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Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal.

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Tugend sind selten; die gemäßigten Freunde der Republik ermangeln der nöthigen
Energie gegenüber den Radikalen; die letzteren endlich werden zu ihren Bestre¬
bungen ebenso sehr wie durch ihren unpraktischen Doktrinarismus durch das
Begehren nach persönlichem Vortheil, nach Macht und nach einträglichen Stellen
veranlaßt -- beiläufig ganz so wie ihre Vorgänger und Vorbilder in den
Jahren 1790 bis 1794.

Ein großer Theil der Offiziere des französischen Heeres verabscheut die
Republik. "I^a. rsvnolic^s sse uns dslls enoss, 1s> vssts se 1s sdolölA aussi,
surtout so"? IsL g-nerfs", schrieb uns vor kurzem einer von ihnen, unzwei¬
felhaft im Sinne Vieler. Gambetta, unstreitig der klügste unter den Republi¬
kanern, ließ Grevy Präsident werden, weil er wünschte, daß dieser und seine
Fraktion sich im Kampfe mit den Ultras beider Parteien abnutze, damit er
ihm, wenn er an's Regiment gelange, keinen gefährlichen Widerstand mehr ent¬
gegensetzen könne. Dies wird über kurz oder lang geschehen. Der Anfang
dazu ist schon gemacht. Aber auch Gambetta wird sich nicht viele Jahre, viel¬
leicht nur wenige Monate der Herrschaft erfreuen. Wie mit ihm die radikale
Republik der gemäßigten gefolgt sein wird, so wird mit den Herren Floquet
und Clemenceau an die Stelle jener die rothe treten und zu allerlei Thorheiten
und Ungerechtigkeiten führen. Das Nächste wird dann aller Wahrscheinlichkeit
nach die Kommune sein, der man durch Amnestirung ihrer Vorfechter bereits
die Cadres und die Offiziere und Unteroffiziere zu ihrem Pöbelheere beschafft
und durch den Beschluß einer Zurückversetzung der gesetzgebenden Körperschaften
nach Paris den Weg zum schließlichen Siege weiter gebahnt hat. Das Ende dieses
Prozesses wird dann rasch eintreten. Die Leute, die etwas zu verlieren haben,
werden, wenn es ihnen an den Geldbeutel und an den Kragen geht, schnell
begreifen, was sie an der Republik haben und nicht haben. Feig und unent¬
schlossen, wie sie in der Mehrzahl sind, werden sie zwar selbst großentheils
keine Hand zu deren Sturze regen, aber auch keinen Widerstand leisten, wenn
ein energischer General aufsteht und ihr ein schleuniges Ende zu machen be¬
ginnt. Im Gegentheil, sie werden ihm dankbar sein, wenn er dem unter allen
Umständen Handel und Wandel beeinträchtigenden und zuletzt immer mit Uto-
pieen, mit Wirrsal und Noth, verkehrter Welt und blutigen Greueln endigenden
Treiben der Demagogen ein kräftiges Huos sZo! entgegenruft. Sie Werdensich
wie aus einem mit Alpdrücken verbundenen Traume, wie Befreite und Erlöste
fühlen, auch wenn sie sehen müssen, daß er gleich seinen Vorgängern bei
solchem Werke die "Erwählten des Volkes" durch seine Grenadiere zu den
Fenstern hinausjagen läßt und die von ihnen gemißbrauchte parlamentarische
Freiheit mit ihnen.

Blicken wir zurück, so zeigten sich der neue Präsident und seine Minister


Tugend sind selten; die gemäßigten Freunde der Republik ermangeln der nöthigen
Energie gegenüber den Radikalen; die letzteren endlich werden zu ihren Bestre¬
bungen ebenso sehr wie durch ihren unpraktischen Doktrinarismus durch das
Begehren nach persönlichem Vortheil, nach Macht und nach einträglichen Stellen
veranlaßt — beiläufig ganz so wie ihre Vorgänger und Vorbilder in den
Jahren 1790 bis 1794.

Ein großer Theil der Offiziere des französischen Heeres verabscheut die
Republik. „I^a. rsvnolic^s sse uns dslls enoss, 1s> vssts se 1s sdolölA aussi,
surtout so«? IsL g-nerfs", schrieb uns vor kurzem einer von ihnen, unzwei¬
felhaft im Sinne Vieler. Gambetta, unstreitig der klügste unter den Republi¬
kanern, ließ Grevy Präsident werden, weil er wünschte, daß dieser und seine
Fraktion sich im Kampfe mit den Ultras beider Parteien abnutze, damit er
ihm, wenn er an's Regiment gelange, keinen gefährlichen Widerstand mehr ent¬
gegensetzen könne. Dies wird über kurz oder lang geschehen. Der Anfang
dazu ist schon gemacht. Aber auch Gambetta wird sich nicht viele Jahre, viel¬
leicht nur wenige Monate der Herrschaft erfreuen. Wie mit ihm die radikale
Republik der gemäßigten gefolgt sein wird, so wird mit den Herren Floquet
und Clemenceau an die Stelle jener die rothe treten und zu allerlei Thorheiten
und Ungerechtigkeiten führen. Das Nächste wird dann aller Wahrscheinlichkeit
nach die Kommune sein, der man durch Amnestirung ihrer Vorfechter bereits
die Cadres und die Offiziere und Unteroffiziere zu ihrem Pöbelheere beschafft
und durch den Beschluß einer Zurückversetzung der gesetzgebenden Körperschaften
nach Paris den Weg zum schließlichen Siege weiter gebahnt hat. Das Ende dieses
Prozesses wird dann rasch eintreten. Die Leute, die etwas zu verlieren haben,
werden, wenn es ihnen an den Geldbeutel und an den Kragen geht, schnell
begreifen, was sie an der Republik haben und nicht haben. Feig und unent¬
schlossen, wie sie in der Mehrzahl sind, werden sie zwar selbst großentheils
keine Hand zu deren Sturze regen, aber auch keinen Widerstand leisten, wenn
ein energischer General aufsteht und ihr ein schleuniges Ende zu machen be¬
ginnt. Im Gegentheil, sie werden ihm dankbar sein, wenn er dem unter allen
Umständen Handel und Wandel beeinträchtigenden und zuletzt immer mit Uto-
pieen, mit Wirrsal und Noth, verkehrter Welt und blutigen Greueln endigenden
Treiben der Demagogen ein kräftiges Huos sZo! entgegenruft. Sie Werdensich
wie aus einem mit Alpdrücken verbundenen Traume, wie Befreite und Erlöste
fühlen, auch wenn sie sehen müssen, daß er gleich seinen Vorgängern bei
solchem Werke die „Erwählten des Volkes" durch seine Grenadiere zu den
Fenstern hinausjagen läßt und die von ihnen gemißbrauchte parlamentarische
Freiheit mit ihnen.

Blicken wir zurück, so zeigten sich der neue Präsident und seine Minister


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[0490] Tugend sind selten; die gemäßigten Freunde der Republik ermangeln der nöthigen Energie gegenüber den Radikalen; die letzteren endlich werden zu ihren Bestre¬ bungen ebenso sehr wie durch ihren unpraktischen Doktrinarismus durch das Begehren nach persönlichem Vortheil, nach Macht und nach einträglichen Stellen veranlaßt — beiläufig ganz so wie ihre Vorgänger und Vorbilder in den Jahren 1790 bis 1794. Ein großer Theil der Offiziere des französischen Heeres verabscheut die Republik. „I^a. rsvnolic^s sse uns dslls enoss, 1s> vssts se 1s sdolölA aussi, surtout so«? IsL g-nerfs", schrieb uns vor kurzem einer von ihnen, unzwei¬ felhaft im Sinne Vieler. Gambetta, unstreitig der klügste unter den Republi¬ kanern, ließ Grevy Präsident werden, weil er wünschte, daß dieser und seine Fraktion sich im Kampfe mit den Ultras beider Parteien abnutze, damit er ihm, wenn er an's Regiment gelange, keinen gefährlichen Widerstand mehr ent¬ gegensetzen könne. Dies wird über kurz oder lang geschehen. Der Anfang dazu ist schon gemacht. Aber auch Gambetta wird sich nicht viele Jahre, viel¬ leicht nur wenige Monate der Herrschaft erfreuen. Wie mit ihm die radikale Republik der gemäßigten gefolgt sein wird, so wird mit den Herren Floquet und Clemenceau an die Stelle jener die rothe treten und zu allerlei Thorheiten und Ungerechtigkeiten führen. Das Nächste wird dann aller Wahrscheinlichkeit nach die Kommune sein, der man durch Amnestirung ihrer Vorfechter bereits die Cadres und die Offiziere und Unteroffiziere zu ihrem Pöbelheere beschafft und durch den Beschluß einer Zurückversetzung der gesetzgebenden Körperschaften nach Paris den Weg zum schließlichen Siege weiter gebahnt hat. Das Ende dieses Prozesses wird dann rasch eintreten. Die Leute, die etwas zu verlieren haben, werden, wenn es ihnen an den Geldbeutel und an den Kragen geht, schnell begreifen, was sie an der Republik haben und nicht haben. Feig und unent¬ schlossen, wie sie in der Mehrzahl sind, werden sie zwar selbst großentheils keine Hand zu deren Sturze regen, aber auch keinen Widerstand leisten, wenn ein energischer General aufsteht und ihr ein schleuniges Ende zu machen be¬ ginnt. Im Gegentheil, sie werden ihm dankbar sein, wenn er dem unter allen Umständen Handel und Wandel beeinträchtigenden und zuletzt immer mit Uto- pieen, mit Wirrsal und Noth, verkehrter Welt und blutigen Greueln endigenden Treiben der Demagogen ein kräftiges Huos sZo! entgegenruft. Sie Werdensich wie aus einem mit Alpdrücken verbundenen Traume, wie Befreite und Erlöste fühlen, auch wenn sie sehen müssen, daß er gleich seinen Vorgängern bei solchem Werke die „Erwählten des Volkes" durch seine Grenadiere zu den Fenstern hinausjagen läßt und die von ihnen gemißbrauchte parlamentarische Freiheit mit ihnen. Blicken wir zurück, so zeigten sich der neue Präsident und seine Minister

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 38, 1879, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341829_157663/490>, abgerufen am 22.05.2024.