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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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stationirten Garde beträchtlich mehr als ein Drittel der ganzen kaiserlich deut¬
schen Heeresmacht bilden, sich nothwendigerweise sammeln müssen, sobald ihre
Mobilisirung vollendet ist; denn die militärischen Kreise, in welchen die Armee¬
korps eins, zwei, drei, fünf, sechs, neun und zehn ihre Standorte haben und
sich jährlich rekrutiren, sind allesammt mit der Hauptstadt durch direkte Eisen¬
bahnlinien verbunden, deren Dienst im Hinblick auf die Absicht organisirt ist,
im Zentrum der Metropole binnen zehn Tagen nach Versendung der Mobili-
sirungsordre an die betreffenden Distriltskommandeure circa 250000 wohlgeübte
Soldaten zu sammeln.

Die übrigen zehn Korps der kaiserlichen Armee hängen rücksichtlich ihrer
Beförderung nach der deutschen Westgrenze von andern Eisenbahnsystemen ab,
die es für sie unnöthig machen, durch Berlin zu Passiren, wenn sie gegen
Frankreich zu Felde ziehen. Aber es ist wahrscheinlich, daß die aus den oben
erwähnten acht Korps bestehende Streitmacht -- die Garde bildet ein eigenes
Armeekorps, das keine besondere Nummer hat -- in Gemeinschaft mit dem
15. Korps, das bleibend an der französischen Grenze aufgestellt ist, im Falle
des Ausbruchs eines neuen Krieges zwischen Frankreich und Deutschland zu
einem plötzlichen und zerschmetternden Schlage gegen Paris benutzt werden
würde. Zu diesem Zwecke ist die Linie Berlin-Metz mit einem gewaltigen
Kostenaufwande erbaut worden, der aus der französischen Kriegskostenentschä¬
digung bestritten wurde. Kein Heller davon ist jetzt unverwendet, ausgenommen
die 120 Millionen Mark, die in den Kellern des Juliusthurms zu Spandau
bei Seite gelegt sind, um die ersten Baarausgaben bei Beginn einer Mobilisirung
beim nächsten Kriege bestreiten zu können. Diese Summe gemünzten Goldes,
welche einem jährlichen Zinsenertrag von zwei Millionen Mark gleichkommt,
liegt todt und keine Interessen tragend da, und das zu einer Zeit, wo die
Finanzen des Reiches in Folge des Niederganges von Handel und Wandel
in ganz Deutschland sich in so übler Lage befinden, daß das letzte Budget des
Reiches ein Defizit von 70 Millionen Mark aufwies. (Eine Vorsicht, welche
blos ein beschränkter Kaufmannssinn tadeln, ein Politiker dagegen selbstver¬
ständlich nur loben kann.)

Metz ist, wie der "erste Soldat des Vaterlandes" während der Friedens¬
verhandlungen im Januar 1871 grimmig bemerkte, "ein in bequemer Distanz
zum Feuern auf den Kopf Frankreich's zielendes Pistol". Es ist im gegen¬
wärtigen Augenblicke nicht nur die gewaltigste Festung Europa's -- wahr¬
scheinlich der ganzen Welt -- sondern zugleich ein Waffenplatz ersten Ranges,
dem sich an Ausdehnung, Stärke und Hilfsquellen nur Straßburg und Posen
nähern. Als eine Basis von Angriffsoperationen ist es alles, was Graf
v. Moltke daraus zu machen entschlossen war, als er zu einer Zeit, wo der


stationirten Garde beträchtlich mehr als ein Drittel der ganzen kaiserlich deut¬
schen Heeresmacht bilden, sich nothwendigerweise sammeln müssen, sobald ihre
Mobilisirung vollendet ist; denn die militärischen Kreise, in welchen die Armee¬
korps eins, zwei, drei, fünf, sechs, neun und zehn ihre Standorte haben und
sich jährlich rekrutiren, sind allesammt mit der Hauptstadt durch direkte Eisen¬
bahnlinien verbunden, deren Dienst im Hinblick auf die Absicht organisirt ist,
im Zentrum der Metropole binnen zehn Tagen nach Versendung der Mobili-
sirungsordre an die betreffenden Distriltskommandeure circa 250000 wohlgeübte
Soldaten zu sammeln.

Die übrigen zehn Korps der kaiserlichen Armee hängen rücksichtlich ihrer
Beförderung nach der deutschen Westgrenze von andern Eisenbahnsystemen ab,
die es für sie unnöthig machen, durch Berlin zu Passiren, wenn sie gegen
Frankreich zu Felde ziehen. Aber es ist wahrscheinlich, daß die aus den oben
erwähnten acht Korps bestehende Streitmacht — die Garde bildet ein eigenes
Armeekorps, das keine besondere Nummer hat — in Gemeinschaft mit dem
15. Korps, das bleibend an der französischen Grenze aufgestellt ist, im Falle
des Ausbruchs eines neuen Krieges zwischen Frankreich und Deutschland zu
einem plötzlichen und zerschmetternden Schlage gegen Paris benutzt werden
würde. Zu diesem Zwecke ist die Linie Berlin-Metz mit einem gewaltigen
Kostenaufwande erbaut worden, der aus der französischen Kriegskostenentschä¬
digung bestritten wurde. Kein Heller davon ist jetzt unverwendet, ausgenommen
die 120 Millionen Mark, die in den Kellern des Juliusthurms zu Spandau
bei Seite gelegt sind, um die ersten Baarausgaben bei Beginn einer Mobilisirung
beim nächsten Kriege bestreiten zu können. Diese Summe gemünzten Goldes,
welche einem jährlichen Zinsenertrag von zwei Millionen Mark gleichkommt,
liegt todt und keine Interessen tragend da, und das zu einer Zeit, wo die
Finanzen des Reiches in Folge des Niederganges von Handel und Wandel
in ganz Deutschland sich in so übler Lage befinden, daß das letzte Budget des
Reiches ein Defizit von 70 Millionen Mark aufwies. (Eine Vorsicht, welche
blos ein beschränkter Kaufmannssinn tadeln, ein Politiker dagegen selbstver¬
ständlich nur loben kann.)

Metz ist, wie der „erste Soldat des Vaterlandes" während der Friedens¬
verhandlungen im Januar 1871 grimmig bemerkte, „ein in bequemer Distanz
zum Feuern auf den Kopf Frankreich's zielendes Pistol". Es ist im gegen¬
wärtigen Augenblicke nicht nur die gewaltigste Festung Europa's — wahr¬
scheinlich der ganzen Welt — sondern zugleich ein Waffenplatz ersten Ranges,
dem sich an Ausdehnung, Stärke und Hilfsquellen nur Straßburg und Posen
nähern. Als eine Basis von Angriffsoperationen ist es alles, was Graf
v. Moltke daraus zu machen entschlossen war, als er zu einer Zeit, wo der


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[0479] stationirten Garde beträchtlich mehr als ein Drittel der ganzen kaiserlich deut¬ schen Heeresmacht bilden, sich nothwendigerweise sammeln müssen, sobald ihre Mobilisirung vollendet ist; denn die militärischen Kreise, in welchen die Armee¬ korps eins, zwei, drei, fünf, sechs, neun und zehn ihre Standorte haben und sich jährlich rekrutiren, sind allesammt mit der Hauptstadt durch direkte Eisen¬ bahnlinien verbunden, deren Dienst im Hinblick auf die Absicht organisirt ist, im Zentrum der Metropole binnen zehn Tagen nach Versendung der Mobili- sirungsordre an die betreffenden Distriltskommandeure circa 250000 wohlgeübte Soldaten zu sammeln. Die übrigen zehn Korps der kaiserlichen Armee hängen rücksichtlich ihrer Beförderung nach der deutschen Westgrenze von andern Eisenbahnsystemen ab, die es für sie unnöthig machen, durch Berlin zu Passiren, wenn sie gegen Frankreich zu Felde ziehen. Aber es ist wahrscheinlich, daß die aus den oben erwähnten acht Korps bestehende Streitmacht — die Garde bildet ein eigenes Armeekorps, das keine besondere Nummer hat — in Gemeinschaft mit dem 15. Korps, das bleibend an der französischen Grenze aufgestellt ist, im Falle des Ausbruchs eines neuen Krieges zwischen Frankreich und Deutschland zu einem plötzlichen und zerschmetternden Schlage gegen Paris benutzt werden würde. Zu diesem Zwecke ist die Linie Berlin-Metz mit einem gewaltigen Kostenaufwande erbaut worden, der aus der französischen Kriegskostenentschä¬ digung bestritten wurde. Kein Heller davon ist jetzt unverwendet, ausgenommen die 120 Millionen Mark, die in den Kellern des Juliusthurms zu Spandau bei Seite gelegt sind, um die ersten Baarausgaben bei Beginn einer Mobilisirung beim nächsten Kriege bestreiten zu können. Diese Summe gemünzten Goldes, welche einem jährlichen Zinsenertrag von zwei Millionen Mark gleichkommt, liegt todt und keine Interessen tragend da, und das zu einer Zeit, wo die Finanzen des Reiches in Folge des Niederganges von Handel und Wandel in ganz Deutschland sich in so übler Lage befinden, daß das letzte Budget des Reiches ein Defizit von 70 Millionen Mark aufwies. (Eine Vorsicht, welche blos ein beschränkter Kaufmannssinn tadeln, ein Politiker dagegen selbstver¬ ständlich nur loben kann.) Metz ist, wie der „erste Soldat des Vaterlandes" während der Friedens¬ verhandlungen im Januar 1871 grimmig bemerkte, „ein in bequemer Distanz zum Feuern auf den Kopf Frankreich's zielendes Pistol". Es ist im gegen¬ wärtigen Augenblicke nicht nur die gewaltigste Festung Europa's — wahr¬ scheinlich der ganzen Welt — sondern zugleich ein Waffenplatz ersten Ranges, dem sich an Ausdehnung, Stärke und Hilfsquellen nur Straßburg und Posen nähern. Als eine Basis von Angriffsoperationen ist es alles, was Graf v. Moltke daraus zu machen entschlossen war, als er zu einer Zeit, wo der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/479>, abgerufen am 15.05.2024.