" vom 21. März unserer Darstellung der Gortschakvff'schen Politik zu widmen für gut befunden hat, und so wollen wir ihn unverkürzt solgen lassen. „Ich will nicht wie eine Lampe verlöschen, die ausgeht, sondern wie ein untergehender Stern, hat vor drei Jahren zu Reichsstadt in dem Augenblicke, wo die beiden Kaiser von Rußland und von Oesterreich sich begegneten, um sich über die erste Theilung der Türkei zu verständigen, der Fürst Gortschakosf gesagt. Lampe oder Stern — der deutsche Reichskanzler behauptet, daß er im Erlöschen ist, und so läßt er es durch Herrn Moritz Busch, seinen dienstbaren Geist (llollunö ä wi) sein ,Büschchen^, wie er ihn während des Feldzuges von 1870 nannte, den wohlbekannten Verfasser eines ebenso pikanten als berühmten Buches, erklären. (Wir erlauben uns hier abermals die Frage, woher man das weiß, woher man das so bestimmt und sicher weiß, daß man es als selbst¬ verständlich behauptet?) Der Artikel des Herrn Busch, der in einer Leipziger Wochenschrift, den ,Grenzboten'. erschienen ist, macht jetzt die Runde durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/36>, abgerufen am 21.05.2024.