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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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livrer, aber Herr v. Forckenbeck wurde nicht übertroffen. Er hatte gedankt,
daß man den Reichstag leben lasse, dessen Majorität vermuthlich in den Zoll¬
fragen gegen die Resolutionen entscheiden würde, welche der Städtetag gegen
die Regierung gefaßt: aber der Redner erklärte, hier seines Theils nicht als
Präsident des Reichstages zu sprechen, der (der Präsident) sich unter den gegen¬
wärtigen Verhältnissen in einer sehr schwierigen und außergewöhnlichen Lage
befinde, sondern als liberaler Mann und als Oberbürgermeister von Berlin.
Als solcher glaube er sagen zu müssen: "Es ist Zeit, daß das deutsche Bür-
gerthum gegenüber anderen Bestrebungen, die sich jetzt mit allen Kräften regen,
sich zusammenfasse und sein volles Gewicht in die Wagschale der Entscheidung
lege. Schon lange habe er vorausgeahnt, daß einmal die Zeit kommen werde,
wo sich aus dem Bürgerthum eine große liberale Partei entwickeln werde; er
habe dabei immer geglaubt, daß die liberale Partei nicht blos die Städte,
sondern getreu ihren Traditionen und ihrem Gerechtigkeitsgefühl alle Stände
und namentlich auch das flache Land umfassen werde. Täusche er sich nicht,
so sei die Zeit nahe, in der eine liberale Partei, als Kern in sich fassend das
deutsche Bürgerthum, Einfluß gewinnen werde auf die weitere Entwickelung
des deutschen Reiches. Dazu gehöre aber, daß wir uns rühren auf verfas¬
sungsmäßigen Boden, daß wir innerhalb dieser Grenzen aber alle Kräfte, die
uns zu Gebote stehen, eifrig gebrauchen."

Wir haben diese Rede im wortgetreuen Anschluß an den Bericht der
National-Zeitung vom 18. Mai gegeben. In der Wortfassung anderer Zei¬
tungsberichte war der Zwiespalt des Präsidenten des Reichstages mit der
Majorität des letzteren noch stärker hervorgehoben. Kein Wunder daher, daß
diese Zeitungen sich der Vermuthung nicht enthielten, Herr v. Forckenbeck stehe
auf-dem Punkte, das Präsidium niederzulegen. Am Montag wurde indeß
diese Absicht nach allen Windrichtungen hin dementirt. Am Dienstag Morgen
erklärte die National-Zeitung, es seien über die Tischrede, welche Herr v. For¬
ckenbeck bei dem Bankett des Städtetages gehalten, theilweise höchst übertriebene
Versionen in Umlauf gesetzt worden. Was der Redner über die Nothwendig¬
keit der Bildung einer umfassenden liberalen Partei gesagt, habe er beinahe mit
den gleichen Worten in einer ihrer Zeit viel besprochenen Tischrede zu Breslau
gesagt. Es werde diese Erinnerung zur besseren Würdigung der Kombina¬
tionen dienen, welche an den letzten Trinkspruch des Reichstcigsprüsidenten, wie
es scheine, in übereilter Weise geknüpft worden.

Die gemeinten Kombinationen konnten doch nur die vermuthete Nieder¬
legung des Präsidiums bedeuten. Aber wenige Stunden, nachdem die National-
Zeitung diese Vermuthung übereilt genannt, empfing der Reichstag die Nieder¬
legung des Herrn v. Forckenbeck. Aus diesem Sachverhalt scheint mit Evidenz


livrer, aber Herr v. Forckenbeck wurde nicht übertroffen. Er hatte gedankt,
daß man den Reichstag leben lasse, dessen Majorität vermuthlich in den Zoll¬
fragen gegen die Resolutionen entscheiden würde, welche der Städtetag gegen
die Regierung gefaßt: aber der Redner erklärte, hier seines Theils nicht als
Präsident des Reichstages zu sprechen, der (der Präsident) sich unter den gegen¬
wärtigen Verhältnissen in einer sehr schwierigen und außergewöhnlichen Lage
befinde, sondern als liberaler Mann und als Oberbürgermeister von Berlin.
Als solcher glaube er sagen zu müssen: „Es ist Zeit, daß das deutsche Bür-
gerthum gegenüber anderen Bestrebungen, die sich jetzt mit allen Kräften regen,
sich zusammenfasse und sein volles Gewicht in die Wagschale der Entscheidung
lege. Schon lange habe er vorausgeahnt, daß einmal die Zeit kommen werde,
wo sich aus dem Bürgerthum eine große liberale Partei entwickeln werde; er
habe dabei immer geglaubt, daß die liberale Partei nicht blos die Städte,
sondern getreu ihren Traditionen und ihrem Gerechtigkeitsgefühl alle Stände
und namentlich auch das flache Land umfassen werde. Täusche er sich nicht,
so sei die Zeit nahe, in der eine liberale Partei, als Kern in sich fassend das
deutsche Bürgerthum, Einfluß gewinnen werde auf die weitere Entwickelung
des deutschen Reiches. Dazu gehöre aber, daß wir uns rühren auf verfas¬
sungsmäßigen Boden, daß wir innerhalb dieser Grenzen aber alle Kräfte, die
uns zu Gebote stehen, eifrig gebrauchen."

Wir haben diese Rede im wortgetreuen Anschluß an den Bericht der
National-Zeitung vom 18. Mai gegeben. In der Wortfassung anderer Zei¬
tungsberichte war der Zwiespalt des Präsidenten des Reichstages mit der
Majorität des letzteren noch stärker hervorgehoben. Kein Wunder daher, daß
diese Zeitungen sich der Vermuthung nicht enthielten, Herr v. Forckenbeck stehe
auf-dem Punkte, das Präsidium niederzulegen. Am Montag wurde indeß
diese Absicht nach allen Windrichtungen hin dementirt. Am Dienstag Morgen
erklärte die National-Zeitung, es seien über die Tischrede, welche Herr v. For¬
ckenbeck bei dem Bankett des Städtetages gehalten, theilweise höchst übertriebene
Versionen in Umlauf gesetzt worden. Was der Redner über die Nothwendig¬
keit der Bildung einer umfassenden liberalen Partei gesagt, habe er beinahe mit
den gleichen Worten in einer ihrer Zeit viel besprochenen Tischrede zu Breslau
gesagt. Es werde diese Erinnerung zur besseren Würdigung der Kombina¬
tionen dienen, welche an den letzten Trinkspruch des Reichstcigsprüsidenten, wie
es scheine, in übereilter Weise geknüpft worden.

Die gemeinten Kombinationen konnten doch nur die vermuthete Nieder¬
legung des Präsidiums bedeuten. Aber wenige Stunden, nachdem die National-
Zeitung diese Vermuthung übereilt genannt, empfing der Reichstag die Nieder¬
legung des Herrn v. Forckenbeck. Aus diesem Sachverhalt scheint mit Evidenz


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[0365] livrer, aber Herr v. Forckenbeck wurde nicht übertroffen. Er hatte gedankt, daß man den Reichstag leben lasse, dessen Majorität vermuthlich in den Zoll¬ fragen gegen die Resolutionen entscheiden würde, welche der Städtetag gegen die Regierung gefaßt: aber der Redner erklärte, hier seines Theils nicht als Präsident des Reichstages zu sprechen, der (der Präsident) sich unter den gegen¬ wärtigen Verhältnissen in einer sehr schwierigen und außergewöhnlichen Lage befinde, sondern als liberaler Mann und als Oberbürgermeister von Berlin. Als solcher glaube er sagen zu müssen: „Es ist Zeit, daß das deutsche Bür- gerthum gegenüber anderen Bestrebungen, die sich jetzt mit allen Kräften regen, sich zusammenfasse und sein volles Gewicht in die Wagschale der Entscheidung lege. Schon lange habe er vorausgeahnt, daß einmal die Zeit kommen werde, wo sich aus dem Bürgerthum eine große liberale Partei entwickeln werde; er habe dabei immer geglaubt, daß die liberale Partei nicht blos die Städte, sondern getreu ihren Traditionen und ihrem Gerechtigkeitsgefühl alle Stände und namentlich auch das flache Land umfassen werde. Täusche er sich nicht, so sei die Zeit nahe, in der eine liberale Partei, als Kern in sich fassend das deutsche Bürgerthum, Einfluß gewinnen werde auf die weitere Entwickelung des deutschen Reiches. Dazu gehöre aber, daß wir uns rühren auf verfas¬ sungsmäßigen Boden, daß wir innerhalb dieser Grenzen aber alle Kräfte, die uns zu Gebote stehen, eifrig gebrauchen." Wir haben diese Rede im wortgetreuen Anschluß an den Bericht der National-Zeitung vom 18. Mai gegeben. In der Wortfassung anderer Zei¬ tungsberichte war der Zwiespalt des Präsidenten des Reichstages mit der Majorität des letzteren noch stärker hervorgehoben. Kein Wunder daher, daß diese Zeitungen sich der Vermuthung nicht enthielten, Herr v. Forckenbeck stehe auf-dem Punkte, das Präsidium niederzulegen. Am Montag wurde indeß diese Absicht nach allen Windrichtungen hin dementirt. Am Dienstag Morgen erklärte die National-Zeitung, es seien über die Tischrede, welche Herr v. For¬ ckenbeck bei dem Bankett des Städtetages gehalten, theilweise höchst übertriebene Versionen in Umlauf gesetzt worden. Was der Redner über die Nothwendig¬ keit der Bildung einer umfassenden liberalen Partei gesagt, habe er beinahe mit den gleichen Worten in einer ihrer Zeit viel besprochenen Tischrede zu Breslau gesagt. Es werde diese Erinnerung zur besseren Würdigung der Kombina¬ tionen dienen, welche an den letzten Trinkspruch des Reichstcigsprüsidenten, wie es scheine, in übereilter Weise geknüpft worden. Die gemeinten Kombinationen konnten doch nur die vermuthete Nieder¬ legung des Präsidiums bedeuten. Aber wenige Stunden, nachdem die National- Zeitung diese Vermuthung übereilt genannt, empfing der Reichstag die Nieder¬ legung des Herrn v. Forckenbeck. Aus diesem Sachverhalt scheint mit Evidenz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/365>, abgerufen am 15.05.2024.