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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Deutschland zeitigte, Friedrich spe, den Dichter der "Trutznachtigal", vorführt,
schließt sich seinen Vorgängern in jeder Beziehung würdig an. In der üblichen
Einleitung (S. 1--64), einer Arbeit, die von musterhafter Gründlichkeit und
großer Sachkenntniß in der ziemlich entlegenen einschlägigen Literatur zeugt,
gibt der Herausgeber über spe's Lebenslauf Rechenschaft, namentlich über die
beklagenswerthe Stellung, die er gegen seine Ueberzeugung Jahre lang als
Beichtvater von unglücklichen Opfern, die in Hexenprozessen verurtheilt worden
waren, einnehmen mußte, und berichtet über seine mannichfaltige, zum guten Theil
eben gegen den Hexenwahn gerichtete schriftstellerische Thätigkeit. Da aber die
"Trutznachtigal" erst 1649, vierzehn Jahre nach dem Tode spe's, veröffentlicht
wurde und vorher nur in Abschriften verbreitet war, so gibt uns die Einleitung
auch sorgfältige Nachweise über die erhaltenen Originalmanuskripte, charakterisirt
mit rühmlicher Objektivität den eigenthümlichen Inhalt und Ton, sowie die
sprachliche Seite von spe's geistlichen Liedern und bespricht endlich die bis¬
herigen Ausgaben und Bearbeitungen der "Trutznachtigal", sowie die umfängliche,
aber, wie es scheint, wenig ergiebige ältere Literatur über spe's Leben. Der
Text der Dichtungen selbst ist, wie gewöhnlich, im strengsten Anschluß an die
Originalausgabe mitgetheilt und mit den nöthigen sprachlichen Erläuterungen
versehen.

Entgangen ist es dem Herausgeber, daß Felix Mendelssohn 1847 unter
der Ueberschrift "Altdeutsches Frühlingslied" zwei Strophen eines Liedes aus
spe's "Trutznachtigal" für eine Singstimme mit Klavierbegleitung komponirt
hat (Ur. 39 der Ausgabe von Breitkopf <K Härtel), freilich in einer gänzlich
verballhornten Textgestaltung. Aus dem geistlichen Erotikon, dem "Liebge¬
sang der Gespons Jesu zum Anfang der Sommerzeit", aus den inbrünstigen
Ergüssen einer Seele, die sich nach Vereinigung mit ihrem Heiland sehnt, ist
ein weltliches Frühlings- und Liebesliedchen geworden, die Klage eines Lieb¬
habers, der von seiner Geliebten getrennt ist; und auch mit der schönen Natur-
schilderung der ersten Strophe sind schwächliche Modernisirungen vorgenommen
worden. Im Folgenden stellen wir das Original der Lesart bei Mendelssohn
gegenüber:


[Beginn Spaltensatz]
1. Der trübe Winter ist fürbei,
Die Kranich wiederkehren,
Nun reget sich der Vogelschrei
Die Nester sich vermehren;
Laub mit gemach
Nun schleicht an tag,
Die Blümlein sich nun melden;
Wie Schlänglein krumm
Gehn lächlcnd und
Die Bächlein kühl in Wüldcn.
[Spaltenumbruch]
1. Der trübe Winter ist vorbei.
Die Schwalben wiederkehren,
Nun regt sich Alles wieder neu,
Die Quellen sich vermehren.
Laub allgemach
Nun schleicht an Tag,
Die Blümlein nun sich melden;
Wie Schlänglein krumm
Gehn lächelnd um
Die Büchlein kühl in Wüldcn,
[Ende Spaltensatz]

Deutschland zeitigte, Friedrich spe, den Dichter der „Trutznachtigal", vorführt,
schließt sich seinen Vorgängern in jeder Beziehung würdig an. In der üblichen
Einleitung (S. 1—64), einer Arbeit, die von musterhafter Gründlichkeit und
großer Sachkenntniß in der ziemlich entlegenen einschlägigen Literatur zeugt,
gibt der Herausgeber über spe's Lebenslauf Rechenschaft, namentlich über die
beklagenswerthe Stellung, die er gegen seine Ueberzeugung Jahre lang als
Beichtvater von unglücklichen Opfern, die in Hexenprozessen verurtheilt worden
waren, einnehmen mußte, und berichtet über seine mannichfaltige, zum guten Theil
eben gegen den Hexenwahn gerichtete schriftstellerische Thätigkeit. Da aber die
„Trutznachtigal" erst 1649, vierzehn Jahre nach dem Tode spe's, veröffentlicht
wurde und vorher nur in Abschriften verbreitet war, so gibt uns die Einleitung
auch sorgfältige Nachweise über die erhaltenen Originalmanuskripte, charakterisirt
mit rühmlicher Objektivität den eigenthümlichen Inhalt und Ton, sowie die
sprachliche Seite von spe's geistlichen Liedern und bespricht endlich die bis¬
herigen Ausgaben und Bearbeitungen der „Trutznachtigal", sowie die umfängliche,
aber, wie es scheint, wenig ergiebige ältere Literatur über spe's Leben. Der
Text der Dichtungen selbst ist, wie gewöhnlich, im strengsten Anschluß an die
Originalausgabe mitgetheilt und mit den nöthigen sprachlichen Erläuterungen
versehen.

Entgangen ist es dem Herausgeber, daß Felix Mendelssohn 1847 unter
der Ueberschrift „Altdeutsches Frühlingslied" zwei Strophen eines Liedes aus
spe's „Trutznachtigal" für eine Singstimme mit Klavierbegleitung komponirt
hat (Ur. 39 der Ausgabe von Breitkopf <K Härtel), freilich in einer gänzlich
verballhornten Textgestaltung. Aus dem geistlichen Erotikon, dem „Liebge¬
sang der Gespons Jesu zum Anfang der Sommerzeit", aus den inbrünstigen
Ergüssen einer Seele, die sich nach Vereinigung mit ihrem Heiland sehnt, ist
ein weltliches Frühlings- und Liebesliedchen geworden, die Klage eines Lieb¬
habers, der von seiner Geliebten getrennt ist; und auch mit der schönen Natur-
schilderung der ersten Strophe sind schwächliche Modernisirungen vorgenommen
worden. Im Folgenden stellen wir das Original der Lesart bei Mendelssohn
gegenüber:


[Beginn Spaltensatz]
1. Der trübe Winter ist fürbei,
Die Kranich wiederkehren,
Nun reget sich der Vogelschrei
Die Nester sich vermehren;
Laub mit gemach
Nun schleicht an tag,
Die Blümlein sich nun melden;
Wie Schlänglein krumm
Gehn lächlcnd und
Die Bächlein kühl in Wüldcn.
[Spaltenumbruch]
1. Der trübe Winter ist vorbei.
Die Schwalben wiederkehren,
Nun regt sich Alles wieder neu,
Die Quellen sich vermehren.
Laub allgemach
Nun schleicht an Tag,
Die Blümlein nun sich melden;
Wie Schlänglein krumm
Gehn lächelnd um
Die Büchlein kühl in Wüldcn,
[Ende Spaltensatz]
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[0041] Deutschland zeitigte, Friedrich spe, den Dichter der „Trutznachtigal", vorführt, schließt sich seinen Vorgängern in jeder Beziehung würdig an. In der üblichen Einleitung (S. 1—64), einer Arbeit, die von musterhafter Gründlichkeit und großer Sachkenntniß in der ziemlich entlegenen einschlägigen Literatur zeugt, gibt der Herausgeber über spe's Lebenslauf Rechenschaft, namentlich über die beklagenswerthe Stellung, die er gegen seine Ueberzeugung Jahre lang als Beichtvater von unglücklichen Opfern, die in Hexenprozessen verurtheilt worden waren, einnehmen mußte, und berichtet über seine mannichfaltige, zum guten Theil eben gegen den Hexenwahn gerichtete schriftstellerische Thätigkeit. Da aber die „Trutznachtigal" erst 1649, vierzehn Jahre nach dem Tode spe's, veröffentlicht wurde und vorher nur in Abschriften verbreitet war, so gibt uns die Einleitung auch sorgfältige Nachweise über die erhaltenen Originalmanuskripte, charakterisirt mit rühmlicher Objektivität den eigenthümlichen Inhalt und Ton, sowie die sprachliche Seite von spe's geistlichen Liedern und bespricht endlich die bis¬ herigen Ausgaben und Bearbeitungen der „Trutznachtigal", sowie die umfängliche, aber, wie es scheint, wenig ergiebige ältere Literatur über spe's Leben. Der Text der Dichtungen selbst ist, wie gewöhnlich, im strengsten Anschluß an die Originalausgabe mitgetheilt und mit den nöthigen sprachlichen Erläuterungen versehen. Entgangen ist es dem Herausgeber, daß Felix Mendelssohn 1847 unter der Ueberschrift „Altdeutsches Frühlingslied" zwei Strophen eines Liedes aus spe's „Trutznachtigal" für eine Singstimme mit Klavierbegleitung komponirt hat (Ur. 39 der Ausgabe von Breitkopf <K Härtel), freilich in einer gänzlich verballhornten Textgestaltung. Aus dem geistlichen Erotikon, dem „Liebge¬ sang der Gespons Jesu zum Anfang der Sommerzeit", aus den inbrünstigen Ergüssen einer Seele, die sich nach Vereinigung mit ihrem Heiland sehnt, ist ein weltliches Frühlings- und Liebesliedchen geworden, die Klage eines Lieb¬ habers, der von seiner Geliebten getrennt ist; und auch mit der schönen Natur- schilderung der ersten Strophe sind schwächliche Modernisirungen vorgenommen worden. Im Folgenden stellen wir das Original der Lesart bei Mendelssohn gegenüber: 1. Der trübe Winter ist fürbei, Die Kranich wiederkehren, Nun reget sich der Vogelschrei Die Nester sich vermehren; Laub mit gemach Nun schleicht an tag, Die Blümlein sich nun melden; Wie Schlänglein krumm Gehn lächlcnd und Die Bächlein kühl in Wüldcn. 1. Der trübe Winter ist vorbei. Die Schwalben wiederkehren, Nun regt sich Alles wieder neu, Die Quellen sich vermehren. Laub allgemach Nun schleicht an Tag, Die Blümlein nun sich melden; Wie Schlänglein krumm Gehn lächelnd um Die Büchlein kühl in Wüldcn,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/41>, abgerufen am 21.05.2024.