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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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enthauben sich selbst am meisten von ihren Vorschriften und wurden ohne
Zweifel, obgleich das Amt Allen ohne Unterschied zugänglich sein sollte, damals
nur aus den Reichen genommen. Die Aermeren aber mußten sich von den
Reichen füttern lassen, vielleicht auch sich zu Handarbeiten entschließen oder
als Pächter von Grundstücken Jener das Feld bauen gleich den Heloten."

Diese Zustände waren es, die den Anlaß zu einigen Reformversnchen in
Sparta gaben, welche als die letzten Beispiele sozialistischer Umwälzungen in
Griechenland zu betrachten sind. Der edle König Agis versuchte eine voll¬
ständige soziale Reform in's Werk zu setzen, indem der Grundbesitz nen ver¬
theilt würde, und zwar in 4500 gleiche Loose für die Spartiaten, in 15000
für die waffenfähigen Periöken, die Zahl der Spartiaten dnrch Aufnahme von
Periöken und Feinden wieder auf 4500 gebracht, die lhkurgischen Gesetze wieder¬
hergestellt und die Schuldscheine vernichtet würden. Aber die Regeneration
scheiterte, und Agis büßte seinen Versuch im Jahre 237 v. Chr. mit dem
Henkertode. Dennoch nahm der nicht minder hochherzige und patriotische
Kleomenes III., der 235 zur Regierung gelangte, das Projekt muthig wieder
auf und setzte es mit Hilfe einer geringen Zahl Gleichgesinnter und der Söldner¬
truppen durch. "Er nöthigte diejenigen, welche ihm widerstrebten, das Land
zu verlassen; ihrer waren achtzig, also bei weitem der größte Theil der damals
vorhandenen Reichen und Grundbesitzer. Dann machte er eine neue Verthei-
lung der Landgüter, ergänzte die Bürgerschaft durch Aufnahme von Periöken
und, wie sich nicht zweifeln läßt, von Söldnern, sodaß nun ein Heer von
4000 Hopliten aus ihr aufgestellt werden konnte, führte die Syssitien und die
übrigen Stücke der alten Agoge wieder ein." Aber auch dieser Versuch, der
von den besten Absichten eingegeben war, der einzige, welcher Sparta noch
hätte retten können, hatte keinen Bestand, sondern beschleunigte im Gegentheil
den inneren Zerfall Griechenland's und den Untergang seiner Freiheit. Der
achäische Bund, voll Eifersucht auf die neu erstehende Macht der Rivalin, rief
die Fremden zum Beistände herbei, und Antigonos Doson vernichtete die spar¬
tanische Macht 221 in der fürchterlichen Schlacht bei Sellasia. Der Makedo-
nier hob die Reform des Kleomenes ans, stellte das alte Unwesen in Sparta
wieder her, und Griechenland blieb in der Zerrissenheit und Zerrüttung, die
nur mit dem Untergange seiner Freiheit enden konnte.

Die sozialistischen Institutionen bildeten ein Palladium der Staaten, so lange
die Bürger genug Entsagung besaßen, um ihren hohen Anforderungen zu genügen,
und so lange die Lebensverhältnisse einfach genug waren, um in enge Rahmen
gefaßt werden zu können; sie blieben unrealisirbar, wo andere Verhältnisse wal¬
teten, und sie wurden zu Keimen des Unheils, als die Bürgertugenden mangelten.


Richard Schöner.


enthauben sich selbst am meisten von ihren Vorschriften und wurden ohne
Zweifel, obgleich das Amt Allen ohne Unterschied zugänglich sein sollte, damals
nur aus den Reichen genommen. Die Aermeren aber mußten sich von den
Reichen füttern lassen, vielleicht auch sich zu Handarbeiten entschließen oder
als Pächter von Grundstücken Jener das Feld bauen gleich den Heloten."

Diese Zustände waren es, die den Anlaß zu einigen Reformversnchen in
Sparta gaben, welche als die letzten Beispiele sozialistischer Umwälzungen in
Griechenland zu betrachten sind. Der edle König Agis versuchte eine voll¬
ständige soziale Reform in's Werk zu setzen, indem der Grundbesitz nen ver¬
theilt würde, und zwar in 4500 gleiche Loose für die Spartiaten, in 15000
für die waffenfähigen Periöken, die Zahl der Spartiaten dnrch Aufnahme von
Periöken und Feinden wieder auf 4500 gebracht, die lhkurgischen Gesetze wieder¬
hergestellt und die Schuldscheine vernichtet würden. Aber die Regeneration
scheiterte, und Agis büßte seinen Versuch im Jahre 237 v. Chr. mit dem
Henkertode. Dennoch nahm der nicht minder hochherzige und patriotische
Kleomenes III., der 235 zur Regierung gelangte, das Projekt muthig wieder
auf und setzte es mit Hilfe einer geringen Zahl Gleichgesinnter und der Söldner¬
truppen durch. „Er nöthigte diejenigen, welche ihm widerstrebten, das Land
zu verlassen; ihrer waren achtzig, also bei weitem der größte Theil der damals
vorhandenen Reichen und Grundbesitzer. Dann machte er eine neue Verthei-
lung der Landgüter, ergänzte die Bürgerschaft durch Aufnahme von Periöken
und, wie sich nicht zweifeln läßt, von Söldnern, sodaß nun ein Heer von
4000 Hopliten aus ihr aufgestellt werden konnte, führte die Syssitien und die
übrigen Stücke der alten Agoge wieder ein." Aber auch dieser Versuch, der
von den besten Absichten eingegeben war, der einzige, welcher Sparta noch
hätte retten können, hatte keinen Bestand, sondern beschleunigte im Gegentheil
den inneren Zerfall Griechenland's und den Untergang seiner Freiheit. Der
achäische Bund, voll Eifersucht auf die neu erstehende Macht der Rivalin, rief
die Fremden zum Beistände herbei, und Antigonos Doson vernichtete die spar¬
tanische Macht 221 in der fürchterlichen Schlacht bei Sellasia. Der Makedo-
nier hob die Reform des Kleomenes ans, stellte das alte Unwesen in Sparta
wieder her, und Griechenland blieb in der Zerrissenheit und Zerrüttung, die
nur mit dem Untergange seiner Freiheit enden konnte.

Die sozialistischen Institutionen bildeten ein Palladium der Staaten, so lange
die Bürger genug Entsagung besaßen, um ihren hohen Anforderungen zu genügen,
und so lange die Lebensverhältnisse einfach genug waren, um in enge Rahmen
gefaßt werden zu können; sie blieben unrealisirbar, wo andere Verhältnisse wal¬
teten, und sie wurden zu Keimen des Unheils, als die Bürgertugenden mangelten.


Richard Schöner.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/467>, abgerufen am 21.05.2024.